Klaus. Uta Bahlo
andere Autos entdecken. Cool, ich freute mich. Gleich könnte ich draußen weiterschnuppern und meine Duftmarke hinterlassen. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Was für ein Tag.
Ich hüpfte auf der Rückbank hin und her, hechelte und winselte.
Die vorderen Türen gingen auf, die beiden stiegen aus, knallten die Türen vor meiner Nase wieder zu … und gingen weg. Hallo! Ich bin noch hier! Hallo! Was soll das! Ich sprang auf dem hinteren Sitz hoch, immer wieder und bellte. Hochspringen und Bellen wechselten sich ab. Simultan ging irgendwie nicht. Vielleicht hatten sie mich nicht gesehen. Ich kratzte an der Tür und drückte meine Schnauze an das Seitenfenster, das sofort beschlug.
Es half nichts, mir wurde schmerzlich bewusst, dass man mich alleine zurückgelassen hatte. Und wenn sie nicht wiederkommen würden? Wenn Kai mich vergisst, genauso wie Heike mich vergessen hatte? Ich bekam Bauchschmerzen. Mein Herz raste. Angst machte sich über meinen Körper her. Ich musste mich zu erkennen geben. Ich sprang von der hinteren Bank nach vorne und wetzte meine Krallen. Dabei löste ich ungewollt die Warnblinkanlage aus.
Doch niemand wurde auf mich aufmerksam.
Vielleicht half noch lauteres bellen und noch mehr kratzen!?
Oh Gott, die kommen nicht zurück.
Wie lange saß ich hier schon alleine fest? Stunden? Ich war außer Atem, meine Zunge war ganz ausgetrocknet. Ich konnte nicht mehr hinaussehen … war ich blind? Oh nein, ich war blind! Diese spontane Einsamkeits-Erblindung, von der ich schon gehört hatte und die mich jetzt traf. Ich hatte Angst. War nur komisch, dass ich alles andere erkennen konnte – alles andere im Inneren des Wagens. Ich konnte dieses runde Dreh-Ding da vorne sehen (das Steuerrad), womit Kai das Auto und uns fast ins Verderben gesteuert hatte, die Sitze, das Dach … nur die Fenster waren blind.
Ich hörte Stimmen. Es war Herrchen, der meinen Namen rief. Hörte sich aggressiv an. Was sage ich ihm, dass die Sitze jetzt auch noch kaputt waren? Ich hatte sie kaputt gemacht – unbewusst. Vielleicht tue ich einfach so, als würde ich schlafen. Gute Idee. Schnell sprang ich auf den Rücksitz zurück, rollte mich zusammen und machte keinen Mucks.
Herrchen war sauer. Verstand ich gar nicht, ich war doch hier – ich lebte noch. Ich war nicht erstickt, nicht verhungert und dieses Mal hatte ich auch nicht gepupst. Anstatt darüber froh zu sein, guckte er mich noch nicht einmal an. Auch Gunnar ignorierte mich.
Aus Strafe fuhren wir nicht nach Hause. Wir blieben in dieser trostlosen Gegend und gingen gemeinsam mit Gunnar in ein Haus, das sich Hotel nannte. Zuerst hatte ich die Vermutung, Kai würde mich abschieben. Doch dann realisierte ich, dass hier Menschen schliefen, die kein eigenes Bett hatten oder mal alleine sein wollten. Wir blieben hier vor Ort, um weitere Verhöre durchzuführen. Die Fragen, ob Unfall oder Vorsatz mussten geklärt werden.
Hier im Hotel wurde scheinbar gerade umgebaut. Es roch nach frischem Holz und Farbe. Ich musste niesen. Die Chefin vom Ganzen stellte mir eine Schüssel mit Wasser hin. Richtig nett war die. Wenigstens eine kümmerte sich um mich.
Bevor ich ein wenig ruhen konnte, um mich von dem ereignisreichen Tag zu entspannen, fuhr Kai mit mir schon wieder los. Selbstverständlich hätte er mich auch bei Gunnar im Hotel lassen können, aber der litt seit der Kindheit an einer Fell-Phobie. Wenn ich ihn im Büro ein bisschen ärgern wollte, strich ich langsam an seinem Bein entlang und schupperte mich daran wie eine Katze. Wau … das war lustig, wenn er angeekelt aufsprang.
Nach kurzer Fahrtzeit erreichten wir einen merkwürdigen Platz, an dem es nach Benzin und Petroleum stank. Auch andere Wagen standen dort herum, die noch kaputter waren, als Kais Auto. Was wollte er mit mir hier? Würde er meine Strafe ausweiten? An diesem Gott verlassenen Ort zurücklassen?
Ich konnte mich beruhigen – unser Auto sollte hier repariert werden. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass da noch was zu machen wäre. Kai sprach mit einem Mann, der sehr bedrückt und blass wirkte, als er sich unserem Wagen näherte. Der sagte nichts mehr, der guckte nur noch. Der Außenspiegel auf der Fahrerseite fiel in dem Moment ab, als Kai die Autotür öffnete, um ihm den Innenraum zu zeigen. Bei dem Anblick strauchelte der Mann etwas.
»Wildunfall.« erklärte ihm Kai.
»Auch drinnen?«
»Jepp.«
»Und was soll ich jetzt mit der Karre machen? Schrottpresse?«
»Ausbeulen und innen kleben.«
Mit der Hand strich sich der Mann erst über seine Stirn, danach kratzte er sich ausgiebig am Kopf. Entweder er verstand nichts von dem, was Kai ihm auftrug oder er hatte Flöhe.
Und da weiß ich, wovon ich belle, die hatte ich nämlich auch mal. Das zwickte ganz fies und ich scheuerte mir fast das Fell weg. Mit einem speziellen Shampoo vom Tierarzt gingen die dann weg. Sollte der Mann auch mal ausprobieren.
Kai ließ unsere Karre dort zurück. Doch wie sollten wir jetzt zurück zum Hotel kommen? Wir gingen zu Fuß. Ein letztes Mal hob mich Herrchen hoch und zeigte mir zur Erinnerung noch einmal den zerfetzten Innenraum. Ich winselte – ich hatte verstanden.
Neben meinem Kai den Fußweg entlang zu trippeln war sehr schön. Ich war gerne in Kais Nähe. Wir waren Freunde – ein tolles Team, auch wenn er unser Leben auf´ s Spiel gesetzt hatte.
Unkraut drängte sich zwischen den Wegplatten hindurch. Kleine Käfer krabbelten umher. Doch mir blieb keine Zeit, dem näher nachzugehen, denn während Kai einen Schritt machte, brauchte ich vier. Ich freute mich des Lebens. Ab und zu schaute ich zu meinem Herrchen hoch und hechelte laut, damit er mich bemerkte. Tat er auch, manchmal. Dann schaute er zu mir hinunter und lächelte mich an. Ob er mir das mit dem Auto schon verziehen hatte?
Wir bogen um eine Hausecke und plötzlich duftete es verführerisch. Ich trippelte jetzt schneller voran und zog an der Leine. Natürlich war ich neugierig, was sich hinter dem Geruch verbergen würde.
Ich schnüffelte, hatte die Nase ganz nah am Boden. Das Grünzeug zwischen den Gehwegplatten war es nicht. Ein vorbeikrabbelnder Käfer auch nicht. Der Laternenpfahl ebenfalls nicht, da roch es nur nach Schäferhund und Dackel. Der Wind wirbelte einige Blätter direkt an meinem Gesicht vorbei. Ich versuchte sie mit meiner Pfote zu stoppen. Dabei blieb eines davon auf meiner Nase kleben. Ich wollte dieses blöde Blatt abstreifen, doch das war gar nicht so einfach. Ich musste niesen und dabei flog es von alleine weg.
Jetzt kamen wir geruchstechnisch der Sache schon näher. Ein Schwall verschiedener, leckerer Düfte umkreiste mich. Es war fast wie eine Droge. (Kenntnis natürlich nur durch Überlieferung.) Ich hatte meinen Kopf angehoben und schnüffelte in der Luft über mir. Kai blieb plötzlich vor einem Laden stehen und band mich an einem Haken an der Hauswand fest. Nun ging er – ohne mich – durch eine Tür aus Glas. Beim Öffnen dieser Tür wäre ich fast kollabiert. Ganz wundervolle Gerüche entwichen aus dem Geschäft und waberten unter meiner Nase vorbei. Eine Überreizung meiner sensiblen Flimmerhärchen hatte begonnen. Die nahmen alles an Informationen auf, die sie bekommen konnten und leiteten diese an mein Gehirn weiter. Nun wurden alle meine Sinne geschärft. Mein gesamter Speichel floss mittig in der Schnauze zusammen und sammelte sich auf meiner Zunge. Kai sagte im Hineingehen noch etwas von einem Laden der Tante Emma. Ich wusste gar nicht, dass er hier Verwandtschaft hatte. Schön für ihn. Ich wollte auch so gerne mit hinein, aber an der Tür war unmissverständlich ein Schild mit einem durchgestrichenen Hund zu erkennen. Inzwischen wusste ich, was das bedeutete. Eine ganze Hundenation wurde ausgesperrt. Aber so sind die Menschen – egoistisch.
Ich war so aufgeregt, dass ich die Wand anspritzte. Mein Speichel floss, simultan zum Pieseln, von meiner hechelnden Zunge, aus meiner Schnauze direkt auf die Gehwegplatten. Es hatte sich schon eine kleine Pfütze unter meinen Pfoten gesammelt. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür zum Paradies und Kai kam mit einer großen Tüte wieder heraus. Er atmete tief ein, pustete fest wieder aus und lächelte sogar. Ihm ging es scheinbar gut. Er roch nach Wurst, Käse und Brot. Mein Schwänzchen führte ein Eigenleben. Es wedelte in einer Tour. Ich hüpfte vor Kai herum, sprang ihn an und winselte. In diesem Moment kam seine Tante Emma aus dem Laden und rief mir ganz laut verschiedene Vokale entgegen, als sie