Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward
Augen, um meine Aufmerksamkeit endlich auf sich zu lenken . „Ja, du bist ja nicht zu überhören“, maulte ich. Ich zog die Hosenbeine wieder über die verschorften Knie. Das Blatt Papier, auf dem ich soeben noch einen Vogel gekritzelt hatte, ließ ich unauffällig in meiner Hosentasche verschwinden. „Ich könnte deine Hilfe auf dem Feld gut gebrauchen.“ Abwartend stand sie mit verschränkten Armen vor mir. „Wenn’s keine Umstände macht“, setzte sie schnippisch hinzu. Eine Dohle flog über Charise hinweg, einen Kotklecks auf ihrer Schulter hinterlassend. „Igitt!“, stieß sie angeekelt aus und blieb wie versteinert stehen. „Soll Glück bringen“, brachte ich hervor, dabei konnte ich meine Überraschung kaum verbergen. Mit dem zerknüllten Papier wischte ich ihr den Unrat von der Schulter. Charise schlug meine Hand fort, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon. Ich ließ sie vorerst ziehen. Wenn sie in dieser Stimmung war machte es keinen Sinn mit ihr zu reden. Mit einem ausgeleierten Haarband versuchte ich meine störrische, kupferne Lockenpracht zu bändigen und unter dem abgewetzten Strohhut zu verbergen. Mutter hatte meiner Schwester und mir eingeschärft, unser rotes Haar nicht zur Schau zu tragen. Niemand sonst hatte rotes Haar und sie wollte nicht, dass man uns deswegen das Leben schwer machte. Wie gern hätte ich es mir einfach kurz geschnitten, damit es besser unter den Hut passte. Doch das würden meine Eltern und vor allem Charise, niemals zulassen. „Deine Haare hätte ich gern“, sagte sie oft, wenn sie vor dem Spiegel stand und wieder einmal trotzig versuchte, etwas aus ihren glatten, wie von Rost durchzogenen Haaren zu machen. Rasch erneuerte ich noch den Sonnenschutz auf meinen Armen mit Lehmpunsch, einem Gemisch aus Lehm und diversen Kräutern. Meine Erfindung. Der Brei kühlte die Haut und bewahrte sie vor dem Austrocknen. Außerdem hinterließ Lehmpunsch einen bronzefarbenen Teint, fast wie gebräunte Haut – was mir persönlich lieber war, als meine blasse Haut mit den versprengten Sommersprossen darauf. An der Konsistenz musste ich allerdings noch ein wenig feilen. „Da bist du ja endlich.“ Ihre Augen sprühten immer noch Funken, doch dann gab sie sich beherrschter. „An der Überleitung zum Verteilerding ist irgendetwas leckgeschlagen.“ Breitbeinig stand sie mit dem Rücken zum Maisfeld, die schweißnasse Stirn in Falten gelegt und auf den Fußballen wippend. „Es wird der Kippschalter sein, der den Zufluss zu den einzelnen Wasserrohren regelt“, überlegte ich kurz. „Sag ich ja, Kippschalter.“ Charise sah mich ungeduldig an. „Kannst du da was machen?“ Vermutlich. Schließlich hatte ich die Bewässerungsanlage ja entwickelt und mit aufgebaut. Ich flocht ein notdürftiges Band aus Schilf und Tampur, einer wasserabweisenden Großblattpflanze und surrte es um die defekte Leitung fest. „So müsste es eine Weile halten.“ „Meinst du wirklich?“ Charise blickte skeptisch auf die geflickte Stelle. Vorsichtig betätigte sie den Kippschalter, um das kostbare Wasser, welches wir dem Mukonor entnahmen, nicht zu vergeuden. Leitungen aus Bambusrohren führten vom Fluss zu den Feldern und verzweigten weiter zu mehreren Wasserreservoiren im Dorf. „Die Zeit wird knapp. Wir haben höchstens noch eine halbe Stunde zum Bewässern.“ Seit Monaten hatte es in Gullorway nicht mehr geregnet. Der Ältestenrat hatte daher das Wasser rationalisiert und für jede Familie genaue Zeiten für die Bewässerung festgelegt. Jeder Ausfall, aus was für Gründen auch immer, ging von der Bewässerungszeit der einzelnen Clanmitglieder ab, ließ die eigenen Felder damit fortwährend trockener werden. Die vorhandenen Brunnen waren mittlerweile auch größtenteils versiegt. Der Wasserstand des Mukonor sank zudem alarmierend. Als das Wasser wieder floss, gingen wir zu den bereits geschnürten Jutesäcken mit Sorghum, einer neuen Getreidesorte, die für die Gegebenheiten unserer trockenen Region optimal geeignet schien. Wir luden die letzten Säcke auf die bereitstehenden, altersschwachen Lastkarren und spannten die ausgemergelten Pferde davor. Mit erhobenem Daumen gab ich Miles das Zeichen, dass er abfahren konnte. Er ließ die Peitsche durch die Luft schnellen, dann setzten sich auch die anderen Karren in Bewegung Richtung Getreidesilo. „Kommst du heute Abend noch mit zu Denian und den anderen?“, fragte Charise mich. Sie verbrachten mehr Zeit miteinander, als es meinen Eltern lieb war. Aber Charise war schließlich erwachsen, wie sie nie müde wurde zu betonen. Wahrscheinlich würden Denian und sie heiraten, wenn Charise nur lange genug Gefallen an ihm fand. „Ich weiß noch nicht“, wand ich mich. „Ach komm schon, Avery. Es ist der siebte Tag der Woche und Miles wird sicher auch da sein.“ Miles wiederum war mein Freund. Wir gingen zusammen durch dick und dünn, wenn auch eher wie Bruder und Schwester. Heute jedenfalls war mir irgendwie nicht nach Gesellschaft zumute. Eine innere Unruhe hatte mich ergriffen, deren Ursprung ich mir nicht erklären konnte. Wie bei einem Gewitter, von dem man weiß, dass es Spuren in der Natur hinterlassen wird. Ich nahm mir vor, heimlich darin lesen. Seit dem Überfall der Herren von Kandalar hatte ich den Stein nicht mehr angerührt aus Angst vor Entdeckung. Doch hatte meine Mutter andere Pläne mit mir. Da Charise sich bereits geschickt aus dem Haus gestohlen hatte, blieb die Küchenarbeit mal wieder an mir hängen. Geduldig faltete ich mit meiner Mutter Wäsche zusammen, räumte das Geschirr in den Küchenschrank, schrubbte die derben Holzböden. Anschließend reparierte ich im Schuppen gemeinsam mit meinem Vater eine Dachlatte, damit es nicht hereinregnen konnte. Letzteres hätte sicher noch ein paar Wochen Zeit gehabt, da noch immer kein Regen in Sicht war. „So, jetzt kann der Regen kommen“, sagte mein Vater doch prompt, kletterte von der Leiter herunter und sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an. „Wenn ich dich nicht hätte.“ Väterlicher Stolz breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. Ich zuckte nur mit den Schultern, wollte den Schober schon verlassen, als er mich zurückhielt. „Hast du noch einen Moment Zeit, Avery?“ Versonnen strich er sich über das immer noch volle Haar, fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. Was konnte es jetzt noch geben? „Setz dich doch.“ Seine Augen rollten unruhig hin und her. „Wir … der Rat braucht deine Hilfe.“ Prüfend sah er mich an. „Der Rat? Ist das Versammlungshaus renovierungsbedürftig?“ Er schüttelte lachend den Kopf. Es klang unsicher. „Nein, das nicht. Es ist eher etwas Politisches.“ „Inwiefern?“ „Wir brauchen deinen Rat.“ „Meinen Rat?“ Jeder andere hätte sich jetzt vielleicht geschmeichelt gefühlt, bei mir gingen jedoch sämtliche Alarmglocken an. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wolle er den Schlaf vertreiben. Mit einem Mal wirkte er sehr erschöpft. Dann, als hätte er eine Entscheidung getroffen, stellte er die Frage, die offensichtlich auf seinen Lippen brannte. „Könntest du für uns deine Karten legen?“ Das überraschte mich nun wirklich. „Wie sollten meine Karten gegenüber der Lebenserfahrung eurer Ältesten etwas voraushaben?“ „Sie – sind objektiver“, stieß mein Vater hervor. „Du, willst die Karten gelegt haben, nicht der Rat. Stimmt’s?“ Er sah mich lange an, bevor er antwortete. „Was bist du doch für ein kluges Köpfchen.“ „Hm. Was willst du wissen?“ „Sag du es mir durch deine Karten.“ Für mich sprach er in Rätseln. Irgendetwas schien ihn so stark zu beschäftigen, dass er es weder vor dem Rat noch vor meiner Mutter aussprechen konnte. Die Reparatur der Dachlatte war also nur ein Vorwand, mich unter vier Augen sprechen zu können. Das machte mir Angst und meine dunkle Vorahnung stellte sich wieder ein. „Ich brauche einen Anhaltspunkt, irgendwas.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Ich kann dir nichts sagen. Aber“, er griff in seine Hosentasche und zog ein Päckchen mit abgegriffenen Karten hervor. Meine Karten. „Wo hast du die her?“, zischte ich ihn an. Ich mochte es nicht, wenn meine Eltern hinter meinem Rücken in meinen Sachen wühlten. „Tut mir leid, aber die Zeit drängt.“ „Du hättest mich fragen müssen“, blaffte ich ihn an. Sie gehörten nicht in andere Hände. Sie waren auf mich geprägt. Solche Karten hatte man ein Leben lang. Man spielte nicht mit ihnen um Geld beim Wein. Von ihnen ging eine besondere Kraft aus. Resigniert schloss ich die Augen, atmete tief durch. Langsam beruhigte ich mich wieder. „Wirst du sie mir legen, Avery?“ Fast flehend beschwor er mich. Was war nur in ihn gefahren? Ein Mann wie ein Baum. Mit allen Wassern gewaschen. Zu ihm schauten die Leute auf, fragten ihn um Rat und jetzt sollte ich, gerade mal sechzehn Jahre, ihm in einer Lebenskrise helfen? Danach sah es jedenfalls für mich aus. „Hast du eine andere Frau kennengelernt?“, fragte ich daher gerade heraus. „Was?“ Er sah mich entsetzt an. „Nein, natürlich nicht. Das hast du geglaubt?“ Er schien entrüstet, dass ich so etwas überhaupt in Erwägung ziehen konnte. „Was sonst sollte so furchtbar sein, dass du es noch nicht einmal vor Mutter sagen kannst, hm?“ „Avery, also wirklich. Das ist es nicht. Es geht um Politik.“ Mit verschränkten Armen stand er vor mir. Hatte er eben noch einen Moment der Schwäche gezeigt, so war dieser jetzt verflogen. „Wirst du mir jetzt die Karten legen, Avery? Bitte.“ Doch der Nachdruck, mit dem er seine Bitte aussprach, ließ