Klaus. Uta Bahlo
und mit der anderen hielt sie mir tatsächlich ein Würstchen unter die Schnauze. »Hier, möchtest du?« fragte sie mich und während ich kurz überlegte, ob das eine Fangfrage sein sollte, biss ich zu. Man soll eben nicht zu lange nachdenken. Ich kann nicht beschreiben, wie herrlich das war. Ich schwebte in Gedanken, mit meiner Wurst, auf einer Wolke gen Himmel und schlug einen Purzelbaum … und noch einen. Was für ein Genuss. Hoffentlich sollte das für heute nicht mein einziges Fressen bleiben. Doch so schnell ich mental aufgestiegen war, so schnell landete ich wieder im Jetzt.
Kai trug die Tüte mit den Leckereien knapp über meiner Schnauze spazieren und ich tänzelte direkt darunter neben ihm her. Vielleicht würde er etwas fallen lassen. Beinahe wäre ich gestolpert, weil ich kurz mal nicht auf den Weg geschaut hatte. Im Hotel angekommen, ließ ich die Tüte nicht aus den Augen. Kai stellte sie auf dem Bett ab und die Bescherung begann. Gunnar bekam etwas, Kai hatte sich schon auf dem Weg ins Hotel bedient und nahm sich noch mehr. Kein Wunder, dass sein Bauch immer dicker wurde. Und ich? Ich sollte das Vergnügen von Hundefutter in Dose mit Geflügelgeschmack haben. Na toll.
Kai und Gunnar mussten sich im Hotel ein Bett teilen. Aber auch für mich war die Nacht schrecklich. Kai schnarchte die ganze Zeit und Gunnar trommelte mit seinen Fingern im Takt auf der Bettkante herum. Am nächsten Morgen beschwerte er sich darüber, dass auch ich geschnarcht hätte. So ein Quatsch! Mit meiner kleinen flachen Schnauze kann ich gar nicht schnarchen. Außerdem hätte ich das ja wohl gemerkt. Hier zum Beweis im Profil – flache Schnauze – süß, nicht wahr!? Wenn ich überhaupt Geräusche machen würde, wäre das eher so ein … schnurren.
Nicht nur in meiner Blase war eine allgemeine Anspannung zu fühlen.
Wir alle hatten schlecht geschlafen. Ich ganz besonders, mein Magen hatte die halbe Nacht geknurrt.
Nach einem kurzen Pinkeln und einem minimalistischen Frühstück ging es zur hiesigen Wache. Eine unauffällige, heruntergekommene Klitsche war das. Hier residierte Polizeimeister Dirk Schwartz.
Der kam aus dem Dorf und kannte jeden persönlich.
Zu jedem Bürger, der am Tatort angetroffen wurde, konnte PM Schwartz genaue Angaben über Persönlichkeit, Beruf, Gehalt und soziale Kompetenz machen.
Immer mehr Menschen tauchten in der Wache auf und mussten ihre Beobachtungen zu Protokoll geben und ein Alibi nachweisen. Schließlich musste der Tod der Frau lückenlos aufgeklärt werden. Den Ablauf solcher Befragungen hatte ich schon mehrfach in anderen Fällen mitbekommen. Oftmals fuhr jemand direkt danach in Handschellen mit uns ins Präsidium und kehrte nicht zurück.
Wiedermal musste ich draußen warten. Es nieselte ein wenig. Mein Fell wurde nass und ich müffelte wie ein räudiger Kater. Ich musste mich plötzlich hinter dem linken Ohr kratzen. Hoffentlich waren die Flöhe nicht zurückgekommen und hoffentlich hatten wir noch etwas von dem Shampoo.
Drinnen in der Wache wurde es laut, alle riefen durcheinander. Am lautesten war ein Typ mit tiefer Stimme, der wohl der oberste Chef im Dorf war, der Bürgermeister. Danach ertönte ein schriller und ohrenbetäubender Lärm – hörte sich an wie eine Trillerpfeife. Selbst ich wurde kurz taub. Menschen waren schon komisch. Die stritten sich und hatten immer noch Zeit für Späßchen. Es marschierte plötzlich ein Mann an mir vorbei und betrat die Wache. Ich erkannte den – ich sage mal – ›Unfallfahrer‹ sofort wieder, der nach der Tat ins Krankenhaus gebracht und dort eine Nacht beobachtet wurde. Kaum war er hineingegangen, ging das Krakeelen weiter und wieder ertönte die Pfeife. Es hatte etwas von Welpen-Schule. Als Kai und Gunnar wenig später die Wache wieder verließen, ahnte ich bereits, dass es Probleme geben würde. Das war an ihren Gesichtern abzulesen. Ich bin eben ein sensibler Hund.
Auf dem Weg zurück ins Hotel fiel mein Blick unverbindlich auf Kais Füße. Ich bemerkte, dass er zwei verschiedene Socken trug – blau und braun. Ging es jetzt schon los? Hatte der geistige Verfall begonnen? Ich könnte ihn nicht pflegen, wenn es soweit wäre. Ich konnte keine Türen öffnen (Haustür, Kühlschrank), kein Telefon bedienen … kein Auto fahren.
Instinktiv schaute ich hinunter auf meine Pfoten und entdeckte angetrockneten dunklen Matsch auf denen Blätter hafteten. Ich schüttelte abwechselnd die Beine aus, aber Schmutz und Blätter saßen fest. Überhaupt hatte mein Äußeres Schaden genommen.
Ich sah ungepflegt aus und meine Pfoten hinterließen schwarze Abdrücke auf dem Gehweg. Wenn es ganz schlimm kommen würde, müsste ich heute Abend noch baden. Ich hoffte, dass Kai die schwarze Spur, die ich hinterließ, nicht bemerken würde. Deswegen versuchte ich, mich mehr auf den Zehenspitzen fortzubewegen und tänzelte dadurch unnatürlich neben ihm her. Es war sehr schwierig, nicht mit den ganzen Ballen aufzusetzen.
Da mein Kai aber nicht doof war, bemerkte er meine anormale Körperhaltung und meine hüpfende Vierfußtechnik. Er hielt inne und schaute zu mir hinunter.
»Was ist los? Hast du dir was in die Pfoten gedrückt? Lass mal sehen.«
Er beugte sich zu mir hinunter, untersuchte abwechselnd meine Pfoten und saute sich dabei ein. Na toll. Es ist alles gut, bellte ich, lass uns einfach weitergehen.
»Wo hast du dich denn so eingesaut!?«
Wieso müssen die Menschen allem immer auf den Grund gehen. Kai wischte sich den Schmutz an seiner Hose ab – und in meinem Fell. Hallo!? Geht´s noch? bellte ich.
Ich tänzelte, ich steppte, in der Hoffnung, der Dreck würde sich abschütteln lassen, bis wir ins Hotel zurückkehrten.
Es war erniedrigend. Hier stand ich nun in der Wanne, mit Schaum auf dem Kopf und roch nach Veilchen. Die Hotelchefin hatte Kai mit Shampoo versorgt, als sie uns kommen sah.
Eigentlich eher, als sie mich kommen sah. Die Badewanne war so gut mit Wasser gefüllt, dass mein Körper schon etwas Auftrieb bekam. Dabei waren nur meine Pfoten schmutzig gewesen. Ein nasser Lappen hätte auch gereicht. Ein Mü an Wasser mehr und ich hätte schwimmen müssen. Folter war das. Was käme als nächstes? Waterboarding?
Am Abend holten wir das Auto aus der Werkstatt ab. Gott sei Dank, denn ich hatte keine Lust mehr zu Fuß zu laufen. Die Karosserie wurde notdürftig ausgebeult und die vordere Stoßstange hielt das ganze Auto zusammen. Der Innenraum war zugeklebt. Plastikfolie lag über den Sitzen. Ganz toll – das hatte es ja gebracht. Hoffentlich musste Kai für diese stümperhafte Arbeit nicht noch bezahlen. Also, ich hätte mich geweigert.
Endlich konnten wir aus dem Hotel auschecken und nach Hause fahren – pünktlich zum Müll-Abhol-Tag.
Wesenstest
Freuen sie sich auch immer so, wenn die Müllmänner kommen? Ich schon.
Die rochen so gut und sahen in ihren knallig-leuchtenden Anzügen lustig aus. Ich kriegte mich gar nicht wieder ein. Das wäre auch ein Job für mich gewesen, wenn ich nicht schon im Polizeidienst tätig und mit verantwortungsvollen Dingen betraut wäre. Auch der Briefträger war mein Freund, glaube ich. Regelmäßig sprang ich an ihm hoch und half beim Austragen. Auch die kleinen Menschen-Welpen auf der Straße – die heißen wohl Kinder – sprang ich manchmal an. Es löste sich auch schon mal ein Knurren, aber nur weil ich mich so freute.
Kai wollte nicht, dass ich das tat, er war jedes Mal böse mit mir. Mit den Worten:
»Der beißt nicht, der will nur spielen.« versuchte er die Sache wegzulächeln. Er stand mental und menschlich nicht mehr hinter mir. Und als ob das noch nicht schlimm genug gewesen wäre, schleppte er mich zu einem so genannten Wesenstest. Eine Erklärung für diejenigen, die das nicht kennen: hier musste geklärt werden, ob ich weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen durfte oder sofort eingeschläfert werden musste.
Für Menschen wäre so ein Test manchmal auch sinnvoll, finde ich.
Wir bekamen Post. Die Mitteilung über die Regeln dieses Tests war gekommen. Ich habe sofort gewusst, dass es um mich ging. Kai las den Wisch und schüttelte