ShadowPlay - Entblößt. Victoria vanZant
zweitausend Euro für ein Kleid ausgaben. Doch die Anprobe entpuppte sich als ultimative Gehirnwäsche: Nach der Anwendung von kreativer weiblicher Arithmetik und in der Abwägung zwischen zwei Wochen Dosenravioli und einem unvergesslichen Auftritt konnte die Antwort der Trauzeugin nur »Ja, ich will!« lauten.
Gleichzeitig traten die Frauen aus den Kabinen und standen sich gegenüber. Mit großen Augen blickten sie von oben nach unten und wieder zurück. Wie aus einem Mund verkündeten sie: »Perfekt!«
Andächtig zeichnete Elenas Zeigefinger die Perlenstickerei an Fionas Dekolleté nach. »Das ist dein Kleid!«
»Ja«, jubelte die Freundin mit verräterischem Glitzern in den Augenwinkeln, »aber nur, wenn ich bereit bin, während der Zeremonie auf das Atmen zu verzichten.«
»Warum denn das? Es sitzt doch absolut großartig! Durch die hochgerutschte Taille sieht das Kleid aus, als wäre es für eine Schwangere entworfen worden!«
»Genau so ein Kleid im Empirestil habe ich gesucht. Aber es ist zu eng.«
Der klägliche Tonfall brachte Elena zum Grinsen. »Zeig mal, wo denn?«
Fiona drehte ihr den Rücken zu und präsentierte die Leiste mit Knöpfen, die aus lauter kleinen Perlen bestand. Im Rhythmus der Atemzüge spannte und entspannte sie die Knopfleiste bedenklich.
»Du hast recht, da sollte die Schneiderin Hand anlegen.«
Der freudestrahlende Blick der Braut verschwand, erneut war sie den Tränen nahe. »Und wenn das nicht geht? Ach, das ist sowieso viel zu viel Gedöns für mich, mit dieser Perlenstickerei im Oberteil und am Saum«, versuchte das Häufchen Elend, ihre Angst zu überspielen, indem sie sich das Kleid schlechtredete.
»Überhaupt nicht!«, widersprach Elena energisch. »Ganz im Gegenteil. Es ist doch alles Ton in Ton und wirkt dadurch ausgesprochen stilvoll. Und diese champagnerfarbene Seide passt total toll zu deinen rotbraunen Locken. Wirklich, du siehst so wunderschön aus!«
»Jetzt ist nur die Frage, was ich obenrum mache?«
»Du meinst ein passendes Jäckchen, falls es kurzärmelig zu kühl wird?«
»Ja, das auch, denn der Carre-Ausschnitt ist ja ziemlich groß und die Ärmel sind sehr kurz … Aber ich meinte auch hier oben«, sie zeigte auf ihren Kopf.
»Schleier?«, erkundigte sich Elena und visierte bereits die transparenten Träume an, die die gesamte Breite einer Wand zierten.
»Ja, ich finde zu einem langen Kleid gehört einfach ein Schleier.«
»Wenn du meinen Rat möchtest, nimm einen ganz Schlichten, keine Spitze oder so, denn das könnte dann doch mit der Stickerei des Kleides kollidieren.«
»Ja, das finde ich auch. Was denkst du? Eine Hochsteckfrisur und dann nur mit einem Schmuckkamm befestigt?«
»Nein«, entgegnete Elena entschieden und wendete sich direkt den Schleiern zu, um sie genauer zu inspizieren. »Zu dir, zu der großen Liebe, die dich und Ryan verbindet, gehört etwas ganz Romantisches!« Ihre Hand glitt langsam unter den feinen Seidenchiffon, der die dunklen Adern ihrer Haut durchscheinen ließ und gleichzeitig wie ein Weichzeichner wirkte. »Ich habe da schon eine Idee.« Fiona fixierte die Freundin erwartungsvoll – doch Elena verriet nichts und fragte stattdessen: »Vertraust du mir?«
»Natürlich, aber …«
»Ich habe eine tolle Idee und garantiere dir, dass sie dir gefallen wird.«
»Ich glaube, ich mag keine Überraschungen mehr!«, bekannte die Braut kleinlaut, »aber ich finde es wunderbar, dass du dir so viele Gedanken um mich machst.« Sie setzte an, um ihrer Trauzeugin um den Hals zu fallen, doch ein laut knirschendes Geräusch veranlasste sie, die Arme unverrichteter Dinge wieder sinken zu lassen. »Mein Gott!«
Angesichts der Perlenknöpfe, die wie Geschosse durch die Boutique flogen, entwich Elena ein flapsiges »Alle Mann in Deckung!«, das sie am liebsten sofort wieder zurückgenommen hätte, als sie Tränen in Fionas Wimpern glitzern sah. »Es ist doch gar nicht so schlimm!«, versuchte sie, zu beschwichtigen.
»Mein Kleid«, schluchzte die Schwangere. »Mein schönes Kleid …«
Der Kommentar, der Elena entwich, nachdem sie einen Blick auf die Rückseite geworfen hatte, trug ebenfalls nicht zur Entspannung bei. Genauso wenig, wie die entsetzten Gesichter der herbeigeeilten Angestellten.
Jetzt gab es kein Halten mehr. »Alles vorbei«, schluchzte die Schwangere unter Tränen.
Mit offenen Mündern starrten die Mitarbeiterinnen auf die Rinnsale, die sich links und rechts neben den Mundwinkeln unaufhaltsam ihren Weg in Richtung Dekolleté bahnten. Nur noch wenige Zentimeter, dann würde der sündhaft teure Stoff den salzigen Tropfen schutzlos ausgeliefert sein. Die pflichtbewussten Damen stürzten gleichzeitig aus dem Stand auf Fiona zu.
Elena war nahe daran, sich heldenhaft dazwischen zu werfen, weil sie sich nicht sicher war, ob die entfesselte Horde der Weinenden das Gewand vom Leib reißen würde.
Doch statt roher Gewalt, spendeten die Angestellten sanften Trost in Form feinster Taschentücher, mit denen sie versuchten, der Flut Herr zu werden, während gleichzeitig hektisch ordnende Maßnahmen verhindern sollten, dass Fiona beim Hinabsinken auf das Sofa Knitterfalten in das Kleid bügelte.
»Alles vorbei«, schluchzte sie erneut in ihr Taschentuch und ließ die Schultern sinken.
»Signora …!«
Mehr verstand Elena nicht, aber nach dem Tonfall des wechselnden Redeschwalls zu urteilen, der auf die heulende Braut niederprasselte, trafen die Damen genau den richtigen Nerv.
»Si, si, bene«, antwortete Fiona sichtlich ruhiger, erhob sich und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Auf dem Weg in die Umkleidekabine, die eher den Namen Luxusappartement verdiente, sah sie sich noch einmal um. »Ich ziehe das Kleid nur schnell aus, damit es repariert werden kann.«
Elena wollte eben entspannt auf dem Sofa in sich zusammensinken, als ihre eigenen Alarmglocken laut schrillten: Nur mit Mühe gelang es ihr, die Abwärtsbewegung abzufangen. Fehlte noch, dass sie jetzt ihr Kleid verunstaltete, bevor sie es gekauft hatte.
Aber sollte sie wirklich?
Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass der emotionale Rattenfänger eine versnobte Seite in ihr zum Vorschein brachte, die sie bisher weder angestrebt hatte, noch dass sie sie mochte. Allein das winzige Stückchen Stoff, das sie gerade auf der Schulter zurechtrückte, musste um die hundert Euro kosten.
»Wie für dich gemacht«, schwärmte Fiona noch einmal und zog den Gürtel des Bademantels straff, in dem sie aussah wie ein überdimensionaler Teddybär.
»Das kann ich nur zurückgeben«, grinste Elena und ließ ihre Finger über das flauschige Material gleiten. »Meinst du, wir schaffen es, so ein Teil hier raus zu schmuggeln? Der ist ja wirklich mega!«
Fiona schüttelte den Kopf und legte ihre Hände auf den Bauch. »Ich halte Hope die Ohren zu, damit sie nicht mitbekommt, welche kriminellen Anwandlungen ihre zukünftige Patentante gerade hat! Was hältst du denn davon, wenn wir einfach fragen, ob wir einen Bademantel mitnehmen dürfen?«
»Aber das macht doch nur halb so viel Spaß«, grinste Elena und setzte ihren berühmt berüchtigten Schmugglerblick auf.
»Wie kommt es eigentlich, dass du ausschließlich im Urlaub Anflüge von moralischer Legasthenie hast? Ist das die Klimaveränderung, die dir nicht bekommt? Du bist doch von Haus aus ein grundanständiger Mensch!« Fiona versuchte, ihr breites Grinsen zu verstecken, indem sie den Kopf senkte. Und sie beschloss, noch einen draufzusetzen. »Dein Kleid sitzt wie eine zweite Haut und dieses dezente Türkis wird sicher super zum Cut des Trauzeugen passen …«
Nicht schon wieder!
Elena war nicht bereit, erneut über David zu sprechen, und schlug den Ball zurück in das gegnerische Feld. »Das bringt mich zu deinem Kleid …«
»In dem ich