Leuchtenstadt. Daniel Wächter

Leuchtenstadt - Daniel Wächter


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regelrecht.

      Kapitel 2

       Mall of Switzerland, Ebikon, Schweiz,

       März 2019

      „Vitus!“, erklang die schrille Frauenstimme durch die Regale des Migros-Supermarktes in der Mall of Switzerland.

      Major Vitus Bussmann, nebenberuflich Leiter der Fachgruppe Delikte Leib und Leben und zugleich stellvertretender Chef der Luzerner Kriminalpolizei und hauptberuflich Ehemann von Ingrid, verdrehte genervt die Augen, ehe er tief seufzte und den bereits überquellenden Einkaufswagen in Richtung seiner Frau bugsierte, welche ihn zu sich gerufen hatte.

      Als er in die richtige Regalreihe einbog, erblickte er, wie seine Frau mit zwei Werkzeugkistensets in beiden Händen wedelte.

      „Welches sollen wir nehmen?“, fragte sie. Bussmann seufzte abermals. Vor einigen Wochen hatte Ingrid durch eine Heimwerkersendung Blut geleckt und fortan beschlossen, ihre Wohnung eigenhändig umzubauen.

      „Wir haben fast keinen Platz mehr!“, flehte Bussmann, ohne Erfolg; Ingrid warf gleich beide Koffer auf den Wagen, was die Lebensmittelpackungen darunter bedrohlich knacken liess.

      Bussmann konnte es auch nicht verstehen, wieso die Filialen von Migros und Coop in der Hofmatt beziehungsweise im Schappe-Center nicht mehr für den Einkauf genügten, und man stattdessen in diesen überflüssigen Konsumtempel in Ebikon gehen musste. Dabei hätten sie doch in ihrer Wohngemeinde Kriens einen eigenen – den Pilatusmarkt, der zudem stets fast immer halb leer war.

      Doch Ingrid hatte von ihren Freundinnen nur Gutes gehört, weswegen die Mall of Switzerland nun zum wöchentlichen Pflichtprogramm der Bussmanns gehörte. War die Mall doch zur Zeit hip und total in. Wer etwas auf sich hielt, sollte einer der ersten gewesen sein, der durch die Gänge des Konsumtempels schritt. Und so fühlte es sich im Gedränge auch an. Vitus war sich sicher, in weniger als zwei Monaten wäre er zur selben Uhrzeit alleine hier drin. Er liebte Ingrid ja, aber ihre Freundinnen hatten doch einen eher negativen Einfluss auf sie. Insbesondere diese Annemarie Brunner, welche nach einer Scheidung offenbar ihren zweiten Frühling erleben wollte und wieder zu einem kitschigen Teenagermädchen mutiert war.

      Sohn Luca, gerade fünfundzwanzig Jahre alt geworden, hatte sich galant aus der Affäre gezogen, in dem er das elterliche Nest verlassen und mit Freunden eine WG im Luzerner Tribschenquartier gegründet hatte.

      Irgendwann hatte der Albtraum ein Ende und Bussmann war fast schon erleichtert, als sie sich in die Schlange an der Kasse einreihten.

      Auch wenn Ingrid sehr anstrengend zu sein schien, liebte er sie dennoch sehr. Sie war sein Fels in der Brandung, seine Stütze, wenn ihm bei der Arbeit der Himmel auf den Kopf zu stürzen drohte. Es hatte in seiner langen Karriere schon dutzende Fälle gegeben, bei denen er nach aussen professionell wirkte, aber innerlich beinahe zerbrach. Wie denjenigen des mordenden Pflegers in einem städtischen Altersheim nahe der Grenze zu Kriens oder der Amoklauf in einer Holzverarbeitungsfirma in Menznau, einem beschaulichen Dorf, welches bis zu jener Tat die pure Idylle verkörperte.

      „Schatz, warte doch kurz!“ Diese Worte Ingrids verhiessen nie was Gutes.

      So war es auch diesmal; ehe sich Bussmann versah, war seine Gattin wieder im Laden verschwunden. Da die Schlange vor ihm noch lang genug war, entschloss er sich, dennoch zu warten.

      Eine fatale Entscheidung, denn sie wurde immer kürzer, während Ingrids Abwesenheitszeit immer länger wurde.

      Zu allem Überfluss klingelte noch sein Mobiltelefon. Nervös suchte er all seine Jackentaschen nach dem fiependen Nervtöter ab und als er diesen endlich in den Händen hielt, schien der Anrufer aufzugeben.

      Bussmann entsperrte den Bildschirm seines Smartphones und identifizierte den Anrufer als Frau Oberstleutnant Corinne Eichenberger, Kripochefin der Luzerner Polizei.

      Was war so wichtig, dass Eichenberger ihn an seinem freien Tag anrief? Sie war sonst nie so. Sie musste triftige Gründe haben.

      Er beschloss, zurückzurufen.

      „Eichenberger!“, meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung.

      „Vitus Bussmann hier! Du wolltest mich anrufen!“

      „Genau! Kannst du vorbeikommen?“

      „Jetzt?“, fragte Bussmann verblüfft.

      „Jetzt!“

      „Aber heute ist mein freier Tag!“

      „Das Verbrechen hat nie einen freien Tag!“, konterte Eichenberger und legte auf. Bussmann hatte keine Chance, noch etwas zu erwidern.

      Als Ingrid mit irgendwelchen Malutensilien zurückkehrte, fand sie nur den verlassenen Einkaufswagen vor, von ihrem Mann fehlte jegliche Spur.

      Seufzend stopfte sie ihre Errungenschaften in den bereits übervollen Einkaufswagen und bezahlte. Danach fischte sie ihr Handy hervor und versuchte, Vitus zu erreichen.

      Ohne Erfolg.

      Kapitel 3

       Parkhaus Mall of Switzerland, Dierikon, Schweiz,

       März 2019

      Mit dem provisorisch aufs Dach gehievten Blaulicht brauste Bussmann aus dem Parkhaus des Einkaufszentrums auf die Hauptstrasse Richtung Stadt Luzern. Auf Höhe Schindler überholte er die wegen eines roten Lichtsignals gebildete Kolonne auf der rechten Spur. Sollte er eine Busse kassieren, würde er dies mit den Kollegen der Streife schon regeln.

      Gottseidank hatte er seinen Privatwagen umgerüstet, um auch im zivilen Leben immer für den Einsatz als Polizist vorbereitet zu sein.

      Weil ein solcher Polizist eine Vorbildfunktion innehatte, würde er niemals am Steuer telefonieren, weswegen er Ingrids Anrufversuche gekonnt ignorierte.

      Dass ihn am Abend ein Donnerwetter erwarten würde, war ihm klar. Doch auch Corinne Eichenberger hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass Bussmann dringend gebraucht würde.

      Per Polizeifunk hatte er sich auf den neusten Stand gebracht: Eine männliche Leiche beim Depot der Schweizerischen Bundesbahnen, regelrecht hingerichtet.

      Auf dem Schlossberg drückte Bussmann druckvoll auf die Hupe, da sich ein Autofahrer offenbar nicht dazu überwinden konnte, trotz Blaulicht und Sirene zur Seite zu weichen.

      Als er beim Bundesplatz in die Neustadtstrasse einbog, sah er die ersten Blaulichter in den Fassaden blitzen. Das Polizeiaufgebot sorgte auch für ordentliche Neugierde bei den Anwohnern, etliche Fenster waren geöffnet. Auch vor dem Tatort waren Polizeibeamte damit beschäftigt, Schaulustige wegzuschicken. Vor einem Restaurant stellte Bussmann seinen Wagen zur Seite und schritt auf die Absperrung zu. Bussmanns Augen suchten die Umgebung vergebens nach Corinnes knallrotem Citroën D2 ab.

      Sobald er seinen Dienstausweis gezeigt hatte, wurde Bussmann durchgelassen. Sofort eilte Korporal Pascal Sauter zu ihm, ein noch junger, aber sehr tüchtiger Kollege bei der Kriminalpolizei. Bussmann hielt grosse Stücke auf ihn.

      „Was gibt’s?“, fragte Bussmann statt einer Begrüssung.

      „Eine männliche Leiche auf Depotgelände, regelrecht hingerichtet. Sein Name ist...ich meine, war...Thomas Eiholzer. Er war Lokomotivführer. Ich warne dich, der Anblick ist nichts für zarte Gemüter. Amelie hat gleich neben die Treppe gekotzt!“

      „Jaja“, winkte Bussmann ab. „Ich habe schon viel Schlimmes gesehen! Ist Corinne noch da?“

      Sauter schüttelte den Kopf. „Vor ein paar Minuten abgebraust. Sie bräuchte einen Kaffee, hatte sie gemeint!“

      Doch selbst Bussmann musste beim Anblick des toten Mannes – oder was von ihm übrig geblieben war – leer schlucken. Am Fuss der Treppe erblickte er, in


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