Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar - Janet Borgward


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uns Schutz vor der Sonne bot. Miles schien es ganz recht zu sein, der Schule fernzubleiben. Wir hatten eh nur noch wenige Wochen bis die Ausbildung begann, die unsere Eltern für uns vorgesehen hatten. Bei einem Sattler, Glasmacher, Zimmermann oder mit viel Glück bei einem Händler. Letzteres würde ich bevorzugen, wenn ich denn wählen dürfte. Doch für Mädchen blieb nur eine Schneiderlehre und Heirat. Vor Jahren hatte es eine dunkelhäutige Heilerin in Gullorway gegeben, doch diese war irgendwann nicht mehr von ihrer Kräutersuche zurückgekehrt und hatte ihr Wissen mitgenommen. Von da an war es uns Mädchen verboten über die Grenzen Gullorways hinaus zu gehen. Miles schien es nicht zu stören, dass ich heute so schweigsam war, denn er redete umso mehr. „Du hast gestern echt was verpasst. Cole und Trevor hatten was Selbstgebranntes, Hochprozentiges dabei. Nachdem sie etliche Flaschen herumreichten und selbst davon am meisten tranken, konnten sie sich anschließend kaum noch auf den Beinen halten. Dabei machte Trevor Shannon schöne Augen. So“, er klimperte mit den Wimpern wie ein Mädchen, „die ihn in dem angetrunkenen Zustand jedoch kühl abblitzen ließ. Und dann deine Schwester und Denian. Ich dachte, sie vernascht ihn gleich an Ort und Stelle. Ist sie so wild darauf Mutter zu werden, oder warum bietet sie sich ihm so an?“ Mitunter war Miles wie ein Waschweib. Aber es entging ihm nichts. „Vielleicht. Dann könnte sie von zu Hause ausziehen und müsste sich von unseren Eltern nichts mehr sagen lassen.“ „Ach was.“ Er machte eine wegwerfende Bewegung. „Das kann doch nicht ihr Ziel sein, oder? Dann steht sie doch wieder am Herd, bloß, dass es dann der eigene ist.“ Miles lachte herzhaft über seinen eigenen Witz. Es tat gut, ihn lachen zu hören. Langsam wich meine innere Anspannung. „Und du, was willst du später mal machen?“, fragte ich ihn nach einer Weile, als hätte er eine Wahl. „Du meinst, wenn ich mal groß bin?“ Er sah mich sorgenfrei an. Fast vergaß ich, weswegen ich ihn von der Schule fernhielt. „Tja, was werde ich wohl machen?“ Sein Lächeln verschwand augenblicklich. „Wahrscheinlich werde ich edles Mobiliar herstellen, wie mein Vater und davor sein Vater und dessen Vater schon.“ Miles blieb plötzlich stehen, als hätte er etwas gehört. Unwillkürlich lauschte auch ich in den Wald hinein. „Hörst du das?“ Er hielt sich eine Hand hinters Ohr. „Die Ferne ruft mich. Sie lockt mich über die Grenzen von Gullorway hinaus, in die goldene Stadt von Timno Theben, oder übers Meer hinaus nach Perges.“ Seine Augen begannen plötzlich vor Begeisterung zu leuchten. Mit der Hand griff er nach einem imaginären Ziel, hinter dem Horizont. Ich schüttelte belustigt den Kopf. Wir gingen weiter, folgten auf einem Trampelpfad dem Bachlauf, der in den Mukonor mündete, einem grünlich schimmernden Fluss, sonst reich an Fischbeständen und Flusskrebsen, jetzt kaum noch einen Meter tief. Schwatzend traten wir aus dem Wald hervor. „Komm, wir gehen zum Steg. Von dort aus beißen die Fische besser.“ „Nein, lass uns hierbleiben, Miles. Hier ist mehr Schatten.“ „Du hättest deinen Hut mitnehmen sollen“, wies er mich zurecht. Ich ärgerte mich darüber, so übereilt das Haus verlassen zu haben. Miles kramte in seiner Dose nach dem passenden Köder für unsere Angelruten, dann warfen wir die Schnüre in hohem Bogen in den friedlich dahinziehenden Mukonor. Selten wagten wir uns so weit entfernt von Gullorway hinaus. Man wusste nie ob nicht die Herren von Kandalar das Gebiet durchstreifen. „Was werden wir fangen?“, fragte Miles und zog die Spule etwas nach, bevor er die Rute in den Boden stieß. „Ich denke Karpfen.“ „Nein, glaube ich nicht. Du fängst einen dünnen Aal, so dünn wie mein kleiner Finger, höchstens.“ „Wir werden ja sehen.“ Er riss einen langen Grashalm aus und kaute darauf herum. „Also, wirst du es mir erzählen?“, fragte Miles. „Was erzählen?“ Er hielt mit dem Kauen inne und spuckte den Halm wieder aus. „Weswegen du mit mir Angeln wolltest.“ „Brauche ich dafür einen Grund? Wir gehen doch sonst auch angeln.“ „Ja, aber nach der Schule.“ Ausweichend blickte ich auf das sich kräuselnde Wasser des Mukonor. „Da war gestern so ein Donnergrollen“, begann ich. „Wo, bei uns? Es war doch strahlend blauer Himmel.“ „Ja, ich weiß, aber bei uns auf dem Hof …“, ich schrak zusammen, als ich herannahende Schritte hörte. „Habe ich euch erwischt!“ Triumphierend kam Charise auf uns zu. Wie hatte sie uns hier gefunden? „Solltet ihr nicht in der Schule sein? Du musst nicht gleich rot zu werden, Schwesterherz.“ „Ich werde nicht rot.“ Natürlich wurde ich das. Wahrscheinlich war das Leuchten noch auf der anderen Seite des Flusses zu sehen. Miles stöhnte auf. „Oh Mann, Charise. Du kommst in einem denkbar ungünstigen Moment. Gerade wollte Avery mir ihr Herz ausschütten. Hast du nichts anderes zu tun als uns nachzulaufen? Entzückende Kleidchen nähen oder mit Denian knutschen, wie gestern Abend?“ „Und warum sitzt du hier mit meiner hübschen, kleinen Schwester und bist nicht in der Schule?“, herausfordernd sah sie ihn an. „Wolltet ihr etwa …“ „Charise, du nervst. Wie hast du uns überhaupt gefunden?“ Ohne zu antworten ließ sie sich zu uns ins Gras nieder. „Och, das war leicht. Viel Auswahl gibt es hier ja nicht. Mutter hat mich geschickt, damit ich dich zur Schule zurückbegleite.“ „Ganz sicher“, murmelte ich. „Miles, ich glaube, bei dir hat ein Fisch angebissen.“ Charise blickte mit todernster Mine zum Fluss.“ „Lenk nicht ab, Charise. Warum bist du uns gefolgt?“ „Doch, da war was“, beharrte sie. „Na prima, dann kannst du uns gleich beim Ausnehmen der Fische helfen“, neckte Miles sie, da er wusste, dass sie sich davor ekelte. Tatsächlich bog sich nun seine Angel durch. Miles sprang plötzlich auf, zog mit einem Ruck an der Angelrute und spulte die Schnur auf. Ein zuckender, silbern schimmernder Fisch tanzte über dem Wasser. Ein Barsch? Nein, dafür war er zu klein. Seine Schuppen schimmerten wie eine auf Hochglanz polierte Rüstung. Die Rückenflossen waren indigoblau. „Was ist denn das für ein Fisch? Kennt den einer?“ Miles keuchte vor Anstrengung. Der kleine Fisch schien über ungeheure Kräfte zu verfügen. „Da fragst du die Richtigen“, stieß Charise hervor. Dabei sah es nicht wirklich so aus, als würde der Fisch um sein Leben kämpfen. Vielmehr spielte er mit Miles, wenn da nicht der Angelhaken in seinen Kiemen stecken würde. In den nun immer größer werdenden Augen des seltsamen Fisches trat ein rotglühender Schimmer, wie das Flackern von Feuer und er sah mich an. Es war, als wollten mich diese Augen in ihr Innerstes ziehen. Rauch quoll in kleinen Schlieren hinter den Kiemen hervor, vorbei an dem Angelhaken, der noch darin steckte. Die nun ungewöhnlich rot flammenden Augen des Fisches stierten mich weiter an. Ob das an der Hitze lag? Ich hätte den Sonnenhut mitnehmen sollen. Doch etwas an der Art, wie dieser Fisch mich weiterhin in seinen Bann zog, versetzte mich in äußerste Alarmbereitschaft. Ich konnte es nicht erklären, aber ich wusste, dass wir in Gefahr waren. „Gib ihn frei, Miles! Schnell!“, rief ich, plötzlich von einer unerklärlichen Unruhe erfasst. „Was? Bist du wahnsinnig geworden? Sieh ihn dir an, er ist ein Prachtexemplar.“ Plötzlich einsetzende Kopfschmerzen umspannten meinen Schädel wie einen zu eng sitzenden Helm. „Avery, schrei doch nicht so! Ich lass ihn ja schon vom Haken. Siehst du? Er schwimmt wieder friedlich davon. Du meine Güte, du benimmst dich ja wie ein Baby.“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich schrie. Dann war der Kopfdruck schlagartig fort. Wütend rollte Miles den letzten Rest der Angelschnur auf. Charise war bleich wie die Wand. Mit offenem Mund starrte sie mich an. „Was?“, fragte ich sie unwirsch. Miles sah von Charise zu mir. „Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?“ „Hast du einen Sonnenstich, oder was? Und überhaupt: Wo ist dein Hut?“, fragte sie, als sie sich wieder in der Gewalt hatte. „Ich kann es euch jetzt nicht erklären, aber wir müssen diesen Platz sofort verlassen! Irgendetwas geht hier vor, wir müssen nach Hause!“ Ich sah gerade noch, wie Miles den Zeigefinger vor dem Kopf zu kreisen begann, um Charise klarzumachen, dass ich offensichtlich völlig durchdrehte. Ärgerlich schulterte ich meinen Rucksack und verfiel bereits im Laufschritt. Hinter mir hörte ich Miles rufen. „Avery, verdammt so warte doch!“ Ich schlug einen anderen Weg ein als den, den wir heute Vormittag genommen hatten. Während ich rannte, als wäre ein Dämon hinter mir her, versuchte ich meine Gedanken neu zu ordnen. Es war ähnlich gewesen wie gestern, als ich die Karten legte. Da waren auch die Geräusche um mich herum mit einem Mal verstummt. Und der Fisch, der mich mit roten Augen angesehen hatte. Ob es eine Warnung war, fragte ich mich in dem kurzen Moment, in dem mein Verstand wieder funktionierte, oder wurde ich langsam verrückt? Aber der Vogel, den ich gezeichnet hatte und der kurz darauf tatsächlich auf Charise‘ Schulter … „Avery, können wir kurz mal anhalten? Ich habe Seitenstiche. Wir können die Strecke doch nicht in einem durchlaufen“, stöhnte Charise hinter mir. Sie blieb, nach vornübergebeugt, schnaufend stehen, die Hände in die Seiten gestemmt. „Ich renne vor, ihr kennt ja den Weg.“ In gleichbleibendem Tempo jagte ich durch den Wald, begleitet von unterschwelligem
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