Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
Stunde lebte, wo eine Entwicklung sich geschlossen hatte, wo auf göttlichen Wink die Hülle vom gegossenen Bild fällt und es rund und blinkend vor allen Augen dasteht, nicht mehr fließend, sondern fertig für die Ewigkeit. Dies war gerade den Humanisten des Oberrheins nicht bewusst, sie wollten vielmehr den Schutt wegräumen, damit das alte Fundament zum Vorschein käme und richtig an das Alte anschließend weiter gebaut werden könne. Aber ein Stachel war es ihnen, dass die Deutschen von den kultivierteren Nachbarn als Barbaren bezeichnet wurden. Poggio zum Beispiel, der als Teilnehmer des Konzils sich in Konstanz aufgehalten und in deutschen Klöstern nach alten Handschriften gefahndet hatte, schrieb in einem Brief, die Deutschen seien einst ein kriegerisches Volk gewesen, jetzt wären sie nur stark im Essen und Trinken. „Sind das Menschen?“ sagte er: „Gute Götter, schlaftrunkene, blöde, schnarchende Geschöpfe sind es, niemals nüchtern, den Menschen und Gott verhasst! Ob sie leben oder tot sind, kann man nicht unterscheiden, wenn sie von Wein und Speise überwältigt daliegen.“ Ein anderer Italiener nannte Deutschland eine Räuberhöhle, in der die Edelsten vom Adel die Räuber wären. „Leben ist hier gleichbedeutend mit Saufen.“ Die Barbarei des Geistes sei unglaublich, Freunde der Wissenschaft seien äußerst selten, Freunde der Eleganz gebe es überhaupt nicht, für das Studium der Humanität fehle es an Fassungskraft. Unter solchen Barbaren wohne keine Muse. Derartigen Beschimpfungen sollte ein Bild glanzvoller Vergangenheit, großer Taten deutscher Helden entgegengestellt werden. Aus ähnlicher Stimmung heraus hatte im Anfang des Jahrhunderts Dietrich von Niem (ca. 1345 – 22. März 1418), ein Westfale, der im Dienst des Papstes in Italien lebte, die ersten Züge zu einer deutschen Geschichte entworfen. Er zuerst bezeichnete auch die Deutschen als Nation, das Wort im völkischen Sinne gebrauchend. In einer Zeit beginnender Auflösung ermutigte er sich und sein Volk durch die Erinnerung an das Heldenzeitalter des Reiches unter den großen Kaisern, von denen er Otto I., Magnus Augustus, am höchsten verehrte. Heraufbeschworen durch den Unwillen über eine trübe gewordene Gegenwart, zogen sie vorüber, die blonden Sachsenkönige, die dämonischen Staufer, die geharnischten Ritter, eine gottgeweihte Schar, die ihren Kaiser über die Alpen geleitete, den Westen schützte und den Osten eroberte. Seine Auffassung hat Nikolaus von Cusa und die Humanisten beeinflusst. Jakob Wimpheling, in der elsässischen Reichsstadt Schlettstadt geboren, versuchte als erster nach ihm eine Darstellung deutscher Geschichte unter dem Titel Epitome rerum Germanicarum. Die Herrlichkeit des Imperiums, die völkerbezwingenden Waffentaten ließ er ausmünden in die Zeit der Erfindung Gutenbergs, wo die Hand, die das Schwert führte, im Buchdruck das Wort verbreitete und verewigte, wo der Barbar dem Abendland eine Waffe schenkte, die nicht tötet, sondern lebendig macht, den Samen der Bildung in die Furchen der Zeit streut.
Johannes Gutenberg
Wimpheling hat eine eigene Schrift über die Kunst des Buchdrucks verfasst, die göttliche Kunst oder die deutsche Kunst, wie man sie schlechtweg nannte. Er frohlockte über die große Zahl der meist deutschen Buchdrucker, die in fast allen Ländern, dankbar aufgenommen, Werkstätten errichtet hatten. Indessen war Wimpheling nicht blind für die Fehler seiner Landsleute, die missgünstige Beobachter zu dem Vorwurf der Barbarei berechtigten. Er lobte sie als tapfer, treu, wahrheitsliebend, aber er tadelte ihre Trunksucht und dass der Adel, nur am Krieg und an der Jagd seine Lust findend, sich zu gut hielt, um Bildung des Geistes zu erwerben. Der Adel war gewohnt gewesen, dass seine kränklichen oder zarten Söhne, die lieber über den Büchern als auf dem Rücken der Pferde saßen, dem geistlichen und damit dem gelehrten Stande geweiht wurden; das, was er für einen Mangel ansah, machte sie zu Gelehrten. Das sollte nun anders werden, seit Bildung die Aufgabe hatte, alle in den Menschen gelegten Keime zur Entfaltung zu bringen, einen edlen, vernünftig urteilenden, die äußere und innere Welt nach allen Beziehungen überblickenden Menschen zu formen. Gerade im Westen, an der französischen Grenze, wo man dem Angriff sowohl wie der Verführung unmittelbar ausgesetzt war, konnte sich das Bewusstsein des Deutschtums leidenschaftlich steigern.
Seit es ein Frankreich gibt, hatte Frankreich mit brennender Eifersucht auf das Nachbarvolk geblickt, das Träger des Kaisertums geworden war, wozu sich Frankreich, das Karl den Großen ebenso für sich in Anspruch nahm wie Deutschland, das sich sogar nach seinem Stammesnamen nannte, ebenso berechtigt hielt. Kaum war durch Beendigung des englisch-französischen Krieges Frankreichs Kraft frei geworden, so suchte es von neuem, wie es schon vor diesem Krieg getan hatte, die angeblichen Ansprüche zu verwirklichen, sei es durch kriegerischen Überfall, sei es durch Bestechung.
Ludwig XI. der Kluge (3. Juli 1423 – 30. August 1483), König von Frankreich von 1461 bis 1483. Er war der sechste König aus dem Haus Valois und der zweite der sogenannten Loire-Könige.
Nachdem im Jahr 1444 der Dauphin, der spätere König Ludwig XI., Straßburg belagert hatte, entstand dort eine französische Partei, die den Anschluss an Frankreich wünschte und von französischen Sendungen ermuntert und unterstützt wurde. Im Hinblick auf diese Verhältnisse richtete Wimpheling eine Schrift an den Rat von Straßburg, deren Zweck die Aufforderung war, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen, deren eigentlichen Kern aber die Auseinandersetzung bildete, dass das linksrheinische Gebiet immer den Deutschen, niemals den Franzosen gehört habe, und dass Karl der Große ein Deutscher gewesen sei. Der Rat erhielt die in lateinischer Sprache verfasste Schrift in deutscher Übersetzung. Man hätte sich nicht wundern können, wenn die Straßburger französische Partei die Schrift angegriffen hätte; anstatt dessen kam eine Entgegnung von ganz anderer Seite, von einem jungen Mann nämlich, der sich bisher als Anhänger Wimphelings gebärdet hatte, dem Franziskanermönch Thomas Murner.
Thomas Murner, OFM (24. Dezember 1475 – ca. 1537) war ein deutscher Satiriker, Dichter und Übersetzer. Er wurde in Oberehnheim (Obernai) bei Straßburg geboren. 1490 trat er in den Franziskanerorden ein und begann 1495 zu reisen, zu studieren und dann in Freiburg im Breisgau, Paris, Krakau und Straßburg selbst zu lehren und zu predigen.
Er machte sich in der Germania nova über Wimphelings historische Beweisführung lustig, wozu er Ursache gehabt hätte, da die Quellenforschung trotz guter Absicht noch nicht sehr ausgebildet war, wenn nur seine eigene stichhaltiger gewesen wäre. Seine Kritik hatte die gute Folge, dass Wimpheling in seiner Entgegnung nunmehr die weit ausholenden künstlichen Gründe beiseitesetzte und sich auf die Tatsache berief, dass „unsere Väter und Großväter, unsere Urgroßväter, Vorfahren und Ahnen Deutsche oder Alemannen gewesen sind, dass sie deutsch gesprochen, dass sie Männer von deutscher Art und Sitte gewesen“. Während der Straßburger Rat Wimphelings Schrift mit Dank, ja mit Begeisterung aufgenommen hatte, befahl er die Vernichtung der Murnerschen Entgegnung.
Die Fehde wurde von den Anhängern Wimphelings noch eine Zeitlang fortgesetzt. Es erschienen damals wohl schon Flugblätter und sogenannte Neue Zeitungen; aber Zeitungen im heutigen Sinne, wo die öffentliche Meinung sich täglich hätte äußern, wo auf allen Gebieten des Lebens das Für und Wider hätte besprochen werden, Gegner in Streitfragen sich hätten bekämpfen können, gab es nicht. Anstatt dessen teilten sich die Gelehrten ihre Ansichten und Entdeckungen in Briefen mit, die gesammelt und gedruckt wurden, oder sie bekämpften und verteidigten sich in Druckschriften. Wimphelings Getreue behandelten Murner wie einen Landesverräter; aber es scheint nicht, dass er im Auftrag oder nur im Sinne der französischen Partei Straßburgs aufgetreten war, sonst hätte Kaiser Maximilian, der so unermüdlich sein Leben lang die Sache des Reiches gegen Frankreich verfocht, ihn wohl kaum zum Dichter gekrönt. Was ihn eigentlich bewog, die politischen Behauptungen Wimphelings zu bestreiten, ist nicht recht ersichtlich; vielleicht lockte es den Witzigen und Spottlustigen, Wimphelings etwas schwerfälligen Kothurn ins Stolpern zu bringen, vielleicht ärgerte ihn als Mönch, der die Klosterschulen für die besten hielt, der Vorschlag, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen. Überhaupt bestand ein Gegensatz zwischen der Welt- und der Klostergeistlichkeit: die Weltgeistlichen verachteten die Mönche wegen ihres Mangels an Kenntnissen, ihres abgeschmackten Aberglaubens und ihres Schwelgens in Sinnengenüssen, die Mönche wehrten sich mit dem Vorwurf der Ketzerei. Als Wimpheling in der Schrift De integritate gegen die Mönche zu Felde zog und