SeelenFee - Buch Vier. Axel Adamitzki
mich geirrt«, sagte Silvana und holte Elektra mit ihren Worten zurück in die Wirklichkeit der Hotelsuite. Sichtlich enttäuscht – nichts hielt sie an äußerlichen Regungen zurück –, dennoch mit fester Stimme, fuhr sie fort: »Vielleicht halten Sie mich für töricht, am Ende bin ich es wohl auch …« Silvana lachte … über sich. »Dennoch möchte ich Ihnen noch etwas sagen: Ich hatte geglaubt, dass es da etwas gibt. Zwischen uns. Dass ich Ihnen irgendwie eine Hilfe sein könnte. Von Frau zu Frau. Ich weiß, das klingt lächerlich, ich klinge lächerlich, dennoch wollte ich, dass Sie das wissen. Aber jetzt bin ich mir sicher: Ich habe mich geirrt. Entschuldigen Sie, dass ich Sie belästigt habe.«
Silvana drehte sich um und ging zur Tür.
Elektra war sprachlos und beeindruckt. Auch wenn die Worte dieser Frau vor ihr tatsächlich einfältig, vielleicht sogar unterwürfig klangen, so war ihre Erscheinung das keineswegs. Und noch etwas spürte Elektra sehr deutlich: Diese Frau war durch und durch ehrlich.
Wirkte wahre Ehrlichkeit nicht oft genug arglos?
Dass ich Ihnen eine Hilfe sein könnte. Von Frau zu Frau … Glaubte diese junge Frau das wirklich?, fragte sich Elektra nun sehr ernst geworden. Nein, sie glaubte es nicht nur, sie schien es zu wissen.
Von Frau zu Frau hatte sich auch in ihr, in Elektra, in einem sehr ähnlichen Traum, wie er über Silvana in der letzten Nacht gekommen war, in der Seele festgesetzt – doch auch sie konnte sich nicht an diesen Traum erinnern. Aber da erwachte etwas in ihr.
Und plötzlich, als das boshafte Ego für einen Moment kleiner wurde und sich verunsichert neben Elektra stellte, als die andere Elektra, die verlassene, die verletzte, die weinende, die verzweifelte, mehr und mehr in Erscheinung trat, als ihre Seele sichtbar wurde, geschah es: Sie begriff, was sie verlieren würde, wenn diese Frau ihre Suite hier verlassen würde. Etwas würde zerbrechen, etwas würde sie unwiederbringlich verlassen, ihrer Seele auf ewig entrissen sein – sie, Elektra, sie selbst würde sich verlieren. Und der andere Teil ihres Selbst, ihr Schatten, ihre niederträchtige Wesensart, die jetzt ahnungslos tat, schien nur darauf zu warten.
Doch das durfte nicht sein, nein, denn ohne zu wissen warum, schien es ihr, als würde sie damit auch Bella, ihre Bella verlieren.
Und flüsternd erhob sich eine Stimme in ihr:
Sie ist gekommen, um mit dir zu sprechen, um dir zuzuhören. Und was tust du?
Wobei zuhören?, wehrte sich Elektra gegen diese Stimme.
Bei allem.
Bei allem? Aber ich kann sie doch nicht … Ich kenne sie doch gar nicht.
Doch, das tust du.
Sekundenschnell öffneten sich in Elektra Bilder aus der Tiefe ihrer Erinnerungen. Das erste Treffen: Silvia hatte sie sie unverschämterweise genannt, obwohl ihr der richtige Name bekannt war; und dann in der Hotellobby: Dort hatte sie sie mit überheblicher Verachtung gestraft, obwohl sie an Silvanas Stelle das Gleiche getan hätte: Raymond informieren, über das Erscheinen einer ehemaligen Liebe, die versuchte, alles durcheinanderzubringen; und schließlich das Durcheinander in Silvanas Wohnung: Sie hatte es veranlasst, aus Hass und vielleicht sogar aus Angst; und vor Augenblicken noch diese verabscheuungswürdigen Worte. All diese Bilder vernahm sie blitzartig. Doch sie wehrte sich:
Nein, das war nicht ich, das war …
Nicht du? Wer dann? Wer war es? Sag!
Ich weiß es nicht.
Doch, du weißt es. Sag es. Sag es nicht mir, sag es dir. Ganz laut.
Nein!
Ganz leise?
Nein!
Du hast Angst.
Ja, ich habe Angst.
Dann lass dir helfen.
Von wem? Etwa von ihr?
Ja, von ihr.
Aber ich kann doch nicht … Und wobei und wie überhaupt?
Erzähl ihr alles. Alles! Lass deine Seele wieder atmen.
Nein. Sie wird nicht zuhören. Kein Mensch will all das hören. Warum sie?
Sie ist hier, von Frau zu Frau, nein, mehr noch, von Seele zu Seele. Spürst du es denn nicht?
Das kann nicht sein.
Überleg nicht mehr lang. Es sind nur noch drei Schritte bis zur Tür. Dann ist sie weg.
Aber alles, ihr alles erzählen, wie soll das gehen?
Fang einfach an. Deine Seele wartet. Schon lange. Öffne dich, öffne alle Schleusen, tue es auch für Bella.
Alle Schleusen?
Ja, alle. Und nun mach schon. Was hast du zu verlieren? Nichts. Und glaube mir, tust du es nicht, wirst du tot sein. Für immer. Auch wenn du noch jahrelang atmen wirst, wirst du tot sein, denn der Zugang zu deiner Seele wird sich für immer schließen. Nichts und niemand kann dann noch hinein oder heraus. Tue es jetzt, sage ihr alles. Sprich alles endlich einmal aus … laut. Sage dir alles! Dir! Mach den Weg zu deiner Seele endlich wieder frei. Nicht nur Bella wird dich dafür lieben, du selbst wirst es auch.
Dieser Kampf in ihr tobte kaum mehr als zwei Sekunden.
Es war einer jener seltenen Momente im Leben, der einem vom Schicksal geschenkt wird, in dem das Dasein eine neue Wendung bekommen könnte. Es fühlt sich an wie ein kleiner runder Durchlass, der sich öffnet … für Sekunden. Und man muss springen, ins Unbekannte, ins Leere, mit allen Konsequenzen. Tut man es nicht, bereut man es ein Leben lang.
Und was tat Elektra?
Sie sprang, oh ja, sie sprang.
»Bitte, warten Sie, Silvana«, sagte sie mit drängend verzweifelter Stimme, jetzt zwei Schritte hinter der Frau, von der sie nun glaubte zu wissen, dass sie so etwas wie ihr Schicksal sein könnte, mehr noch, offensichtlich ihr Schicksal war. »Bitte, warten Sie, Silvana. Es … es tut mir leid«, sagte sie, sehr kleinlaut geworden. In ihrer Stimme lag, neben dem Schauder vor dem Unbekannten, angsterfüllte Verzweiflung.
*
Bei all den Beschimpfungen, die diese Elektra über sie gegossen hatte, dachte Silvana immer nur an Rosa, an den Traum am Deich, an den roten Fleck auf dem weißen Sommerkleid, an das, was Rosa dieser Frau angetan hatte … weil sie ihrem Vater helfen musste.
Sie hatte hier und heute auf eine Geste gehofft. Ihre Worte waren ehrlich gewesen. Silvana hatte sich beinahe vor sich selbst gedemütigt. Doch ohne Erfolg, wie es schien – leider.
Dennoch fühlte sie sich gut. Sie hatte es versucht, sie war einer inneren Stimme gefolgt, die wohl auf ein Wunder gehofft hatte – vergebens. Von Frau zu Frau … offensichtlich hatte sie da etwas missverstanden.
Doch in dem Moment, als sie die Tür zum Gang öffnen wollte, als es schien, als gäbe es tatsächlich nichts zwischen ihnen, hörte sie: »Bitte, warten Sie, Silvana. Es … es tut mir leid«, und sie stockte.
Stumm stand Elektra Gräfin von Memmingstetten nun vor Silvana. Sie hatte sich verändert. Sekundenschnell.
Ihre schwarzen Augen, eben noch hasserfüllt und grün schimmernd, sahen sie, nein, bettelten Silvana verzweifelt und ängstlich an. Die Hände zuckten, schienen nach ihr greifen, sie berühren zu wollen, schrien plötzlich wie alles an dieser Frau nach ihrer, nach Silvanas Hilfe.
Die Wut und Feindseligkeiten waren verebbt, waren einer tiefen Angst gewichen. All das vernahm Silvana in den flehenden Gesten, die es da plötzlich gab.
War