Leuchtenstadt. Daniel Wächter

Leuchtenstadt - Daniel Wächter


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Mall of Switzerland war ein gutes Beispiel hierfür.

      In den Augenwinkeln bemerkte Bussmann, wie sich Regierungsrat Bachmann angeregt mit einem weiteren Herrn mittleren Alters in einem dunkelgrauen Sakko unterhielt und dabei versuchte, möglichst unauffällig die aufgestellte Chipsschale zu leeren. Auf den zweiten Blick erkannte Bussmann, dass es sich bei dem Mann im Sakko um Peter Isenring handelte, einem der Vertreter des Kantons Luzern im Nationalrat und zugleich Parteikollege Bachmanns.

      Freilich nicht fehlen durfte Stadtpräsident Hösli, dieser schlich durch die Menge, sichtlich in der Hoffnung, dass ihn jemand ansprechen möge. Doch diesem Wunsch schien niemand Folge zu leisten.

      Riesige Plakate kündeten den Star des heutigen Abends an, doch Bussmann bezweifelte, dass alle der Musik wegen hierher gekommen waren.

      „Ach, ich freue mich auf seine Interpretation von Beethovens Neunte!“, freute sich Ingrid an seiner Seite und hakte sich bei ihm ein. Bussmann gab ein zustimmendes Brummen von sich, von klassischer Musik verstand er etwa so viel wie eine Kuh von der deutschen Sprache. Beethovens Neunte kannte er nur wegen Freude, schöner Götterfunken.

      Die Tore zum gigantischen Konzertsaal wurden geöffnet und die Leute strömten hinein, auf der Suche nach ihrem zugewiesenen Platz. Auch Ingrid und Bussmann nahmen ihre Plätze ein. Die Bühne wurde noch von einem gigantischen Vorhang vor den Blicken der neugierigen Zuschauer geschützt.

      Dann brandete Applaus auf, als Poroschenko mit einem Mikrofon die Bühne betrat. Gleichzeitig öffnete sich der Vorhang und sein Cello erschien, sehr zur Freude der Anwesenden.

      „Guten Abend, meine Damen und Herren!“, begann Poroschenko in bemühtem Deutsch. Den Rest der Eröffnungsrede hielt er in beinah akzentfreiem Englisch. Um nicht gerade als ultimative Kulturbanause zu gelten, hatte sich Bussmann mit der Biografie des ukrainischen Cellisten vertraut gemacht: Dieser war bereits zu Zeiten der Sowjetunion ein gefeierter Star innerhalb dieser gewesen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der damit verbundenen Unabhängigkeit Kiews von Moskau war Poroschenko in die USA gereist und hatte sich zunächst den New Yorker Philharmonikern angeschlossen, später hatte er auch Konzerte in Berlin, Wien und Tokio gegeben. Für Luzern war der Auftritt Poroschenkos ein weiterer Meilenstein auf dem Weg, in die erste Riege der weltweiten Musikstädte aufzusteigen.

      Begleitet wurde Poroschenko von den Musikantinnen und Musikanten des Luzerner Symphonieorchesters. Dieses nahm gerade im Orchestergraben Platz, der Dirigent richtete sich an seinem Pult ein. Erste Stimmtöne der Instrumente erklangen.

      Zur selben Zeit befragte Korporal Welti Elisabeth Zwyssig, der Witwe des erschossenen Stadtrates, im Haus der Familie im Rothenhof im Stadtteil Reussbühl. Ihr zur Seite standen die beiden gemeinsamen Kinder, Sohn Florian und Tochter Jessica, beide in den Mittzwanzigern. Nicht dabei war Yannick, das dritte und jüngste Kind der Familie Zwyssig. Seit der Nachricht über den Tod seines Vaters hätte Yannick kein Wort mehr gesagt und wäre wie jeden zweiten Tag ins Handballtraining nach Kriens gefahren.

      Die Augen aller dreien waren verweint und Welti brachte es kaum übers Herz, seine Fragen zu stellen.

      „Wissen Sie, ob Ihr Ehemann einen gewissen Thomas Eiholzer gekannt hatte?“

      „Den Lokführer?“, schniefte Elisabeth, Welti nickte. „Ja klar, die beiden waren die besten Freunde!“

      „Wir durften mal mit Thomas im Führerstand über den Gotthard!“, schaltete sich Florian mit seinen Erinnerungen ein. „War eine ganz tolle und schöne Sache!“

      „War irgendwas vorgefallen? Trachtete jemand nach dem Leben der beiden?“, fuhr Welti mit seinem Fragenkatalog fort. Er tat dies sichtlich ungerne, doch wollte er mit den Ermittlungen vorankommen, wollte Bussmann etwas präsentieren, während dieser sich von einem ukrainischen Cellisten die Ohren zugeigen liess.

      „Ich wusste von Hansruedi, dass Thomas Probleme mit seinem Vorgesetzten hatte. Dieser hatte offenbar exzessives Mobbing betrieben. Hansruedi wollte als neutraler Vermittler helfen, was bei den SBB und insbesondere diesem Vorgesetzten nicht gerne gesehen worden wäre.“

      Kapitel 13

       Kultur- und Kongresszentrum KKL, Luzern, Schweiz

       März 2019

      Das Konzert im KKL strebte seinem Höhepunkt entgegen. Joe Friedman, der Dirigent des Luzerner Symphonieorchesters, wirbelte seinen Dirigentenstab zu Beethovens Neunte durch die Luft, Poroschenko startete zu einem Crescendo, welches in einem fulminanten Forteforttissimo gipfelte, während der Chor der Nationen die von Friedrich Schiller gedichteten Zeilen der Ode an die Freude an die Decke des Konzertsaales schmetterte:

       Freude schöner Götterfunken,

       Tochter aus Elysium,

       wir betreten feuertrunken,

       himmlische den Heiligtum!

      Auch wenn Bussmann klassischer Musik grundsätzlich wenig abgewinnen konnte, überkam ihn bei diesem gigantischen Erlebnis dennoch eine Gänsehaut. Bereits bei der klangvollen Darbietung von Ramin Djawadis Intro zur HBO-Serie Game of Thrones war ihm ein Schauer über den Rücken gelaufen. Allerdings war da nicht Poroschenko im Mittelpunkt des Geschehens gestanden, sondern der Solo-Fagottist, dessen geschwungene Interpretation des Themas durch den Saal schwebte.

      So bekam Bussmann auch nicht mit, wie sich tief in seinem Innern bei seinem Instinkt eine gewisse Gefahrenwitterung breitmachte.

      „Yannick? Was ist denn los?“ Silvan Heimgartner, Trainer der zweiten Mannschaft des HC Kriens, nahm seinen Schützling beiseite. Er hielt grosse Stücke auf Yannick, mit dessen 19 Jahren war er mit einer überragenden Spielübersicht gesegnet und gemäss Silvan wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Yannick ins Kader der ersten Mannschaft aufgenommen würde.

      Ein Schritt, der Silvan immer verwehrt geblieben war, trotz des gigantischen Trainingsaufwandes, den er immer betrieben hatte. Deshalb war es sein innigster Wunsch, dass es einem seiner Schützlinge vergönnt war, eine grosse Karriere anzustreben. Eine Karriere, welche nicht nur in den Wänden der Krauerhalle eingekesselt war, nein – die ihn in die grossen Schweizer Hallen führte, wie diejenigen der Kadetten Schaffhausen, von Pfadi Winterthur oder in die Zürcher Saalsporthalle, der Heimat von GC Amicitia. Auch die Champions League sollte er erobern können. Zur Zeit hatte Yannick die besten Karten – doch nun liess seine Leistung bei diesem Training zu wünschen übrig.

      Als Yannick keine Antwort geben wollte, packte Silvan diesen an den Schultern und schüttelte ihn durch.

      „Yannick, rede mir mir! Es ist nicht schlimm, einen Wurf danebenzusetzen!“

      Als Yannick immer noch keine Antwort geben wollte, Silvan aber Tränen in dessen Augen bemerkte, umarmte er ihn. Jetzt brachen bei Yannick alle Dämme.

      „Mein Papa wurde erschossen!“

      Wenig später sass Yannick im Fond von Silvans Mitsubishi Colt, der von seinem Besitzer aus der Tiefgarage des Hofmatt-Krauerhalle-Komplexes gelenkt wurde.

      „Ich fahre dich nach Hause!“, hatte Silvan bestimmt gesagt und alle Proteste Yannicks im Keim erstickt.

      Frenetischer Applaus erklang, als Poroschenko zum letzten Mal sein Cello strich und den Saal akustisch zum Beben brachte. Die Zuschauerinnen und Zuschauer huldigten den Ausnahmekünstler, aber auch das Symphonieorchester mit Standing Ovations.

      Überwältigt von den Reaktionen des Publikums verbeugte sich der Cellist mehrere Male und verteilte Kussmünder in Richtung der Zuschauerränge. Bussmann lächelte. Es war ein grossartiges Konzert gewesen.

      Doch dann ertönten dumpfe Knalle, ein Teil des Vorhangs stürzte ein. Menschen schrien, Poroschenko duckte sich im Orchestergraben, gerade noch rechtzeitig, sonst wäre er von der herunterfallenden Vorhangsaufhängung erschlagen worden. Diese krachte mit voller Wucht auf den Bühnenboden, zerbrach und wirbelte Staub auf.

      Rauch


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