Der Fisch. Gerhard Nattler
stammte von der ersten Frau ihres Vaters. Von ihr hatte er die asiatischen Gesichtszüge geerbt. Vater hatte Phuong in Shanghai im Manhattan kennengelernt. Er hatte sie immer in diesem exklusiven Nachtclub besucht, wenn er in der Stadt war. Sie hatte ihn zu Banketts und Empfängen begleitet und war sogar zuweilen mit ihm im Land umhergereist, wenn es darum ging, neue Bekanntschaften aufzutun. Sie erklärte ihm die Benimm- und Tafelsitten, weil es ihm wichtig schien, bei einem Zusammentreffen um die Gepflogenheiten vorher zu wissen und sie nicht erst durch die Einheimischen kennenzulernen. Außerdem hatte sie ihn über die Leute informiert und in die chinesischen Sitten und Gebräuche eingeführt. So erklärte er seinen Erfolg in diesem Land. »Man muss diese Leute und ihre Lebensweise kennen und mitmachen. So erreicht man ihren inneren Zirkel. Dann folgen die Geschäfte mit Handschlag«, hatte er ihr immer eingetrichtert. Seit sie zwanzig war, musste sie mit. Anfangs war es ihr zuwider. Die Hygiene im Landesinnern und das Essen waren sehr gewöhnungsbedürftig. Er hatte nie darüber gesprochen, aber wie ein Geschäftsfreund, mit dem sie einige Nächte dort hatte verbringen dürfen, ihr unbeabsichtigt verraten hatte, musste er eine ordentliche Summe als Ausgleich zahlen, um sie auszulösen und mit nach Deutschland nehmen zu können. Das wäre unter normalen Umständen nicht möglich gewesen, aber Li war sein Freund gewesen. Hier in Deutschland hatten sie geheiratet. Ein Jahr später wurde Kris geboren.
Der Chauffeur nahm den Koffer und die edlen Tragetaschen aus dem Wagen und stellte alles vor die Haustür.
»Ausflug? Es war anstrengend. Die Hitze war nicht das Problem, diese unheimliche Schwüle machte mir zu schaffen. Mit dem Erreichten bin ich zufrieden. Ja, ich möchte fast sagen, es war ein Erfolg.«
»Komm zuerst einmal herein.« Kris schnappte sich den Koffer. Beatrice nahm die Tragetaschen.
»Was hast du erreicht?« Er besorgte ihr einen Gin Tonic. Das regte immer ihren Kreislauf an.
»Raphael hat mir seine neuen Pläne unterbreitet. Ich habe ihm Vollmachten für das Geschäft in Benin übertragen und ihn zum Geschäftsführer befördert. Er hat neue Märkte aufgetan. Vor allem hat er unsere Lagerkapazitäten drastisch erweitern können. Wir können ab sofort so viele Autos liefern, wie wir auftreiben können. Er hat Platz für hunderttausend Autos, sagt er. Wir sind kurz umhergefahren. Es ist ein riesiger Platz. Das ganze Areal scheint mir größer als ein Quadratkilometer. Halb voll, schätze ich. Danke für den Drink.« Sie zog mächtig an beiden Strohhalmen. Mit dem Glas in der Hand lehnte sie sich in das Sofa zurück. Sie streifte die Schuhe ab, stützte sich mit dem freien Ellenbogen auf der Lehne ab und ließ die Füße gekreuzt auf der Tischplatte ruhen.
»Erzähle! Um welche neuen Absatzmärkte handelt es sich?«
»Er hat Kontakte mit Gebrauchtwagenzentralen in den Nachbarstaaten aufgenommen. Nur wenige bleiben in Benin. Viel geht inzwischen nach Burkina Faso, Togo und Ghana. Die meisten finden den Weg in den Niger. Das Land ist gut entwickelt, die Einwohnerzahl am höchsten und dementsprechend gibt es dort das meiste Kapital. Die Leute dort suchen nicht nur gebrauchte Fahrzeuge. Für Neuwagen hat Raphael ein eigenes Areal geschaffen.«
»Wir können Neuwagen liefern?«
»Wir können so viele Wagen liefern, wie wir auftreiben können. In Kenia und Tansania stehen die Leute auf chinesische Autos von FAW aus Changchun. Wir sollten uns dem Trend anschließen und diese Autos auch nach Cotonou liefern lassen. Von dort aus können wir den Markt aufrollen.«
»Ginge das nicht besser von Nigeria aus? Von Calabar zum Beispiel?«
»Dort gibt es auch mehrere große Häfen, die ebenfalls Schiffe mit reichlich Tiefgang vertragen können, aber dort gibt es nicht das Hinterland mit den riesigen Parkplätzen.«
»Dann sollten wir versuchen, ihren Hunger zu stillen und unsere Beziehungen zu FAW ausbauen.«
»Alles schon in trockenen Tüchern. Ich habe mit der Firma telefoniert. Sie erwarten mich in einigen Wochen. Ein genauer Termin hängt von den Bedingungen ab, die wir per Video aushandeln. Wenn alles steht, fahre ich hin.«
»Unsere Nissan und Toyota vertreten wir weiter?«
»Natürlich!«
»Wo ist der neue Sitz der afrikanischen Niederlassung?«
»In Cotonou an der alten Stelle am Rande der Stadt. Das neue Gelände grenzt direkt an das alte. Wir können es zu einer Einheit zusammenlegen. Es gab dort bisher eine Brennerei für Lehmziegel, die im vorigen Jahr abgerissen worden ist. Nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister hat dieser sich dafür eingesetzt, dass Raphael für uns das Gelände günstig erwerben konnte.«
»Er scheint dort gute Beziehungen aufgebaut zu haben.«
»Davon kannst du ausgehen. Er hat bei meiner Ankunft einen Empfang arrangiert, bei dem Leute von Rang und Namen anwesend waren. Offiziell als Eröffnungsfeier für die Erweiterung des Geschäfts.«
»Der Gebrauchtwagenhandel bleibt an Ort und Stelle wie er ist?«
»Genau wie immer. Der Lieferkette startet weiterhin in Rotterdam oder Zeebrugge. Dann geht es per Schiff nach Cotonou. Die Wechselstube im Libanon ist geblieben. Wir wickeln die Deals über den bewährten Agenten ab. Er überweiset die Beträge an die BCB, Beirut Commercial Bank. Diese Schiene arbeitet reibungslos, wie mir Raphael bestätigt hat. Auch die Übermittlung des Codes bleibt, wie sie war. Von diesem Zeitpunkt an bestimmen wir, wohin das Geld geht, zum Beispiel nach China oder Kolumbien. Der Rest landet auf unserem Konto in Luxemburg.«
»Damit ist es sauber.« Kris strahlte und zeigte seinen erhobenen Daumen. Dann kann unser Fond wieder zuschlagen.
Sie nickte zufrieden, während sie an den Strohhalmen zog. »Die Kosten der Transaktion bleiben gleich, auch wenn die Beträge durch die Geschäftserweiterung deutlich höher werden. Es gibt auch keinen Grund für eine Erhöhung, denn die Arbeit bleibt die gleiche. Im Moment ist Beirut ein gutes Pflaster für unsere Geschäfte. Seit die Lagerhalle im Hafen explodiert ist, sind die Behörden nicht so gefragt. Man hat im Moment gute Möglichkeiten, die Bekanntschaft von einflussreichen Leuten zu machen und Firmen zu unterstützen, die in diesen unruhigen Zeiten Geld brauchen. Wir haben schon eine Anfrage einer Versicherung, die beinahe alles in der Stadt versichert hat. Sie braucht jetzt Geld.«
»Wollen Sie ein Darlehn oder …?«
»Ich denke, mit ein wenig Verhandeln könnte man wenigstens dreißig Prozent übernehmen. Aber, lieber Bruder, noch ist nicht die Zeit, sich zu freuen. Gottes Mühlen mahlen langsam.«
»Ich müsste auch mal runterfahren nach Cotonou. Ich war nie dort und kenne den Mann nicht, habe ihn noch nie gesehen. Ich weiß nur, dass er Raphael heißt und Nanas Bruder ist.«
»Vertrauenswürdiger Gentleman. Pechschwarze Haare, knapp zwei Meter, groß, recht gutaussehend, sehr höflich, trug sogar einen Anzug trotz der Schwüle. Er hat sich vor drei Wochen einen Range Rover zugelegt. Schönes Auto. Er hat mich um den Platz fahren lassen.« Sie lachte. »Mehr hat er mir wohl nicht zugetraut. Sie haben es dort unten nicht so mit dem Können der Frauen, jedenfalls nicht beim Autofahren.«
»Dann sollten wir sehen, dass wir die Autos heranschaffen!«
Beatrice schob den Koffer in ihr Zimmer. Kris verzog sich ins Arbeitszimmer. Sie blieb in der Tür stehen.
»Ich habe gestern versucht, dich anzurufen. Du hast dich nicht gemeldet!«, rief sie ihrem Bruder zu. »Zurückgerufen hast du auch nicht.«
»Ich war bei Mike in der Sauna. Handy hatte ich sicherheitshalber im Auto gelassen. Ich bin kurz auf der Liege eingeschlafen. Erst als ich zuhause war, habe ich deinen Anruf bemerkt.«
Sie besuchte ihn im Arbeitszimmer.
»Gestern Abend ist alles gut gelaufen?«, fragte sie.
»Wie ich gehört habe, ist alles glattgegangen. Wieso haben wir von dem Polizeieinsatz nichts gewusst? Hätte vielleicht Ärger geben können.«
»Ich habe es mit Edwin abgesprochen. Er hat seit einigen Monaten einige Leute der Reihe nach gezielt mit der Falschinformation geimpft, dass sich in einem Container Ware befindet, auf die die Bullen scharf