Der Fisch. Gerhard Nattler

Der Fisch - Gerhard Nattler


Скачать книгу
bieten Ihnen ein kostenloses Upgrade mit Zugang zur Executive Lounge. Ich hoffe, es ist Ihnen recht.«

      Sie nickte unmerklich, während sie unterschrieb, ohne die feinen Lederhandschuhe abzustreifen.

      Der Concierge erklärte mit wenigen Worten die Einrichtungen des Hotels, händigte die Zimmerkarte mit dem Hinweis »Zimmer achtzig einundzwanzig. Wenn Sie aus dem Fahrstuhl kommen, links den Gang entlang« aus und nickte gleichzeitig einem Boy für das Gepäck, den sie jedoch mit einem freundlichen Lächeln und einer minimalen Geste ablehnte.

      »Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt, Frau Strasser.« Nebenbei ließ er ein üppig dimensioniertes Tip in seiner Billetttasche verschwinden.

      »Vielen Dank, Herr Fuller«, erwiderte sie nach einem Blick auf sein goldenes Namensschild. Sie bewegte sich in Richtung Fahrstuhl. Der junge Concierge sah ihr nach. Sie trug blaue Nikes zur Levis und eine hellblaue Bluse. Eine schwarze Umhängetasche schaukelte über ihrer Hüfte. Das goldene Dreieck PRADA MILANO stach ihm ins Auge, als ihr roter Anorak, den sie wie einen Poncho über den Schultern hängen hatte, den Blick darauf einen Augenblick freigab. Die dunklen Haare reichten ihr in leichten Wellen bis auf die Schulter. Der linke Aufzug stand bereit. Der junge Mann hielt einen Blick in ihren Datenstamm für angebracht. Beatrice Strasser war Deutsche mit der Heimatadresse in Dorsten und sah von hinten deutlich jünger aus als die ausgewiesenen zweiundvierzig Jahre, fand er. »Von vorn ebenfalls«, gab er zu, als sie sich im Fahrstuhl drehte und ihm ein freundliches Lächeln schenkte.

      Nach einer kurzen Dusche ließ sie sich in einem Badetuch auf dem Chaiselongue nieder und wählte eine Nummer aus den Kurznotizen ihres iPhones. Sie ließ einmal durchschellen, dann brach sie ab. Wenig später kam die anonyme Antwort. Nach zweimaligem Summen verstummt das iPhone. Sie löschte den Anruf und die Notiz.

      Den Koffer hievte sie aufs Bett und stellte die Zahlenkombination ein, um die Reißverschlüsse aufziehen zu können. Sie entnahm die Garderobe, die sie anzuziehen gedachte, und legte sie auf dem Bett bereit. Von den darunterliegenden Bündeln mit Scheinen zu einhundert und zweihundert Euro entfernte sie die Banderolen. Diese verbarg sie in einem Seitenfach des Koffers. Die Banknoten verschwanden in der Handtasche. Im Koffer suchte sie nach einem kleinen Kosmetiktäschchen, prüfte mit einem Blick den Inhalt und brachte es ins Badezimmer. Ihre getragene Kleidung verstaute sie im Koffer und verschloss mit der PIN.

      Vor dem Ankleiden lackierte sie einen Fingernagel neu, der ihr im Flugzeug abgesplittert war. Sie warf einen Blick auf die entfernten Flughafengebäude und beobachtete den kaum hörbaren Verkehr tief unten auf der rege befahrenen Straße, bis der Lack getrocknet war.

      Eine Stunde später beobachtete der junge Concierge, wie sie frisch gestylt in einem blauen Kleid und eleganten Boots aus dem Aufzug trat. Ihre Handtasche unter dem Arm und mit dezentem, aber teurem Schmuck um Hals und Handgelenk schritt sie durch die Empfangshalle und verschwand durch die Drehtür. Der Portier winkte nach einem Taxi. Er öffnete für sie die hintere Wagentür und gab dem Fahrer Anweisung.

      »Sie wollte auf die Kö«, erfuhr der Concierge.

      Zurück auf dem Zimmer griff sie zu ihrem Handy und wählte einen vertrauten Mitarbeiter an, ihren Chauffeur. Er hatte bereits ihren Vater gefahren und kannte sie von Kindesbeinen an.

      »Ja bitte?«

      »Hier ist Beatrice. Ich habe versucht, meinen Bruder zu erreichen. Er meldet sich nicht. Weißt du, wo er ist?«

      »Er hat sich mir gegenüber nicht geäußert.«

      »Okay. Wie läuft’s?«

      »Die Oxygene wird in Kürze anlegen. Sie ist bereits durch die Schleuse. Aber …«

      »Was ›aber‹?«

      »Hier erscheinen einige unbekannte Leute. Auffallend unaufgeregt. Es riecht nach Bullshit. Sollen wir abbrechen?«

      »Auf keinen Fall. Sie werden nichts finden. Vertraue mir!«

      »Sind Sie sicher?« Korrekt wie der Mann war, siezte er Beatrice seit ihrem achtzehnten Lebensjahr. Sie hatte ihn wiederholt gebeten, sie weiter zu duzen, aber er bestand auf dem ›Sie‹ und redete sie auch mit Chefin an. Die beiden mochten sich.

      »Ganz sicher! Macht keine Dummheiten. Kein Widerstand. Wenn sie genug gesehen haben, melde dich.«

      »Wissen Sie zufällig, um welchen Container es sich handelt?«

      »Fünf, eins, Strich, dreifünfundsechzig. Werde nicht nervös. Lasst die Waffe am besten im Auto.«

      »Sie sind zuhause im Tresor. Edwin hat keine ausgegeben. Sie sind sicher, Chefin …?«

      »Beruhige dich. Ist Edwin vor Ort?«

      »Edwin ist nicht hier. Er wird auch nicht mehr kommen, denke ich.«

      »Dann sei zufrieden und beruhige dich. Wenn er nicht am Hafen ist, kommt auch keine Ware.«

      »Stimmt … Okay, Beatrice. Ich vertraue Ihnen. Eine Frage noch: Haben Sie sich zurückgemeldet? Ich sollte Sie erinnern.«

      »Ja, danke. Den Rückruf habe ich ebenfalls umgehend erhalten.«

      Beatrice Strasser begab sich an einen Ecktisch hinten in der Hotelbar. Sie überflog die Karte und bestellte eine Currywurst mit Pommes frites und ein Alt. Sie hatte sich während des ganzen Fluges darauf gefreut. Sie genoss es. Zwischendurch sah sie mehrmals auf ihre Uhr. Als sie nach weiteren Wünschen gefragt wurde, bestellte sie ein Glas Merlot und ein gemischtes Eis, weil Tiramisu nicht im Angebot war. Die Auswahl der Aromen überließ sie dem Keeper. Die Uhr zeigte inzwischen zehn Uhr, als endlich die Bestätigung kam, dass die Fahndung nichts ergeben hatte.

      »Es war eine Blamage sondergleichen, Chefin. Woher hatten Sie die Informationen? Inzwischen haben die ersten Wagen das Hafengelände verlassen. Der Zoll untersucht weiterhin die Container, aber unsere Kiste ist längst im Lagerhaus. Ich habe Bescheid gegeben, den Behälter abzuholen.«

      »Richtig. Was sagt Mike?«

      »Er war nicht dabei. War auch nicht nötig. Das Schiff war früh dran. Wir hatten ihn informiert, aber er konnte nicht abkommen. Er hatte einiges zu erledigen.«

      »Weißt du, wo er war?«

      »Ich glaube, er hat Entgelt für die Waren eingetrieben.«

      »Wann holst du mich ab? Ich bin im Hilton.«

      »Ich kann sofort los. Bin in einer Dreiviertelstunde am Eingang. Warten Sie in der Halle?«

      »Ich habe bereits eingecheckt. Morgen nach dem Frühstück reicht mir. Halb elf?«

      »Geht klar, Chefin. Bin zehn dreißig vor Ort.«

      »Bis dann.«

      Fuller bekam sie nur mehr aus den Augenwinkeln zu Gesicht. Er war beschäftigt. Sie hatte das Quick Check-out bevorzugt und die Zimmerkarte bei einem Kollegen zurückgegeben. Der Portier half ihr mit dem Koffer und den noblen Einkaufstaschen mehrerer bekannter Designerläden, denen sie offensichtlich gestern einen Besuch abgestattet hatte. Sie besprach sich mit dem Chauffeur. Als der Portier alles im Kofferraum des Siebener BMW verstaut hatte, ließ der Chauffeur die Dame hinter dem Beifahrersitz Platz nehmen. Er lehnte leise die Tür an, die sich mit einem kleinen Summton selbst zuzog. Beinahe unsichtbar steckte er dem Portier einen Schein zu als Aufmerksamkeit für die Hilfe.

      Kapitel 2.

      Es waren zwei Stunden nach Mitternacht, als Oliver Hallstein seinen Chef, Kommissar Berendtsen, aus dem Bett schellte. Das Handy lag auf dem Nachttisch. Es gab keine Ruhe. Berendtsen brauchte einige Sekunden, sich zu sortieren.

      »Sag mal, weißt du, wie spät es ist? Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es ihm. Die Frage tat ihm sogleich leid, denn Berendtsen wusste, dass Hallstein ihn nicht zum eigenen Vergnügen aus dem Schlaf riss.

      »Das glaube ich nicht, Chef. Es gibt ein Problem. In Dorsten ist in einer Laube einer Schrebergartenanlage die Gasflasche


Скачать книгу