SeelenFee - Buch Vier. Axel Adamitzki
machst du das nicht dann schon einmal … allein?«
»Allein? Wozu?«
»Für dich.«
»Allein. Für mich? Das ist Unsinn. Nein, das wäre kein … kein Vergnügen. Das geht auch gar nicht. Auch würde mich zu viel an mein früheres ›Umherirren‹ erinnern.«
Ja, damit hatte sie wohl recht. »Dann mach es nicht allein. Gibt es denn sonst niemanden in deiner Umgebung, der dich …?«
»Nein. Doch. Natürlich …«
Silvana schrak zurück, vor ihrer Frage, die ihr plötzlich einen haarsträubenden Gedanken mitten in den Kopf setzte. Bitte, sag jetzt nicht, dass ich das bin.
»Da gibt es zwei Hausmädchen, meinen Fahrer und dann noch Maria, meine …« Elektra lächelte verschmitzt. »… meine mütterliche Privatsekretärin.
Wenn sie das jetzt gehört hätte, hätte sie sicherlich wieder schweigsam und verschämt den Blick fallen gelassen.
Sie liebt mich. Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin die Tochter, die sie nie bekommen hat. Und hörst du …?« Wieder war dieses Klingeln aus ihrer Tasche vernehmbar. »Das ist sie. Wir sind … na ja, ich war nicht sehr freundlich zu ihr gewesen. Beleidigt hatte sie sich zurückgezogen. Ich bin dann augenblicklich verschwunden. Das war Donnerstag. Und jetzt macht sie sich Sorgen. Sie hat seitdem bestimmt schon mehr als zwanzigmal versucht, mich zu erreichen.«
Diese Worte machten Silvana traurig. Irgendwie wollten sie nicht mehr zu der Frau passen, die sie in den letzten Stunden kennengelernt hatte. Dennoch gab es sie, wird es sie wohl immer geben, diese andere Elektra – mit all der Unbeständigkeit ihrer Gefühle. Menschen sind so, hörte sie eine Stimme in sich. Ja, die Menschen waren so.
»Was hast du, Silvana?«
»Ach, nichts.«
»Doch bitte, sag es mir.«
»Na gut: Warum tust du das?«
»Was? Was tue ich?«
»Menschen, die dir wohlgesonnen sind, die dich vielleicht sogar aus tiefster Seele lieben, vor den Kopf stoßen?«
Elektra senkte den Blick. Und sie schluckte trocken. Silvanas Worte hatten sie offensichtlich tief im Herzen getroffen.
»Es tut mir leid.«
»Sag das nicht mir, sag es ihr, deiner Maria.« Noch vor Stunden hätte es diese Worte nicht gegeben.
Beinahe wie bestellt, klingelte es wieder in Elektras Tasche.
Elektra nickte Silvana zu – dann werde ich das jetzt machen, sollte das wohl heißen – und zog ihr Smartphone hervor. Und im Moment, als sie das Gespräch annehmen wollte, blickte sie noch einmal kurz auf das Display, und sie erschrak.
»Es ist nicht … Es ist Bella!«
Und sie sprang auf.
»Bella, schön dass du …« – »Zehnmal schon?« – »Nein, ich hab nichts gehört. Du weinst ja! Was ist passiert?«
Und dann hörte Elektra einen langen Moment nur zu. Der Mund, die Augen, alles eben noch angespannt, begann sich zu lösen.
Silvana begriff nun, wie sehr Elektra ihre Bella wohl liebte. Ja, es war Liebe.
Minuten später, kurz nachdem Elektra ein weiteres Telefonat geführt hatte, sich bei Maria tatsächlich entschuldigt und sie bei der Gelegenheit auch noch mit ein paar »Aufträgen« betraut hatte, verließen sie das Bistro.
Elektra schien zu schweben.
»Bella kommt zurück. Jetzt. Direkt aus New York. Maria kümmert sich gerade um alles.«
»Und was ist mit Miami?«
»Das hat sich zerschlagen«, sagte Elektra mit einem beiläufigen Lächeln in der Stimme.
Zerschlagen. Was für eine unscheinbare Bemerkung. Bellas Traum hatte sich für heute zerschlagen. Am Telefon hatte sie wohl darüber geweint. Und hier …? Hier sah Silvana ein Lächeln über dieses albtraumhafte Unglück, das es für die Frau in New York sicherlich gegeben hatte.
War das Liebe?
Silvana schwieg. Auch innerlich.
Zehn Minuten später waren sie wieder vor Elektras Hotel.
»Ich danke dir, Silvana. Ohne dich … Nein, Worte können kaum ausdrücken, was ich empfinde und was du für mich getan hast, zumindest keine Worte, die mir jetzt einfallen würden.
Ich bin dir von ganzem Herzen und aus tiefster Seele dankbar. Und hier«, sie reichte Silvana ein Kärtchen. »Dort findest du meine private Mobilnummer. Für den Fall, dass du einmal meine Hilfe brauchen solltest. Und nicht nur dafür. Ich würde mich freuen, wenn du dich bei mir melden würdest. Ich weiß noch so gar nichts von dir. Doch wüsste ich gern viel mehr, auch würde ich dich gern wahrhaftig kennenlernen. Aber vielleicht … Ja, ich denke, Raymond würde das vielleicht nicht gefallen.
O mein Gott, wie kompliziert das alles doch ist. Obwohl … Ganz unschuldig daran bin ich wohl leider nicht. Es tut mir schrecklich leid.« Traurig sah sie Silvana an, doch der Blick änderte sich sogleich, wurde leutselig und mit fester Stimme sagte sie: »Am besten gibst du die Nummer direkt bei dir ein und rufst mich eben an. Dann kann ich dich gleich richtig abspeichern.«
Silvana tat Elektra den Gefallen, wusste aber nicht … wobei Elektra ihr je behilflich sein könnte.
Aber augenblicklich sollte dieser kleine Anflug von Überheblichkeit eine niederdrückende Antwort bekommen.
»Wenn es mit Raymond wirklich ernst werden sollte, dann wirst du seine Familie auch kennenlernen. Ich meine richtig. Und glaube mir, sie werden dich … Du wirst mehr als einmal weinen. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Erschrocken sah Silvana Elektra an. Sogar sie, die Gräfin, hatte Probleme gehabt?
Wie richtig war dann erst ihre Entscheidung gewesen. Und wie sehr musste Mel ihn wirklich … Und bei ihrem nächsten Gedanken, abstrus und hässlich, lief ihr sogleich ein entsetzlicher Schauer über den Rücken, und ihr wurde kalt, fürchterlich kalt, alles Leben verkroch sich einen Moment weit weg von ihr, irgendwo in einem leeren Nichts: War Mel, war ihre Mel am Ende sogar froh über ihr Schicksal gewesen? Hatte sie ihr diesen schrecklichen Traum von ihrem Ableben am Ende voll Freude, voll erlösender Freude geschickt?
Nein! Dieser Gedanke, diese Ahnung, es könnte sich tatsächlich so … nein, das durfte nicht sein.
Silvana schloss die Augen. Sie musste weg, nach Hause, diesen unheilvollen Gedanken hier in der Dunkelheit zurücklassen.
»Was ist mit dir, Silvana? Geht es dir nicht gut? Was hast du? Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Nein, nein. Es ist nur …«
Elektra schien zu spüren, was in Silvana vor sich ging. Und sie trat den einen Schritt, der sie trennte, auf Silvana zu und nahm sie in den Arm.
»Wenn irgendetwas ist, meine Freundin«, sagte sie eindringlich und mit fester Stimme, die keinen Zweifel an ihren Worten zuließ, »egal was, dann zögere nicht. Glaube mir, und das sage ich nicht nur so, auch wenn es erneut schrecklich überhöht klingen mag, du bist mir eine Freundin geworden, die ich … die ich so noch nie hatte. Und die ich nie mehr verlieren möchte. Also … wenn es irgendetwas gibt, wobei ich dir helfen kann, dann zögere nicht«, wiederholte sie ihre Bereitschaft, Silvana eine Freundin sein zu wollen. »Auch wenn dein und mein Leben sehr unterschiedliche Wege beschreiten werden«, fuhr sie ruhig fort, wobei sie Silvana noch immer liebevoll im Arm hielt, »und wir vielleicht auch länger nichts voneinander hören, trotzdem … Ich bin dir für die letzten Stunden unsagbar dankbar. Und all das, was da eben passiert ist, ist für mich noch immer unfassbar und … auch schön. Und befreiend. Trotzdem wird es wohl noch eine lange Zeit brauchen, bis ich verstanden habe, was da alles wirklich passiert ist. Noch einmal danke ich dir, Silvana. Von ganzem Herzen. Du … du bist ein so wertvoller Mensch.