Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar - Janet Borgward


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„Sie? Wer sind sie? Weitere Gelbe?“ Allein der Gedanke daran ließ mich frösteln. Ob der seltsame Fisch mit den roten Augen mich davor hatte warnen wollen? Doch behielt ich meine Gedanken für mich. „Gelblinge. Sie gehören zu den Herren von Kandalar und diese werden nicht eher ruhen, bis sie uns gefunden haben.“ „Dann haben sie Gullorway angezündet? Aber warum? Sie haben doch mehr als genug bekommen und dazu noch eintausend Platons.“ „Sie haben nach uns gesucht. Nach dir und mir.“ „Woher willst du das wissen, Charise?“, fragte Miles. „Und wie hast du mein Messer genannt, bevor es so seltsam glühte?“ Charise überging meine Frage und sah Miles an. „Frag Avery doch mal, warum ihre Karten plötzlich keine Bilder mehr haben, aber Bilder, die sie malt, lebendig werden.“ Charise griff in ihre zerrissene Hosentasche und zog ein zerknülltes Papier heraus. Als sie es entfaltete, erkannte ich den von mir gezeichneten Vogel darauf.

      Verbrannte Spuren

      Aus der Ferne beobachteten Neschwirr und sein Gefolge, wie Gullorway von den Flammen niedergerungen wurde. Schwarzbrauner Rauch verhüllte die Sonne und trug die Schreie der eingeschlossenen Opfer zu ihnen herüber. Er hatte keine Gnade walten lassen. Niemand dieser törichten Bewohner hatte ihnen sagen wollen, wo sich die beiden rothaarigen Mädchen befanden. Selbst dann nicht, als er ihnen gedroht hatte, ihr Dorf anzuzünden. Er hatte so handeln müssen. Wenn er von seinen Männern respektiert werden wollte, musste er sich unnachgiebig zeigen. Daher hatten Neschwirr und seine Männer sämtliche Fenster und Türen versperrt, verbarrikadiert und mit Schlössern verriegelt. Sollten sie doch in der Hölle schmoren für ihren Eigensinn. Aber die Mädchen hatten sie nirgends gefunden.

      Bevor sie selbst Gefangene des Feuers wurden, traten die Herren von Kandalar den Rückzug an. Jetzt konnte er nur hoffen, dass die Mädchen nicht unter den Opfern waren. Aus diesem Grund hatte er die Gelblinge zurückgeschickt, um sie in den Trümmern nach ihnen suchen zu lassen.

      „Da, schau Neschwirr-Guhl. Dahinten bewegt sich etwas.“

      Neschwirr blickte in die Richtung und sah, wie sich zwei Gestalten aus dem Rauch hervortaten. In kurzen, hüpfenden Sätzen kamen sie auf ihn zu. Gelblinge. Warum nur zwei? Sie fiepten ängstlich und hielten ihre unansehnlichen Schädel demütig gebeugt.

      „Wo sind die anderen beiden? Was ist mit den Mädchen?“

      Neschwirr war außer sich vor Wut. Als sie in das Dorf einfielen war er davon ausgegangen, dass das Ganze ein Kinderspiel werden würde. Den verängstigten Menschen ein wenig drohen, ihnen saßen ja der Schrecken vom letzten Mal noch in den Knochen. Dann mit den beiden Mädchen zurück auf die Burg von Kandalar. Und jetzt? Wie sollte er dies seinem Vater erklären? Er konnte unmöglich mit leeren Händen zurückkommen noch dazu, wo zwei der Gelblinge unter Umständen im Feuer umgekommen waren.

      Er zückte seine Peitsche aus den Stiefeln, ließ sie durch die Luft sausen und dem Gelbling, der ihm am nächsten war um den Hals schlingen.

      „Wo sind sie?“, fragte er, als könnten sie ihn verstehen. Der Färber hatte ihm versichert, diese Gelblinge seien folgsam, sie würden jedes Wort begreifen und Befehle befolgen. Sie könnten nur nicht mehr sprechen. Verdammte Mutationen. Was wollten sie mit solchen Wesen, wenn sie ihnen nicht gefällig waren? Er würde seinem Vater berichten müssen, dass sie noch nicht optimal zu kontrollieren waren aber ohne die Mädchen würde Mahilo-Esch kein Ohr dafür haben.

      Neschwirr schlängelte die Peitsche von dem Hals des Gelblings, bevor auch dieser noch sein Leben aushauchte.

      „F-ü-h-r-t mich zu ihnen und ich verspreche euch gegenüber Gnade walten zu lassen.“

      Schnüffelnd und mit ruckenden Köpfen suchten sie den Boden ab. Die Spuren führten um Gullorway herum. Langsam folgten Neschwirr und seine Männer den Gelblingen, selbst die Häupter geneigt beim Ausspähen nach Fußspuren. Doch die Hufe ihrer Pferde hatten bereits das meiste verwischt. Den Rest hatte der Brand erledigt. Sie würden warten müssen bis Feuer und Rauch vollständig verschwunden waren und ihre Suche erneut starten. Diesmal durfte ihm kein Fehler unterlaufen.

      In den Sümpfen

      Erst als uns völlige Dunkelheit umhüllte wie ein dichter Mantel machten wir halt. Wie weit wir gelaufen waren oder ob nur im Kreis vermochte ich nicht zu sagen. Der Rauch verbrannter Felder und verkohltem Fleisch hielt mich noch immer gefangen. Er war überall. In unseren Haaren, unserer Kleidung, sogar auf der Haut. Was wir gesehen hatten, würde sich tief in unsere Seele einbrennen und Narben hinterlassen. Für immer.

      Keiner wagte etwas zu sagen. Unfassbar war das Erlebte. Dennoch benötigten wir einen Plan. Irgendetwas, das uns Halt gab.

      Charise war es schließlich, die ihre Stimme als Erste wiederfand. Dabei klang sie steif, förmlich.

      „Wir werden unsere Kräfte noch brauchen. Daher sollten wir versuchen zu schlafen.“

      Als hätte sie mit ihren Worten einen Hebel umgelegt, sprudelte es auch schon aus mir heraus. „Wie kannst du nur so kalt sein, Charise? Berührt es dich kein Stück, dass Mutter, unsere Freunde und alle die wir kannten und liebten massakriert wurden? Kannst du dich einfach schlafen legen, wie nach einem fetten Essen? Willst du nicht wissen, warum dieses Massaker geschah?“

      „Ich habe es dir schon einmal gesagt, Avery. Sie werden nach uns suchen. Und wenn sie uns finden, haben wir keine Chance mehr über irgendetwas nachzudenken, außer, um unser Leben zu rennen. Du hast uns das doch überhaupt erst eingebrockt!“

      Ich sprang auf, brauchte ein Ventil, mit dem ich all meine Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit entladen konnte. Ich wollte ihr die Augen auskratzen, sie verletzten für die Worte, die nicht die ihren zu sein schienen, sondern die einer Fremden.

      „Ich? Du spinnst ja!“

      „Hört auf! Sofort!“, mischte sich Miles ein, der bisher kein einziges Wort gesagt hatte. „Sie hat Recht, Avery. Wir sollten versuchen zu schlafen, wenigstens ein paar Stunden. Keiner von uns kann im Moment mehr klar denken.“

      Gekränkt wandte ich mich ab. In diesem Augenblick begann ich Charise zu hassen und es sollte nicht das letzte Mal sein.

      Wie Fremde, die das Schicksal zwang zu bleiben, rauften wir uns vorerst zusammen, wagten uns bei der Dunkelheit jedoch nicht weiter in den Wald hinein. Rücken an Rücken ließen wir uns an Ort und Stelle nieder und hofften, dass keine Blut saugenden Insekten oder Schlimmeres uns heimsuchten. Dazu verspürte ich einen Bärenhunger und schämte mich dafür. Eben noch hatte ich Charise für ihre Gefühlskälte getadelt, wie konnte ich da selbst ans Essen denken? Jetzt bereute ich, dass ich Miles genötigt hatte, den Fisch, den er noch vor Stunden an der Angel hatte, in den Fluss zurückzuwerfen. Wenigstens besaßen wir unsere Angelruten noch und mein Messer. Besser als nichts.

      Neben mir zuckte Miles im Schlaf. Ich dagegen hatte Angst einzuschlafen. Ich wusste, wenn ich mich der Müdigkeit hingab, würden die alptraumhaften Gedanken zurückkommen, die ich mit aller Macht versuchte zu verdrängen. Selbst im wachen Zustand ließen sie mich nicht los. Etwas, das Charise gesagt hatte, als die Gelblinge uns angriffen, geisterte in meinem Kopf herum. Aber so sehr ich mich auch bemühte, es wollte mir nicht mehr einfallen. Irgendwann musste ich dann wohl doch eingenickt sein.

      Als ich die Augen öffnete, war es noch dunkel. Wie spät es wohl war? Hunger und Durst plagten mich. Ich begann, Spucke in meinem Mund zu sammeln und dann hinunterzuschlucken. Ein armseliger Trost. Meine Kleidung fühlte sich vom feuchten Waldboden ganz klamm an, lag schwer auf der geschundenen Haut.

      Wieder zuckte Miles. Dann spürte ich, wie er seine Muskeln anspannte.

      „Hast du was gehört?“, raunte ich ihm zu.

      Er schüttelte seinen Kopf, schwieg. Kurz darauf war er wieder eingeschlafen. Zwischen den Baumkronen zwang die Morgensonne bereits ihr spärliches Licht hindurch, in dampfenden Balken. Noch eine gute Stunde dann würden wir genug Licht haben, um weitergehen zu können.

      Bohrende Gedanken hielten mich weiterhin wach. Vater. Was sollte ich für ihn aus den Karten lesen? War es etwa genau das, was gestern mit Gullorway geschah?


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