SeelenFee - Buch Zwei. Axel Adamitzki

SeelenFee - Buch Zwei - Axel Adamitzki


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      Nachdenklich fragend sah Raymond seinen Verwalter an. Philipp Schwarzer, sein Nachbar, war eher der Kumpeltyp, der sagte, was er dachte, und auch im Handumdrehen mit allen per Du war. Und der hatte sich verändert? Was war geschehen?

      Plötzlich fielen Raymond Elektras letzte Worte wieder ein … »Frag deinen Nachbarn!«

      »Ich denke, wir sind auch so weit durch, oder?« Mit einem Nicken stimmte Konrad Schwendt seinem Chef zu. »Gut. Dann bitten Sie Philipp herein.«

      *

      Raymond schüttelte den Kopf. Er wollte nicht glauben, was er da eben vernommen hatte.

      »Doch, Raymond, du kannst mir glauben, so war das«, sagte Philipp Schwarzer betont aufrichtig.

      »Aber … du wolltest doch nie verkaufen. Warum dann jetzt diese … diese Kehrtwendung?«

      Raymonds Nachbar zuckte die Achseln. »Ich habe sie anfänglich nicht ernst genommen. Eine so schöne Frau … was will die mit zwei Obstwiesen, habe ich nur gedacht. Was für ein Irrtum.« Beide schwiegen. »Heute weiß ich auch, dass es ein riesiger Fehler war. Ich hätte erst mit dir … aber du warst ja nicht … Und ich wusste nicht, wie ich dich erreichen konnte. Es ist unverzeihlich, ich weiß das jetzt auch. Und dann haben sich die Ereignisse überschlagen«, fuhr er nuschelnd fort und erzählte Raymond erneut den Anfang dieser sehr merkwürdigen Geschichte – wohl auch, weil er sie selbst kaum glaubte.

      »Letzte Woche war Elektra Gräfin von Memmingstetten überraschend bei mir. ›Wie geht es dir, Philipp? Du erinnerst dich an mich?‹, fragte sie. Natürlich erinnerte ich mich an sie, aber dass sie noch wusste, wer ich war …? Damals, als ihr zusammen wart … wir alle hier im Dorf haben dich beneidet. Ich auch, ich gebe es zu, obwohl ich längst verheiratet war. Meine beiden Kleinen waren schon nicht mehr ganz so klein. Michaela ging schon in die Schule.« Er lachte … ein wenig verlegen. »Doch, doch, so war es. Aber eine so schöne Frau, und dann auch noch adlig, die sucht sich natürlich einen Prinzen, war unsere Erklärung dafür, warum sie für all uns ›Normalos‹ hier unerreichbar war.« Doch plötzlich verlor sich sein Lachen. »Aber an dem Donnerstag kam sie mir noch viel schöner vor. Und diese Frau erinnerte sich an mich. Unfassbar. Doch dann erzählte sie plötzlich etwas von Obstwiesen. Von Geschäften und so. Der Übergang war so … so nahtlos, ich konnte das überhaupt nicht begreifen.«

      »Sie hat dich also eingewickelt.«

      »Ja, genau. Eingewickelt. Und ihre Anwesenheit, die … die war überwältigend.«

      »Aha! Und du wusstest dich nicht anders zu wehren, als ihr diese zwei Wiesen zu verkaufen?«

      »Nein, nein, so war das nicht, Raymond«, entgegnete er abrupt, wartete einen Moment und fuhr dann mit ernüchterter Stimme fort: »Ich bin ehrlich, ich habe sie unterschätzt. Sie ist nicht nur charmant, sie ist auch … eiskalt.«

      »Eiskalt?«, wiederholte Raymond dieses eine Wort kaum hörbar, welches Elektra vielleicht tatsächlich hinlänglich beschreiben konnte. Eiskalt war sie wohl tatsächlich, so schien es, wenn sie etwas unbedingt wollte.

      Wenn er jetzt so darüber nachdachte, dann hatte er letzten Samstag, am Ende ihres Gesprächs den gleichen Eindruck gewonnen. Aber … das waren natürlich andere Vorzeichen gewesen.

      »Und trotzdem hast du -«

      »Nicht gleich, Raymond, das musst du mir glauben«, unterbrach Philipp ihn. »An dem Donnerstag habe ich sie … ich würde mal sagen: Ich habe sie lächelnd abblitzen lassen. Zumindest habe ich es versucht. Und im Nachhinein auch geglaubt, dass ich es geschafft hatte. ›Ich verkaufe nicht‹, hatte ich zu ihr gesagt.« Beschwörend sah er Raymond an und riss dann die Augen weit auf. »Und sie … was machte sie? Sie kam auf mich zu, strich mir mit einem Finger über die Wange und sagte: ›Glaube mir, Philipp, alles hat seinen Preis. Alles.‹ Dann gab sie mir noch ihre Karte … ›Du kannst mich heute jederzeit anrufen. Aber spätestens am Samstag komme ich wieder, und da wäre es schön, wenn du mir deinen Preis nennen würdest.‹ Das waren ihre Worte gewesen. Von einer Sekunde zur nächsten ist es mir kalt den Rücken runtergelaufen, das kannst du mir glauben. Es war gruselig. Ich spüre es noch immer.«

      »Und dann?«

      Philipp Schwarzers Blick verlor sich in seinen Erinnerungen. »Und dann? Dann wurde es vollkommen verrückt. Auf ihrer Karte stand auch die Adresse ihrer Homepage. Wusstest du, dass … deine Elektra jetzt in Kolumbien lebt?«

      »Nein. Und sie ist nicht meine –«

      »Schon gut, Raymond, sorry«, fiel Philipp ihm erneut ins Wort. »War auch nur ein Scherz, obwohl … scherzen sollte man mit dieser Frau besser nicht. Na, jedenfalls hat es mir keine Ruhe gelassen … Was will eine Frau, die in Kolumbien lebt, mit zwei Obstwiesen am Bodensee? Das war irgendwie absurd. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass sie als Taufgeschenk für deine Tochter gedacht waren.«

      »Was? Bist du jetzt völlig …?« Übergeschnappt, hatte Raymond sagen wollen, hatte das letzte Wort aber zurückgehalten. Zu verrückt klang alles, was er da gehört hatte … Aber es sollte noch verrückter kommen.

      »Ach, das weißt du noch gar nicht?«

      »Das ist Unsinn, Philipp, völliger Unsinn. Vor einer Woche wusste ich ja selbst noch nichts von der morgigen Taufe. Und außerdem … Sie ist ja nicht einmal eingeladen.«

      »Ja, gut, du hast recht, das mit dem Taufgeschenk erzählte sie mir auch erst am Mittwoch. Aber das mit der Einladung zur Taufe, Raymond, das würde ich mir an deiner Stelle noch mal gründlich überlegen.«

      Fragend sah Raymond seinen Nachbarn an. War das jetzt lediglich ein Hinweis oder am Ende gar eine Art Drohung?

      »Weißt du, wer ihr Gatte war?«

      Raymond schüttelte den Kopf. »Ich weiß lediglich, dass er vor einem Jahr tödlich verunglückt ist … hat sie mir erzählt. Aber ob das wirklich stimmt?«

      »Verunglückt? Ha! Hat sie wirklich ›verunglückt‹ gesagt?«, stieß Philipp Schwarzer gehässig hervor.

      »Ja. Das waren ihre Worte gewesen. Vielleicht ein Autounfall. Danach klang es zumindest für mich.«

      »Nein, Raymond, kein Autounfall, und er ist auch nicht einfach verunglückt, er … er wurde erschossen … auf offener Straße.«

      Schweigend sah Philipp Schwarzer seinen Nachbarn einen langen Moment an und fuhr dann ruhig fort: »Sicherlich, erschossen werden ist auch ein Unglück, aber bestimmt nichts, was wir beide unter ›verunglückt‹ verbuchen würden.«

      Raymond wusste nicht, ob er all das, was er da hörte, glauben sollte. Elektra war nie »ein Kind von Traurigkeit« gewesen, hatte immer schon das aufregende Leben geliebt … war darin oft robuster gewesen als manch ein Mann.

      Aber das hier?

      Gut, sie hatte ihn verlassen, weil sie noch etwas, nein, weil sie noch viel hatte erleben wollen, auch weil sie sich noch hatte ausprobieren wollen …

      Genau genommen hätte er da schon spüren können und auch müssen, dass ein Heiratsantrag ins Nichts laufen würde. Aber ihre Worte – sich ausprobieren wollen – waren aus einer übermütigen Laune heraus gesagt worden. Er hatte sie nicht ernst genommen.

      Doch war das jetzt nicht mehr von Belang, bemerkenswerter war, in welche Kreise sie danach geraten war … und dass sie wohl außerdem eine sehr befremdliche Art von Wahrheit im Umgang mit ihrem Leben gefunden hatte.

      Erschossen, ging es ihm durch den Kopf. Was für eine andersartige und bizarre Welt.

      Und was wollte diese Frau, die ihm mit jedem von Philipps Worten fremder geworden war, tatsächlich von ihm? Zwei riesige Obstwiesen für seine Tochter? Was sollte das? Elektra lebte jetzt in Kolumbien. Oder wollte sie am Ende tatsächlich zurück … zu ihm?

      Philipp Schwarzer schien ihm seine Gedanken an den ungläubigen Augen abzulesen, zumindest einen Teil davon, und verhalten fuhr er fort: »Dieser Rafael Marin Gonzalez – sein Name


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