SeelenFee - Buch Vier. Axel Adamitzki

SeelenFee - Buch Vier - Axel Adamitzki


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wusste sie, dass sie weder das eine noch das andere war. Gleichwohl fragte sie sich wieder einmal, wer sie eigentlich wirklich war. Und fand erneut keine Antwort.

      *

      Minuten später waren sie Teil der frühabendlichen Stadt. Menschen, die an ihnen vorbeigingen, hielten sie sicher für zwei Fremde, die nur zufällig den gleichen Weg hatten. Elektra irrte innerlich durch ihre dunkle Vergangenheit, öffnete hier und dort eine Tür, schloss sie wieder, bis sie schließlich die Tür fand, nach der sie wohl gesucht hatte. Silvana war sprachlos und wagte kaum über das Gehörte nachzudenken.

      Nachdem sie so eine Weile stumm durch enge Gassen gelaufen waren, fanden sie bald schon wieder … fanden ihre Seelen wieder zueinander und Elektra erzählte schließlich weiter.

      In den nächsten fünf Tage nach diesem »Zwischenfall« – sie sprach tatsächlich selbst von Zwischenfall!, genauso wie sie vorher in ruhigem Ton von Strafe gesprochen hatte – hatte sie sich in einem einfachen Hotel verkrochen.

      »Ich begann zu ordnen. Meine Gedanken. Mein Leben. Nie wieder wollte ich einen Mann an mich heranlassen. Merkwürdigerweise war das ein Gedanke, der mir leichtfiel. Und auch unsagbar guttat.«

      Und diesen Gedanken musste Gott wohl als Gebet erhört haben, denn einen Tag bevor sie zurückwollte – über New York nach Europa, wohin genau, hatte sie nicht gewusst, vielleicht zu Freunden nach Mailand –, war ihr Bella über den Weg gelaufen.

      »Bella war Bedienung in einem Café. Ihre Augen waren zum Überlaufen angefüllt mit Traurigkeit. Das fiel mir sofort auf. In Amerika, besonders in L.A., achtet man mehr auf das Lächeln, auf die weißen Zähne, die dabei zum Vorschein kommen. Weniger auf die Augen. ›Geht es gut?‹, fragt man. Rhetorisch. Niemand möchte etwas anderes als ein ›Ja‹ hören. Wie es einem wirklich geht, interessiert keinen Menschen. Und auch echten Augenkontakt vermeidet man tunlichst. Das sind meine Erfahrungen.

      Als Bella mitbekam, dass mir ihre Traurigkeit nicht verborgen geblieben war, lächelte sie kleinherzig. Es war das erste und einzig echte Lächeln, das sie, während sie bediente, von sich preisgab.

      Und ihr ging es tatsächlich noch schlechter als mir, wie sie mir am gleichen Abend noch erzählte.

      Zufällig … Nein, es gibt keine Zufälle«, sagte Elektra, schüttelte nachdrücklich den Kopf, als wollte sie der Zufälligkeit auf keinen Fall auch nur den geringsten Platz einräumen, und fuhr fort: »Jedenfalls hatten wir gleichzeitig das Café verlassen. Ich wollte zurück ins Hotel, packen, um den nächsten Flieger nach New York zu nehmen, und für Bella war die Arbeit an diesem Tag einfach nur beendet.

      Als ich ihr noch einen schönen Abend wünschen wollte, sah ich wieder diese traurigen Augen. Und da konnte ich nicht anders: Ich nahm sie in den Arm. Und sie …? Was tat sie?« Aus großen Augen sah Elektra Silvana an. »Sie begann bitterlich zu weinen und ließ mich nicht mehr los.« Elektra schüttelte den Kopf, und augenblicklich verlor sie sich wieder in ihren Erinnerungen.

      Silvana schwieg, hörte wieder nur einfach zu und dachte jetzt nicht darüber nach, wie merkwürdig all das, was hier passierte, doch war. Wie war eine solche Nähe, die man sicher schon als intim bezeichnen konnte, in so kurzer Zeit möglich?, war eine Frage, die immer wieder in ihr hochstieg und genauso schnell wieder zum Schweigen gebracht wurde. Für Antworten hatte Silvana jetzt keine Zeit – sie wollte und musste einfach nur zuhören.

      »Ich nahm sie mit in mein Hotel«, fuhr Elektra fort. »Am Ende war es reiner Egoismus. Da gab es jemanden, dem es noch schlechter ging als mir. Und merkwürdig war, ihr zu helfen, sie wie ein kleines Mädchen im Arm zu halten, lenkte mich nicht nur von all meinen Problemen ab, es gab mir sogar Kraft. Es war irgendwie unwirklich.

      Verstehst du das? Entschuldigung, verstehen Sie das, Silvana?«

      Silvana lächelte. Aber nicht der Frage wegen, sondern weil ihr das Du dieser Frau beinahe vertrauter erschien als dieses fremde Sie.

      »Sagen Sie ruhig Du.«

      »Ja … Gern. Aber nur, wenn du es auch tust.«

      Oh nein! Silvana spürte, wie sie innerlich kurz zuckte.

      Aber warum eigentlich?

      Offensichtlich gab es hier kein Oben und Unten, auch gab es kein Ablehnen mehr. Doch der erste Eindruck, vor Wochen geprägt, saß tief. Und das alles hier ging auch viel zu schnell. Menschen sind normalerweise nicht so. Obwohl … in ihrer Nähe war es oft anders. Also …

      »Gut. Ich versuche es, Elektra.«

      »Das freut mich. Und … da wäre noch etwas …« Verschämt ließ Elektra den Blick fallen. »Könntest du mich jetzt einmal … ganz kurz nur … in den Arm nehmen?«

      Hastig zuckte Silvana äußerlich zurück, etwas, das Elektra nicht verborgen blieb. Doch verstand sie es falsch. Sie konnte ja nicht wissen, dass Silvana es schon längst gern getan hätte, doch hatte sie nicht gewusst … Und im Moment hatte sie die Frage nur überrascht.

      »Nein, bitte, vergiss es wieder«, sagte Elektra. »Oh mein Gott, das könntest du jetzt tatsächlich falsch verstehen … Nein, es tut mir leid. Lassen wir das. Manchmal bin ich ziemlich unbeholfen, auch wenn viele das nicht wissen oder gar sehen. Entschuldige. Und …«

      Weiter kam sie nicht mit ihrer stotternden Erklärung, die durchweg sinnlos war. Im nächsten Moment lag sie in Silvanas Umarmung. Und sie begann bitterlich zu weinen.

      *

      Ein paar Minuten später, nachdem sich Elektra wieder halbwegs beruhigt hatte, gingen sie weiter und saßen bald schon in einem Café.

      Und Elektra fuhr dann mit all dem, was ihr heute noch auf der Seele brannte, fort: »Gern würde ich dir noch von Bella erzählen.

      Ich weiß nicht warum, aber merkwürdigerweise fällt es mir nicht schwer, dir all das zu erzählen.

      Über Rafi, über unsere Liebe, die gänzlich anders war, als viele Menschen auch heute noch glauben zu wissen, möchte ich jetzt nicht sprechen. Eines nur: Er war ein wundervoller Mann, völlig anders, als man ihn in der Presse oder gar im Internet dargestellt hat und es noch immer tut. Wie er wirklich war, hat nicht einmal seine engste Familie gewusst.«

      Elektra trank einen Schluck Kaffee und erzählte dann weiter, von der ersten Nacht, als Bella in ihrem Arm gelegen und bitterlich über den Verlust ihrer Liebe, Gabrielle, eine junge Frau aus L. A., geweint hatte. Dass sie von einer lesbischen Liebe gesprochen hatte, hatte Elektra erst Stunden später begriffen.

      »Ich war unsagbar naiv, was das betraf. Aber vielleicht war auch tief in mir etwas, das die Liebe zwischen zwei Frauen als völlig normal ansah und nur darauf gewartet hatte, endlich geweckt zu werden.

      Und das tat Bella, durch Worte, durch Gesten und durch ihre unverkrampfte Offenheit. Aber nicht gleich.

      Wirklich ernst wurde es erst zwei Wochen später. Bella hatte gespürt, dass es da in mir etwas gab … Sie hatte es einfach gefühlt, wie sie mir später erzählte.

      Alles hatte mit einem Streicheln begonnen. Ihre Hände … es war wunderbar, sie zu spüren.«

      Die Liebe zu Bella tat ihr gut, erschreckte sie aber auch. Sie begehrte eine Frau. Das war anfänglich, trotz dieser rasch verspürten Normalität, unsäglich befremdlich, dennoch schön, sehr schön … beinahe zu schön.

      Und so war das gekommen, was kommen musste: »Nach weiteren zwei Wochen trennte ich mich von Bella. Obwohl … ich trennte mich nicht, ich rannte davon. Wieder einmal. Doch dieses Mal wusste ich, ich konnte nicht entkommen. Ich wusste, wenn ich überleben wollte, musste ich zurückkehren.

      Findest du das übertrieben? Meine Worte? Meine Gedanken? … Mein Entzücken?«

      Silvana lächelte, und sie schüttelte den Kopf. Liebe ist ein Wunder und wer findet für Wunder schon die passenden Worte. Und sie schwieg nur und hörte weiter zu.

      »Und im Moment, als ich endlich wusste, dass ich zurückwollte, zu Bella zurückmusste, da geschah


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