Leuchtenstadt. Daniel Wächter

Leuchtenstadt - Daniel Wächter


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er hatte von der Autolawine, die bereits jetzt im Zentrum Luzerns herrschte, die Nase gestrichen voll. Noch mehr Beton sollte seiner Meinung nach nicht verbaut werden.

      Er unterquerte das TEKO-Gebäude, welches die Obergrundstrasse überspannte, und hielt auf das Stadthaus zu.

      Er bemerkte nicht, dass er vom Vorplatz der Pfarrkirche St. Maria zu Franziskanern aus observiert wurde.

      Kapitel 10

       Hauptquartier Luzerner Polizei, Kasimir-Pfyffer-Strasse, Luzern, Schweiz

       März 2019

      „Herr Kost. Wir haben Ihre Karriere analysiert...“, begann Staatsanwältin Gisela Wyniger, erntete aber nur ein zynisches Lachen.

      „Dann sind Sie ja fast wie mein Chef!“, warf er ein, doch Wyniger liess sich nicht beirren.

      „Sie waren im Militär bei den Infanteristen als Scharfschützen eingeteilt! So konnten Sie Eiholzer aus nächster Nähe erschiessen!“

      Kost lachte auf. „Glauben Sie, dass eine sinnlose Übungsreihe im jurassischen Wald mir die Ausbildung gegeben hätte, einen Menschen aus dutzenden Metern Entfernung abzuknallen? Meine Güte, für eine Staatsanwältin sind sie enttäuschend naiv!“

      Welti wollte gerade intervenieren und der Staatsanwältin zur Seite gehen, als Vitus Bussmann ohne anzuklopfen in den Verhörraum stürmte. In leisen Worten besprach er etwas mit Welti und Wyniger. Deren Mienen verdüsterten sich. Dann drehte sich Staatsanwältin Wyniger zu Kost um.

      „Vielen Dank, Herr Kost. Sie können nun gehen, wir bitten Sie aber, die Stadt nicht zu verlassen und sich stets zu unserer Verfügung zu halten!“

      „Die Stadt nicht verlassen? Meine Güte, ich bin Lokomotivführer! Soll ich etwa immer zwischen dem Bahnhof und dem Verkehrshaus hin- und herfahren?“

      „Das ist mit Ihrem Arbeitgeber bereits geklärt!“

      „Wir haben ein zweites Opfer!“, eröffnete Bussmann die Sitzung. Auch Marlies Kost wurde unter Vorbehalt entlassen. Anwesend waren wieder die üblichen Verdächtigen wie Kripochefin Eichenberger, Sauter, Sabrina und Staatsanwältin Wyniger. Selbst Regierungsrat Bachmann hatte sich eingefunden. Nur Christian Welti fehlte; er hatte die Leitung der Ermittlung vor Ort übernommen, dies hauptsächlich, um Bussmann zu entlasten.

      Bussmann drückte auf eine Fernbedienung, auf der Leinwand hinter ihm erschien das Portrait eines Mannes Anfang Fünfzig mit Nickelbrille, zurückweichendem Haar und Spitzbart.

      „Hansruedi Zwyssig, Stadtrat und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Luzern. Heute vor dem Eingang des Stadthauses am Hirschengraben tot aufgefunden!“

      „Gibt es Parallelen zum Fall Eiholzer?“, fragte Sabrina.

      Bussmann nickte. „Deshalb mussten wir die Kosts vorerst laufen lassen. Für die zweite Tat hatten beide ein Alibi, sie sassen bei uns im Verhörraum. Bei Zwyssig wurde dieselbe Munition verwendet wie bei Eiholzer, auch sein Kopf ist zur Unendlichkeit explodiert, entschuldigt bitte den Ausdruck!“

      „Gab es Zeugen?“, fragte Sauter. Bussmann schüttelte den Kopf.

      „Niemand wollte etwas gesehen oder gehört haben!“

      „Sie müssen diesen Fall so schnell wie möglich aufklären!“, forderte Bachmann. Auch wenn er in politischer Sicht das Heu nicht auf derselben Bühne wie Zwyssig hatte, war er zutiefst besorgt. Dann verliess Bachmann den Raum.

      „Leute, jetzt gilt es ernst: Wir müssen dem Täter auf die Schliche kommen, bevor er ein drittes Mal zuschlägt. Wir müssen alle Spuren verfolgen, am ehesten mal einen gemeinsamen Nenner zwischen Eiholzer und Zwyssig finden!“

      Das Luzerner Stadthaus wurde von diversen Polizeibeamten auf den Kopf gestellt. Zwyssigs Ratskollegen wurden vernommen, die Büros durchsucht und Unterlagen konfisziert.

      „Wussten Sie, ob Stadtrat Zwyssig einen gewissen Thomas Eiholzer kannte?“, fragte Bussmann Stadtpräsident Bruno Hösli. Dieser zuckte mit den Schultern.

      „Was wir Politiker ausserhalb des politischen Lebens tun, sollte Privatsache sein. Aber leider scheint sich nicht nur die Boulevardpresse die Finger danach abzulecken, sondern auch die Polizei...“

      „Herr Stadtpräsident, dies ist eine offizielle Ermittlung und deshalb ist jedes Detail aus dem Leben der Verstorbenen wichtig.“

      „Ich wünschte, ich könnte Ihnen weiterhelfen!“

      Als Christian Welti nur kurz nach Bussmanns Information beim Stadthaus vorgefahren war, erblickte er eine chaotische Situation vor Ort. Um die Leiche Zwyssigs, welche direkt vor der Eingangspforte auf dem Trottoir des Hirschengrabens lag, hatten sich etliche Schauslustige versammelt, welche erst durch die Martinshörner der anbrausenden Streifen- und Rettungswagen die Polizei und die Sanität wahrnahmen.

      Gefunden hatte Zwyssigs Leiche Melinda Bührer, Serviceangestellte beim nahen Hotel Stern. Sie war auf dem Weg in Richtung Bahnhof, als sie den zusammenbrechenden Zwyssig erblickte.

      „Ich dachte zuerst, er hätte einen Herzinfarkt. Erst beim Näherkommen sah ich, dass sein Kopf völlig zerfetzt war“

      Die Frage, ob sie etwas gehört oder gesehen hatte, beantwortete sie mit einem Kopfschütteln.

      „Hier ist das Regionaljournal Zentralschweiz von Radio SRF!“, dröhnte die Stimme des Moderators aus den Boxen Bussmanns Autoradios. „Unser Topthema: Der Sniper hält Luzern in Atem. Vor ein paar Stunden wurde Stadtrat Hansruedi Zwyssig am Eingangstor zum Stadthaus am Hirschengraben ermordet aufgefunden. Alle Spuren deuten auf den Heckenschützen hin, der bereits gestern einen Lokomotivführer beim Depot in der Neustadt erschossen hatte. Die weiteren Meldungen des Tages...“

      Bussmann drehte der sympathischen Radiostimme den Saft ab. Im Fond seines Wagens sass Hösli. Der Stadtpräsident hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass der Kommissar höchstpersönlich ihn zurück ins Stadthaus chauffieren möge – obwohl der Fussweg zwischen der Kasimir-Pfyffer-Strasse und dem Stadthaus Nur wenige hundert Meter betragen würde. Hösli sah dies allerdings quasi als Entschädigung, dass ihm wertvolle Arbeitszeit gestohlen wurde. Bussmann hatte nicht viel gesagt, er nahm die Fahrt gerade als Anlass, sich ein wenig in Zwyssigs Büro umschauen zu können. Deswegen hatte er den bissigen Kommentar heruntergeschluckt, dass die Autofahrt – dem Umweg via Pilatusplatz sei Dank! – länger dauern würde als der Fussweg.

      An besagtem Pilatusplatz vollzog Bussmann ein waghalsiges Wendemanöver und fädelte sich in den dichter werden Verkehr Richtung Obergrundstrasse ein. Beim Franziskanerplatz setzte er den rechten Blinker und stellte den Wagen mit Warnblinker und Blaulicht vor den Eingang zum Stadthaus. Zwei Streifenwagen der Luzerner Polizei waren noch vor Ort, der Fundort von Zwyssigs Leiche war abgeriegelt. Daneben stand Welti, dieser unterhielt sich mit Dr. Anneliese Roth, Leiterin des Pathologischen Instituts und einem Mann mit langem, grauen Bart, den Bussmann beim Näherkommen als Dr. Furrer, Leiter des Forensischen Dienstes der Kantonspolizei Zürich identifizierte. Dieser war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und kam auch ausserhalb des eigenen Kantonsgebietes zum Einsatz.

      Kapitel 11

       Aubervilliers, Île-de-France, Frankreich

       März 2019

      Saïd erklomm die Stufen und verfluchte den defekten Aufzug. Pierre hatte ihm einen Zettel mit dem letzten Hinweis überreicht; sein Ziel war die zweite Wohnung rechts auf der sechsundzwanzigsten Etage. Der Chauffeur hatte noch vor der Eingangstür auf dem Absatz kehrt gemacht und war zu seinem Tesla zurückgekehrt.

      Die Wohnung war gross, im Wohnzimmer waren sechs Männer um einen Tisch versammelt. Die Wohnungstür war offen gewesen, Saïd hatte geklopft und war nach einer gerufenen Aufforderung eingetreten. Die Männer musterten ihn und nickten.

      „Ja,


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