Die Dubharan. Norbert Wibben

Die Dubharan - Norbert Wibben


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wirkt er nach außen ruhig. Er betrachtet Eila, die mit Spuren von Erde und Spinnweben von den Wänden des Kellers verschmutzt ist. Auch im Gesicht hat sie Schmutzstreifen, aber verletzt ist sie nicht.

      Sie gehen zuerst etwas zögernd, gemeinsam nach unten in den Keller, danach vor und neben das Haus. Sie betrachten forschend die vorhandenen Spuren. Die Untersuchungen zeigen, dass sie es mit vorsichtigen und erfahrenen Einbrechern zu tun haben müssen, denn der Kiesweg zeigt keinerlei Fußstapfen. Nur unter dem Badezimmerfenster sind ein paar tiefere Eindruckstellen zu sehen. Ohne Zweifel ist von hier jemand ins Haus eingestiegen. Die Kampfspuren im Keller zeigen eindeutig, dass es sogar zwei gewesen sind. Aber warum im Keller, da gibt es doch höchstens Kartoffeln oder andere Vorräte zu holen? Und warum hatten sie miteinander gekämpft?

      Eila erinnert den Großvater an die Blitze und wiederholt die gehörten und die von ihr benutzten Worte. Brian eilt darauf mit Eila ins Wohnzimmer und sucht im Schreibtisch.

      »Wo ist Großmutters Armreif?«, fragt er aufgeregt.

      »Ist dies der Armreif?«, antwortet Eila und zeigt ihr linkes Handgelenk. Ihr Arm ist eng von einem bronzenen, fingerbreiten, schlichten Reif umschlossen. Bis auf eine strahlende Sonne ist keine Verzierung darauf. Er blickt sie an.

      »Genau, das ist er. Wann hast du den denn angelegt?«

      Eila blickt etwas unsicher.

      »Ich fand ihn heute Morgen, als ich die gestern Abend benutzte Lupe wieder in eine der Schubladen des Schreibtisches zurücklegen wollte. Der Armreif sieht so hübsch aus, dass ich ihn probehalber anlegte. Ich klappte den zweiteiligen Reif um mein Handgelenk zusammen. Es war ein leises klickendes Geräusch zu hören. Gleichzeitig schien der Armreif kurzzeitig etwas Wärme abzugeben. Ich bekam den Verschluss nicht wieder geöffnet und wollte dich später danach fragen.«

      Brian steht ruhig da und überlegt einige Zeit. Schließlich nimmt er einen seltsamen Gegenstand aus Bronze aus einer der Schubladen. Zum Teil sieht er wie ein altmodischer Brieföffner aus. Der Griff ist aber wie ein Monokel geformt, das einen weißen Kristall einfasst. Nun sucht er in den Bücherregalen, nimmt nacheinander zwei alte, dicke Bücher heraus und legt sie auf den ovalen Tisch.

      Brian hält die Messerseite des Brieföffners an das Gelenk des Armreifs und murmelt: »Aperio«. Der Reif ist für einen kurzen Moment etwas warm, ein Klack ist zu hören und der Verschluss ist geöffnet.

      Eila staunt ihren Großvater ungläubig an: »War das jetzt — Magie? Du hast den Armreif doch kaum berührt.«

      »So etwas in der Art«, entgegnet er. »Ich werde gleich eine Erklärung versuchen, dabei hilft mir das Buch«, lächelt er. »Habe also etwas Geduld.«

      Beide setzen sich an den Tisch. Eila ist aufgeregt, während Brian bedächtig in dem ersten Buch zu blättern beginnt. Ziemlich weit hinten schlägt er es dann auf. Eila erkennt verschiedene Symbole, die wie alte Zeichen aussehen. Es sind Runen, gefolgt von längeren Textpassagen. Brian nimmt erneut den Brieföffner. Er hält diesmal den Griff mit dem Kristall an den Armreif.

      »Kannst du die Runen auf beiden Innenseiten erkennen?«, fragt er.

      Tatsächlich erscheinen dort nach kurzer Zeit mehrere der im Buch dargestellten Runen. Aufgeregt zeichnet Eila die Symbole auf ein Blatt Papier. Danach vergleichen beide die Zeichen mit den Symbolen im Buch und lesen die zugehörigen Texte. Nach längerem Rätseln, Interpretieren, Verwerfen und wieder Probieren, sind beide sicher, dass folgende Übersetzung die richtige ist:

      Der Armreif stärkt den Auserwählten,

      der Armreif schadet jedem Anderen.

      Großvaters Augen glänzen und seine Wangen sind, genau wie Eilas, leicht gerötet.

      »Was bedeutet das«, will Eila aufgeregt wissen.

      »Warte noch etwas.«

      Er öffnet das zweite Buch, blättert kurz darin und fordert sie dann auf, die von ihm gezeigte Stelle zu lesen. Mit Staunen stellt sie fest, dass dies die Geschichte ist, an die sie sich vorhin im Keller erinnerte. Die von ihr genutzten Worte wirkten genauso, wie sie in diesem Buch beschrieben werden. Eila schaut erstaunt auf den Titel des Buches, er lautet: »Anwendung magischer Sprüche«.

      Eila denkt an die zurück liegende Unterhaltung mit Anna. Genau dieses Buch wollte sie studieren.

      »Also sind das magische Worte, die ich benutzt habe. Aber warum kann ich damit überhaupt eine Wirkung erreichen?«

      »Weil du eine Hexe bist, also ein weiblicher Zauberer! Die Fähigkeiten oder Kräfte eines Zauberers werden durch bestimmte Gegenstände verstärkt. Maireads Armreif ist ein sehr mächtiger Verstärker. Auch wenn du nicht ausgebildet bist, der Armreif hat dich unterstützt, als du diesen magischen Spruch sagtest.« Eila starrt den Großvater an, weiß nicht was sie sagen soll. »Auch wenn das unglaublich klingt, es ist wahr. Das wird eindeutig durch das bewiesen, was du gerade erlebt hast.«

      Eilas Gedanken überschlagen sich, ist es möglich, dass sie eine Hexe ist? Aber das kann doch nicht sein!

      »Bist du ein Zauberer? Du hast gerade ein Wort gesprochen, worauf sich der Armreif öffnete. Außerdem scheinst du die Zeichen in dem Armreif bereits vorher gesehen zu haben.«

      »Nein, mein Kind, ich bin kein Zauberer. Deine Großmutter war eine sehr berühmte Hexe mit großer, magischer Kraft. Sie hat mir auch die Zeichen in dem Armreif gezeigt. Von ihr habe ich einige Worte gelernt. Um sie anwenden zu können, muss ich aber ein Hilfsmittel nutzen. Das hat mir Mairead beigebracht. Ein derartiges Hilfsmittel ist dieses Ensiculus Chartorum.«

      »Vielleicht erinnerst du dich daran, dass deine Großmutter öfter mal für kurze Zeiten abwesend war. Sie unterstützte andere Zauberer im Kampf gegen böse Zauberer und deren Anhänger. Sehr oft konnte sie andere vor dem Tod erretten und das Bösen zurückdrängen. Mairead war in ihrem letzten Jahr sehr unruhig. Entweder merkte sie, dass ihre Zeit bald zu Ende ist, oder dass eine Bedrohung heraufzieht. Sie hat entgegen ihrer sonstigen Art den Armreif kaum noch abgelegt. Darum denke ich, sie spürte, dass die bösen Zauberer stärker werden.

      Der Armreif hat eine magische Bedeutung, obwohl er für mich immer nur ein normaler Reif war. Sie beauftragte mich, ihn dir an deinem 18. Geburtstag, zusammen mit einem Brief, zu geben, falls sie dann nicht mehr leben sollte.« Er macht eine Pause. »Ich denke, dass du ihn unbedingt bereits jetzt lesen solltest! Das, was soeben im Keller geschehen ist, gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht!«

      Er steht langsam auf.

      »Ich hole dir jetzt diese Nachricht. Ich denke, sie hat dir darin aufgeschrieben, was du wissen musst.«

      Brian geht durch den Flur nach oben in sein Schlafzimmer und kommt nach kurzer Zeit ins Wohnzimmer zurück. Er setzt sich neben Eila und gibt ihr mit zitternden Händen einen verschlossenen Umschlag, während eine Träne über sein verwittertes Gesicht läuft.

      »Dies ist Maireads Vermächtnis«, sagt er leise und mit bewegter Stimme, »bitte lies es.«

      Quer über den Umschlag steht geschrieben:

      »Nur für Eila und nur von ihr zu öffnen!«

      Der Brief ist mit einer Schnur umwickelt, die mit einem Siegel gesichert ist. Das Siegel zeigt den Abdruck der Sonne von dem Armreif.

      Eila zerbricht das Siegel und wickelt die Schnur ab. Mit dem Brieföffner schlitzt sie vorsichtig den Umschlag auf und entnimmt ihm mehrere, eng beschriebene Bögen Papier. Sofort erkennt sie Großmutters zierliche Schrift, mit deren klaren, feinen Buchstaben.

      »Mein Sonnenschein!

      Wenn du dies liest, kann ich dir viele wichtige Dinge nicht mehr mitteilen, ich bin dann bereits gestorben.

      Was ich niederschreibe, soll dir bei deiner nun anstehenden Ausbildung zum Zauberer helfen.

      Genau, du liest richtig und ich bin nicht gaga!

      Falls


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