Der Fisch. Gerhard Nattler
es ein Fall für uns. Soll ich dich abholen?«
»Wie ich höre, bist du bereits vor Ort? Es hört sich nach viel Betrieb an.«
»So ist es, Albert. Ich bin seit einer Viertelstunde hier. Ich kann nichts unternehmen. Die Roten haben alles in Beschlag. Der Brand ist immer noch nicht vollständig gelöscht. Ein Nachbar hat die Feuerwehr und den Notarzt informiert.«
»Du brauchst mich nicht abzuholen. Ich kenne die Lauben. Es ist von hier aus nicht weit.« Er sah aus dem Küchenfenster den erhellten Himmel, nicht unähnlich dem über der EON-Flamme in Gelsenkirchen-Hassel, die er von Zeit zu Zeit aus seinem Garten beobachten konnte. Er benötigte samt Dusche und einem Schluck Kaffee, den seine Frau Irmgard ihm schnell in der Espressomaschine zubereitet hatte, fünfzehn Minuten bis auf die Brücke, von der aus er schon die Flamme erkennen konnte. Zwei Polizeiwagen waren ebenfalls vor Ort. In der Einfahrt zum Parkplatz der Anlage schaltete er sein Blaulicht ein, das in diesem Wagen bereits hinter dem Kühlergrill und neben den Scheinwerfern installiert war. So wussten die Herumstehenden gleich Bescheid und leiteten den Wagen durch das Gewimmel von Zuschauern zu der Hütte oder dem, was davon übrig war. Nicht eine Wand stand mehr. Den Bewohner hatten sie bereits geborgen. Er hatte drei Meter außerhalb der Hütte gelegen. Die Roten, wie die Polizei die Feuerwehrleute nannte, waren dank zweier Hydranten alsbald in der Lage, die letzten Glutreste zu ersticken. Eine Plastikfußmatte und das Linoleum qualmten fürchterlich.
»Irgendwelche Infos?«, sprach Berendtsen den erstbesten Mann an. Dieser verwies ihn an den Einsatzleiter. Die beiden kannten sich.
Der Mann öffnete sein Visier. »Guten Abend, Herr Berendtsen. Man kann schon besser einen guten Morgen wünschen. Also … die Sache ist die: Die Propangasflasche ist explodiert. Das steht fest. Aber es steht auch fest, dass sie nicht selbständig explodiert ist. Sie wurde ferngezündet. Wir haben das hier gefunden.«
Berendtsen besah sich eine wenige Zentimeter große Platine, an der eine kleine Antenne festgebacken war.
»Durch die Hitze?«, fragte er den Einsatzleiter
»Auf jeden Fall. Wir haben die restlichen Bruchstücke ebenfalls sichergestellt. Auch größere. Es war offensichtlich eine Fernzündung über ein Funkgerät, sehr klein, aber es hat gereicht.«
»Als Kind hatte ich auch so eins. Es waren zwei Kugelschreiber, mit denen mein Freund und ich miteinander sprechen konnten. Ich habe es zu Weihnachten bekommen. War zu der Zeit, als die ersten Spionagefilme im Kino auftauchten. Sie waren teurer als heute die Mobiltelefone. Sie reichten gerade von einem Zimmer zum anderen.«
»Es gab einen Toten. Der liegt dort drüben auf der Trage unter der Plane. Ein Nachbar hat ihn gefunden. Er war anscheinend nicht in seiner Laube, als es geknallt hat, aber auch nicht weit genug davon entfernt. Es hat ihn erwischt. Der Nachbar glaubt, er habe noch etwas sagen wollen.«
»Wo finde ich den Mann?«
»Er ist nebenan in seinem Garten. Er wartet auf Sie. Soll ich Sie hinbringen?«
»Den finde ich auch so.«
Berendtsen suchte und fand Hallstein. Sie gingen zusammen. Er suchte seine Taschen ab, aber er musste feststellen, dass er die Tüte mit den Gummibärchen zuhause hatte liegenlassen. Hallstein wusste, was fehlte. Er zog eine Minitüte Bärchen aus der Tasche.
»Bitte sehr.«
»Seit wann bist du Selbstversorger?«
»Ich war in der vorigen Woche mit den Kindern zur Vorsorge und zum Impfen. Weil sie so brav gewesen sind, durften sie sich eine Tüte nehmen. Allerdings musste ich sie vor dem Essen einstecken. Hinterher haben sie es vergessen. Heute Nacht habe ich sie in der Jackentasche wiedergefunden.«
Sie teilten brüderlich.
»Sind deine Kinder geweckt worden? Wer hat dich angerufen?«
»Feil hat mich kontaktiert. Er und Frank waren nach dem Notruf hierher beordert worden. Es war sehr schnell klar, dass es kein Unfall war. Da hat er mich – Gott sei Dank, der Mann hat mitgedacht – auf dem Handy angerufen. So sind nur meine Frau und ich geweckt worden. Ich war im Tiefschlaf. Musste mich erst einmal sortieren, bis ich gemerkt hatte, dass mein Handy klingelte.«
Der Nachbar, Walter Niesser, saß auf einem Hocker in der Tür. Mit einer Flasche Doppelkorn aus Raesfeld in der einen und einem Fuhrmannspinnchen in der anderen Hand. Seine Frau Renate hinter ihm nahm gerade den letzten Schluck aus ihrem kleineren Glas. Sie hatten Jacken über ihre Schlafanzüge geworfen. Er bevorzugte Karos, sie Streifen. Die Füße steckten in Filzpantoffeln.
»Sie haben die Feuerwehr benachrichtigt?«
»Und den Notarzt.« Er leerte sein Glas. »Ich habe den Knall gehört. Nicht nur ich. Die anderen kamen auch zusammen. Es war eine fürchterliche Hitze. Wegen der qualmenden Dachpappe konnte ich kaum etwas erkennen. Das Spalier und manche Bretter sind bis auf meine Scholle und an die Gartentür geflogen. Das Fenster an der Seite ist zersplittert. Wenn Sie sich das einmal ansehen wollen.«
»Dafür ist später noch Zeit«, wandte Berendtsen ein, aber der Mann war bereits unterwegs. Das Licht, das aus den beiden Vorderfenstern drang, war eben ausreichend, die schmalen Natursteinplatten zu erleuchten, die für den Weg zur Abfalltonne angelegt waren.
Hallstein schoss zwei Fotos zu seiner Beruhigung. Berendtsen sah sich um. Zwanzig Meter trotz Hecke.
»Dann hörte ich durch das Brandgetöse jemanden jammern und stöhnen. Ich fand ihn zwei Meter von der Tür entfernt in der Nähe von Willis Hecke, der Nachbar auf der anderen Seite. Als ich mich über ihn beugte, versuchte er, mir etwas zu sagen. Es klang wie: ›Baumarkt‹. Er zog mich am Arm und stöhnte zweimal ›Baumarkt‹. Dann klammerte er sich an mich, röchelte kurz und … das war’s. Diesen letzten Blick werde ich nie vergessen, Herr …« Er goss sich und seiner Frau nach.
Berendtsen wies sich aus und stellte sich vor.
»Hauptkommissar Berendtsen, Kriminalpolizei Recklinghausen. Mein Kollege Kommissar Hallstein.« Er steckte seine Karte wieder ein. »›Baumarkt‹ hat er gesagt?«
»So hat es geklungen. Sicher bin ich nicht. Ich konnte ihn schlecht verstehen. Das Getöse durch die Flammen war enorm. Er konnte nur mit Mühe sehr leise sprechen. Manni und ich haben ihn vom Brandherd weggezogen. Dann hat es noch einmal fürchterlich geknallt. Als wäre ein Benzinkanister explodiert. Die Flammen loderten nochmals mächtig auf. Als die Feuerwehr die Löscharbeiten im Griff hatte, hat der Sani nur noch seinen Tod feststellen können.«
Er goss sich und seiner Frau, die ihm ihr Glas hinhielt, nach.
»Auch einen?«
Mit einem freundlichen »Im Dienst« lehnten sie ab.
»Sie haben ihn vom Brandherd weggezogen. Wo hat er gelegen, als sie gekommen sind?«
»Er war zwei Meter von der Tür entfernt. Wir haben ihn bis an die Stellte gezogen, wo die Feuerwehr die Markierung aufgestellt hat. Wir haben befürchtet, dass er sonst völlig verbrennt. Beim zweiten Knall ist allerdings eine Spanplatte auf ihn geflogen. Ich glaube, es ist von ihm nicht viel übrig.«
»Kennen Sie den Toten?«, setzte Hallstein das Gespräch fort.
»Natürlich. Mike heißt er. Nachnamen weiß ich nicht. Er hat ihn mir genannt, als er einzog, aber wir sprechen uns hier alle mit Vornamen an.«
»Wo ist Manni jetzt?«
»Er kommt gerade durch das Tor.«
Niesser übernahm das Gespräch und stellte die Herren vor.
»Die Hauptkommissare Berendtsen und Hallstein … Herr Maranowski. Sie möchten wissen, wie Mike mit Hausnamen hieß.«
»Manfred Maranowski, angenehm. Ich weiß auch nur, dass er Mike heißt.«
»Haben Sie eventuell verstanden, was der Tote hat mitteilen wollen?«, fragte Berendtsen
»Ich kann dazu nichts sagen. Walter hat sich über ihn gebeugt. Ich habe nichts gehört. Ich habe wohl gesehen, dass er die Lippen