Rauhnacht. Max Pechmann

Rauhnacht - Max Pechmann


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„Merkt man mir das so sehr an?“

      „Anmerken? Man braucht nicht einmal Licht dazu. Hör einmal auf deinen ältesten und besten Freund. Deine Muse war nicht die einzige Frau auf diesem Planeten.“

      „Das sagt einer, der seit Jahren mit seiner Mutter zusammen lebt und noch nie eine Freundin gehabt hat.“

      Gregor schmunzelte. „Oh, da kennst du nur die halbe Wahrheit.“

      „Halbe Wahrheit? Sollte innerhalb der Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, ein Wunder geschehen sein?“

      Gregor lachte auf. „Wunder? Nicht wirklich. Eine meiner Studentinnen, Titus. Sie ist jetzt meine Assistentin.“

      Titus probierte die Suppe. Gut war kein Ausdruck. Sie schmeckte göttlich. Eine Kürbissuppe wie sie nicht besser hätte sein können. „Ich kann mir denken, aus welchem Grund.“

      „Jetzt wirst du geschmacklos, Titus. Sie hat das Zeug zu einer hervorragenden Wissenschaftlerin.“

      „Und ist zufällig auch gut im Bett.“

      Gregor rückte verlegen seine Brille zurecht. „Ihre Brüste, Titus …“

      „Jetzt fängst du damit an. Und wieso ist sie nicht mit hierher gekommen?“

      „Sie kommt morgen.“

      Titus schaute von seiner Suppe auf. „Ich dachte, ich sei dein einziger Gast.“

      „In Ordnung, ich hätte es dir schon früher sagen sollen. In deiner Lage war es sicher unfein. Aber ich brauche sie hier bei mir.“

      „Als Betthäschen oder als intellektuelle Unterstützung?“

      „Es gibt zu viele Dinge zu untersuchen. Alleine werde ich nicht damit fertig.“

      Titus löffelte seinen Teller aus. „Ich brauche Ruhe. Eine fremde Person …“

      Gregor seufzte. „Streiten wir nicht, Titus. Sie kommt morgen und damit basta. Sie wird dich nicht stören. Theresa ist ein äußerst sanftmütiger Mensch.“

      „Theresa heißt die Gute?“

      „Theresa Chambers.“

      „Engländerin?“

      „Sie kommt aus den USA. Spricht aber hervorragend deutsch.“

      Titus stellte den Suppenteller zur Seite. „Ich werde mir Mühe geben.“

      „Mühe? Bei was?“

      „Freundlich zu sein. Und jetzt schneide mir etwas von dem Braten ab. Am besten gleich zwei Scheiben. Lisa kocht hervorragend.“

      Nach dem Essen holte Gregor die Kanne Kaffee, die auf der Kommode gestanden hatte. „Die gute Fee hat an alles gedacht. Setzen wir uns damit vor den Kamin. Du schaust übrigens müde aus.“

      Titus unterdrückte ein Gähnen. „Die Fahrt war nicht gerade kurz.“ Er setzte sich in einen der beiden Lehnstühle, die Gregor vor den Kamin gerückt hatte.

      Gregor legte Holz nach, bevor er in dem anderen Stuhl Platz nahm. Er betrachtete gedankenverloren die tanzenden Flammen. Schließlich richtete er seine Augen auf Titus. „Über sie hast du mir so gut wie gar nichts erzählt.“

      Titus verkrampfte sich. Er beobachtete die Spiegelung der Flammen auf der Kaffeeoberfläche, während er sagte: „Was soll ich dir über sie erzählen? Sie inspirierte mich. In dem Zeitraum, in dem wir zusammen waren, schrieb ich zwei meiner besten Romane. Seit sie weg ist, bringe ich absolut nichts mehr zustande.“

      „Sie ist einfach auf und davon?“

      Titus nickte. „Ohne Grund. Ich wachte eines Morgens auf und sie war nicht mehr da. Keine Nachricht, kein Anruf, keine Email.“

      „Eindeutig ein billiges Flittchen, das sich von seinen Liebhabern aushalten lässt.“

      „Du musst es ja wissen.“

      Gregor schenkte sich Kaffee nach. „So hört sich das für mich an. Du solltest ihr nicht nachtrauern.“

      „Elvira Mohn war wie eine Droge.“

      Gregor horchte auf. „Sagtest du soeben Mohn?“

      „Ihr Nachname. Wieso?“

      Sein Freund runzelte die Stirn. „Nur so. Ich kenne einen Wissenschaftler mit diesem Namen. Er ist … Wir sind das, was man schlechthin als Rivalen bezeichnet. Er zieht meine Artikel durch den Dreck und ich seine. Mohn versucht alles, um dahinter zu kommen, an was ich gerade forsche.“

      Titus zuckte mit den Achseln. „Und wenn schon. Was hat er davon, wenn er es herausfindet?“

      Gregor hob seinen Zeigefinger. „Eine ganze Menge, Titus. Er würde versuchen, mir Konkurrenz zu machen, indem er schnell irgendwelche Artikel über meine Forschungen veröffentlicht. Damit würde er meine Arbeit zunichte machen. Um es auf den Punkt zu bringen, er ist das, was man gemeinhin als Arschloch bezeichnet.“

      „Und was ist so besonders an deiner derzeitigen Forschung? Ich meine, außer Männer dabei zu beobachten, wie sie Holzstämme durch den Ort schleppen.“

      Gregor zog seine Mundwinkel auseinander und runzelte die Stirn. „Ich bin in einem alten Dokument auf eine sonderbare Spur gestoßen. Es handelt sich dabei um den Brief eines Gelehrten namens Theophilus Gotthelf aus dem 18. Jahrhundert. Auf seinen ausgedehnten Reisen durch Europa kam er eines Tages nach Tiefenfall. In seinem Brief erwähnt er eine rätselhafte Tradition, die im Zusammenhang mit etwas steht, dass im Volksmund als Wilde Jagd bekannt ist.“

      Titus reichte ihm seine leere Tasse, damit Gregor sie nachfüllte. „So, so. Auch wenn dieser Begriff im Volksmund so heißt, habe ich trotzdem keine Ahnung, was es damit auf sich hat.“

      Gregor griff nach der Kanne, die neben ihm auf einem Rauchertischchen stand. Während er nachschenkte, erklärte er: „Die Wilde Jagd ist reiner Aberglaube. Es soll sich dabei um ein Heer aus Monstern, Dämonen und Untoten handeln, die zwischen Weihnachten und Neujahr die Nächte unsicher machen. Diese Vorstellung ist in den Alpen nicht gerade unbekannt. Aber hier in Tiefenfall scheint sie eine ganz andere Dimension angenommen zu haben.“

      „Das alles erwähnte er in dem Brief?“

      „Er erwähnte eigentlich nur, dass er das Haus des Pfarrers besucht habe. Dieser besaß eine eigene Waffenkammer, die voll gestellt war mit Musketen, Schwertern, Sprengstoff und weiß der Teufel was noch. Gotthelf erstaunte diese Ansammlung von Waffen bei einem Pfarrer natürlich. Daher wollte er wissen, was das zu bedeuten habe. Der Pfarrer zögerte ein wenig. Er gab schließlich preis, dass Tiefenfall gelegentlich heimgesucht werde. Auf die Frage, wer oder was diesen Ort heimsuche, antwortete der Pfarrer lakonisch: ‚Die Wilde Jagd’.“

      Titus nippte an seiner Tasse. „Ich nehme an, dieser Theophilus Gotthelf hielt den Pfarrer für unzurechnungsfähig?“

      „Das weiß ich nicht. Mehr hat der gute Mann nicht notiert. Es gibt nur diese eine Stelle in seinen unzähligen Briefen. Keine ähnlichen Bemerkungen in seinen Tagebüchern. Nichts. Verwunderlich, nicht wahr?“

      „Nur dann, wenn man dem Aberglauben der Bergleute skeptisch gegenübersteht.“

      Gregor lachte laut auf. „Seit wann glaubst du an Spuk oder Hexerei?“

      „Ich glaube an gar nichts. Daher bin ich für alles aufgeschlossen.“

      „Ein interessantes Paradoxon. Aber zurück zum eigentlichen Thema. Es gibt keinen einzigen Ort in den Alpen, in dem sich die Bewohner gegen die Wilde Jagd im wahrsten Sinne des Wortes wappnen. Es gibt natürlich gewisse Bräuche, mit denen sich die Bewohner versuchen zu schützen. Aber nicht mit Pistolen, Gewehren, Schwertern und dergleichen. Die Rituale sind dadurch gekennzeichnet, dass als Dämonen verkleidete Männer durch die Straßen ziehen und Häuser aufsuchen, um deren Bewohner vor dem Bösen zu schützen. In manchen Gegenden achtet man auch darauf, dass nach Sonnenuntergang keine Kinder mehr auf den Straßen spielen. Aber damit hat es sich. Im Grunde


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