Liebe und Alltag in der DDR. Helena Zauber
wir aufeinander zu. Wir sprachen kein Wort. Schauten uns in die Augen und weinten. Es war eine Mischung aus Freudentränen, dass wir uns wiedersahen und Traurigkeit darüber, dass ja alles erst begann. Hannes konnte als erster von uns beiden reden und sagte: „Komm schnell, lass uns erst mal ein Ende weg gehen. Ich will keinem von denen begegnen!“
Ich brauchte noch eine Weile, bevor ich reden konnte, sah Hannes von der Seite beim gehen an und dachte:
„Oh je, mein armer, armer Fratz. Was haben sie mit Dir gemacht?“
Hannes bemerkte meine Blicke und zog mich auf eine Bank. Jetzt umarmte und küsste er mich voller Kraft und Leidenschaft. Ich bemerkte, dass seine Küsse salzig schmeckten oder waren das meine Tränen, die ich bemerkte. Ich sah ihm in die Augen. Diesen Blick werde ich nie vergessen. In seinen Augen war die pure Verzweiflung zu sehen. Augenblicklich begriff ich, so geht das nicht. Wir müssen in der wenigen Zeit, die wir jetzt verbringen können fröhlich sein und unsere Zweisamkeit genießen. Zum Glück war schönes Wetter, ich entdeckte in der Nähe einen Park und sagte:
„Komm, mein Hannes, lass uns dorthin gehen und einwenig reden, küssen dabei und aus diesem Tag das Beste machen. “
Ich nahm Hannes an die Hand und er ließ sich bereitwillig von mir in den Park ziehen. Dort küssten wir uns ausgiebig, mal wild, mal zärtlich und langsam kam ein Lächeln auf sein Gesicht. Nun plapperte ich los, was mir einfiel. Bestellte Grüße von allen möglichen Leuten aus der Firma, von Ella und Olaf. Langsam gewöhnten wir uns an die Situation und wurden ruhiger. Vorsichtig löste ich mich aus seinen Umarmungen und sagte lächelnd:
„Jetzt könnte ich was essen. Heute Morgen habe ich keinen Bissen runter bekommen und Du siehst auch so aus, als könntest du was vertragen.“
Hannes stimmte mir zu und meinte:
„Ein paar Häuser weiter soll es ein gutes Restaurant geben. Lass uns dort mal schauen.“
Er gab mir einen Kuss und dann gingen wir Hand in Hand wieder zurück an die Straße, von wo aus wir die Gaststätte schon sehen konnten. Wir gewöhnten uns immer mehr an die Situation und machten wirklich das Beste daraus.
Sofort nachdem ich am 18. 5. nach der Vereidigung wieder in Greifswald war, um 22:10 Uhr setzte ich mich in unser kleines Zimmer und beschloss den Tag, positiv zu beenden und aufmunternde Worte an Hannes zu schreiben.
„
Mein lieber Fratz, Hannes!
Ich freue mich schon auf den nächsten Sonntag in zwei Wochen.
Jedenfalls war es ein schöner Tag heute. Hoffentlich haben wir diese Tage mindestens einmal im Monat!“
Bei der NVA war es so, dass nur 15 % der Soldaten täglich in Ausgang durften, In der Woche abends, an den Wochenenden ab 9:00 Uhr. Um 24:00 Uhr mussten sie wieder in der Kaserne sein. Hannes hatte mir das gesagt.
Ich brachte noch meine Hoffnung zum Ausdruck, dass es beim nächsten Mal mit der Rostocker Wohnung meiner Kollegin klappt, dann verabschiedete ich mich bis zum nächsten Tag.
Da ging es meiner Freundin Konstanze und ihrem Frank nicht so toll und so schrieb ich Hannes:
„Na, sie hatte das am Samstag vielleicht beschissen. Seine und ihre Eltern waren mit zur Vereidigung. Sie waren erst bis 14:00 Uhr in Demmin in einer Kneipe. Dann durften sie sich drei Stunden lang mit den Eltern unterhalten und sich nicht weiter als 60 Meter von denen entfernen. Um 18:00 Uhr kam dann ein Tatra und hat alle Soldaten wieder eingesammelt.
Die beiden Mütter haben die ganze Zeit nur geheult. Da kannst Du Dir ja vorstellen, was sie von ihrem Frank hatte. Samstag hat Frank das erste Mal Ausgang ab 14:00 Uhr. Da will Konstanze dann alleine hinfahren.“
Ich schrieb noch, dass ich den Sonntag mit Freundinnen verbringen werde und dass ich mich über eine ärgere. Wo ich nun Gardinenstangen herbekomme und das Geld dafür. Offensichtlich hatte ich vor, einige Schallplatten (eine von Frank Schöbel) und Kassetten beim An- und Verkauf zu verkaufen. Dann auch wieder die Hoffnung, dass es in zwei Wochen mit der Bude, wie ich es im Brief nannte, klappt und ich Manuela noch mal geschrieben habe. Auf der siebten Seite des Briefes dann eine große Liebeserklärung an meinen Hannes:
„Ach Fratz! Mein lieber Hannes! Ich glaube ganz fest daran, dass wir nicht zu den
50 % Ehepaaren gehören, die während der Armeezeit auseinander gehen. Langsam komme ich auch zu der Überzeugung, dass ich noch nie einen Mann so geliebt habe wie Dich! Das waren doch alles im Grunde genommen nur oberflächliche Verhältnisse. So ein anhaltendes Gefühl, wie bei Dir hatte ich noch nie. Das steigt immer wieder in mir hoch. Ich weiß auch nicht. Sicher wird sich unsere Liebe bewähren, wie man so schön sagt. Ich bin davon fest überzeugt. Und Du brauchst Dir deswegen keine Gedanken zu machen. Glaub mir, Du brauchst keine Angst zu haben! Das Wort Angst ist eigentlich blöd, nicht der richtige Ausdruck dafür. Man glaubt fest aneinander und hat trotzdem Angst? Das haut irgendwie nicht hin. Höchstens Angst in dem Sinne, dass dem Anderen irgendwas zustößt. Das ja! Aber im Bezug auf unsere Liebe habe ich keine Angst! Ich hoffe, dass Du verstehst, was ich meine. Ich liebe Dich eben! Und das wird auch so bleiben, auch wenn wir uns lange nicht sehen können, bzw. lange nicht so wie immer zusammen sein können!“
Hatten wir darüber zur Vereidigung gesprochen? Immerhin kannte jeder einen, der einen kannte, bei denen die Ehe während der NVA-Zeit auseinander ging.
Ich bin schon ganz gespannt, was Hannes darauf geschrieben hat. Immerhin hatte er auch schon am 19. 5., einen Tag nach der Vereidigung geschrieben, aber da hatte er ja meinen Brief mit der Liebeserklärung noch nicht.
Se
in Brief nach der Vereidigung
„Mein lieber Fratz! So nun bist Du wieder weg, ist mir aber auch unwahrscheinlich schwer gefallen. Ich liebe Dich ganz doll!“
Dann schrieb er, dass er sofort den Spieß gefragt hat, wie das geht mit dem „Ausgang beantragen“ und dass er das gleich machen wird für den Sonntag in zwei Wochen.
Dann seine Frage:
„Du kommst doch so oder so, nicht wahr?“
Hannes meinte, dass ich ihn auch sonntags in der Kaserne besuchen kann, wenn er keinen Ausgang bekommt. Ich erinnere mich, dass wir dort tatsächlich mal in einem ungemütlichen Aufenthaltsraum mit anderen Soldaten und deren Besuchern saßen.
Ich hatte Kuchen usw. mitgebracht. Es war fürchterlich! Aber der Brief endete nicht
ohne eine Bestellliste mit Sachen, die ich mitbringen sollte.
6. Kapitel
S
chon am 20. 5.
„Sie hat gleich zwei Briefe geschrieben und per Einschreiben zur Post gebracht. Einen an das ZK der SED und einen an den Chef von Franks Truppe.“
Da bin ich heute gespannt, was daraus geworden ist. Ich vermute mal, es ist gut für Konstanze ausgegangen. Denn in dem Brief schlug ich noch vor, dass Konni ja dann während der Armeezeit der Männer mit in unsere neue Wohnung ziehen könne und ich dann sogar Miete bekäme. Aber ich erinnere mich sehr genau, dass sie nie in unsere Wohnung ziehen musste.
Dann beschreibe ich, dass das Geld, was ich für Schallplatten und Kassetten bekommen habe für Gardinenstoff gereicht hat, dass ich Flurmöbel und Gardinenstangen gekauft habe. Ich erinnere mich daran genau, ich musste es nehmen, wenn es diese Sachen gab. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass es das so in einer Woche wieder gab. Sämtliche Möbel konnte ich