SeelenFee - Buch Vier. Axel Adamitzki
dort sterbenslangweilig. Ich wollte gerade gehen, zu Bella, ich wusste, ihre Schicht würde gleich enden, ich wollte ihr endlich … da lief mir Rafi über den Weg. Rafi, der Mann meines Lebens.
Eigentlich wollte ich nichts von ihm. Aber da war etwas … er war so ganz anders. Dennoch …
Noch in derselben Nacht hatte ich wieder mit Bella das Bett geteilt. Und obwohl ich Rafi bald schon heiratete, mit ihm und bei ihm lebte, gab es immer wieder auch Bella. Rafi wusste es.
Es war für uns drei eine schöne Zeit, aber wie gesagt, davon vielleicht irgendwann einmal mehr.«
Mit dem Tod ihres Mannes hatte sich dann alles geändert. Bella war mehr und mehr zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden. Auch hatte Elektra aus Kolumbien weggewollt. »Ich wollte endlich ›richtig‹ mit Bella zusammen sein. Das wäre auf Perdida nie gegangen.«
Aber dann war es geschehen. »Letztes Jahr. Es war der zweite Oktober. Ein Samstag. Ich werde es nie vergessen. Es war … es war schrecklich.«
43 – Elektra hielt es nicht …
… mehr aus. Sie sprang auf. »Bitte, Silvana, lass uns noch ein paar Schritte gehen. Ich kann hier nicht mehr sitzen.«
Silvana nickte und war ebenfalls gleich auf den Beinen. Sekunden später waren sie zurück auf der Straße. Dunkel und leer war es in der Stadt geworden.
»Wollen wir zum Hafen? Vielleicht noch eine Kleinigkeit essen?«
Wieder nickte Silvana nur.
»Oder möchtest du nicht doch lieber gehen?«
Nein, bestimmt nicht, dachte Silvana. Sie fühlte in der Zwischenzeit eine merkwürdige Verantwortung für diese Frau, die vielleicht das erste Mal in ihrem Leben so offen über sich sprach. Und als Antwort hakte sie sich bei Elektra ein. Merkwürdig, wie leicht mir all das fällt.
Und schweigend gingen sie los.
Lange hallte nur das Klackern ihrer Absätze von den Wänden der Häuser wider. Ein junges Pärchen huschte an ihnen vorbei und verschwand küssend und beglückt in einer dunklen Seitengasse. Irgendwo bellte ein Hund und weit vor ihnen fuhr ein Auto hupend los.
Bald schon saßen sie dann in einem Bistro am Hafen und aßen Fingerfoods. Und Elektra erzählte schließlich weiter. Vom zweiten Oktober.
»Bella war einen Tag in L. A. gewesen. Irgendwas erledigen, hatte sie gesagt. ›Nichts Wichtiges‹, wie sie schwor, was nicht wirklich richtig, aber auch nicht falsch war.
Als sie wieder zurück war, ich hatte sie vom Flughafen abgeholt, da war sie völlig verändert. Sie schien innerlich tot zu sein. Und wie sich dann sogleich herausstellte, schien es nicht nur so. Ich hatte furchtbare Angst um sie.«
Nachdenklich blickte Elektra auf ein Sardellen-Oliven-Häppchen, und leise fuhr sie fort: »Sie war bei einem Frauenarzt gewesen, wollte sich erkundigen, wie das mit einer künstlichen Befruchtung so vor sich geht. Aber bei einer Routine-Untersuchung, die gleich mitgemacht wurde, ergab sich dann, dass ihre Frage für sie keine Antwort nötig hatte.« Wieder stockte Elektra, atmete tief durch und fuhr dann leise fort: »›Ich werde keine Kinder bekommen können. Ich bin fünfundzwanzig und kann keine Kinder bekommen‹, hatte sie mir heulend ins Ohr geflüstert und war schon am Flughafen direkt in meine Arme gefallen.
Ich hatte versucht, sie zu beruhigen. Doch das war nicht möglich. Und am Ende des Tages kam es dann zu einem entsetzlichen Streit, der, und das glaube ich heute noch, leider wohl noch immer nicht gänzlich beigelegt ist.« Elektra schloss die Augen und ergänzte leise: »Um ihr meine Liebe zu beweisen, wollte sie … sollte ich ein, nein, … sollte ich unser Kind bekommen. Unser Kind! Das … das war mir zu absonderlich. Verstehst du das, Silvana?«
Silvana nickte. Also so war das: Bella wollte das Kind! Und sie sagte: »Und deshalb diese verrückte Sache mit Raymond? Entschuldige bitte meine Direktheit.«
»Er hat es dir erzählt?«
»Ja.«
Verlegen sah Elektra Silvana an, und sie lenkte kurz ab. »Dann seid ihr wohl tatsächlich sehr eng miteinander, oder?«
Eng miteinander! Was für eine eigentümliche Beschreibung für eine Liebesbeziehung, dachte Silvana. Und sie sagte nur: »Ja, das sind wir.«
Aber wie dieses »Engsein« genau aussah, davon wollte sie heute nichts erzählen. Elektra und ihre Bella standen hier im Mittelpunkt … nichts anderes.
»Ja, und deshalb diese verrückte Sache mit Raymond«, wiederholte Elektra nachdenklich leise Silvanas Frage als Antwort.
»Und deshalb ist Bella jetzt weg?«, fragte Silvana kaum vernehmbar.
»Nein, nein. Eigentlich haben wir uns längst versöhnt, hatte ich geglaubt. Jetzt ist sie in New York, weil sie ihre Zelte dort endgültig abbrechen wollte und dann … Spätestens übermorgen wollte sie zurück sein. Nun fliegt sie aber morgen nach Miami. Eine erste kleine Rolle. Sie ist Schauspielerin.
Sie sagt, dass sie zurückkommt, aber ich … Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll.«
Elektra erzählte ihr nun noch, dass Bella schon beinahe zwei Wochen weg war. »Und erst in zwei Wochen wird sie wieder bei mir sein. Das ist entsetzlich. Ich bin so … so unsagbar hilflos. Und ich habe Angst. Vielleicht kommt sie ja nie zurück.
Verstehst du mich jetzt?«
Silvana nickte wieder nur.
Und kaum hörbar, wobei sie verstohlen auf ihren Teller blickte, sagte Elektra: »Ich weiß nicht warum, aber ich musste dir das alles erzählen. Obwohl … Noch nie hab ich so mit einem Menschen gesprochen. Über mich. Über meine tiefsten Ängste. Auch kann ich mir nicht vorstellen, je mit einem anderen Menschen all das …« Sie hob den Kopf und sah Silvana nun flehend an: »Und bitte, lach nicht. Ich weiß, das, was ich dir jetzt noch sagen möchte, klingt vielleicht entsetzlich eigenartig, aber das ist es nicht … zumindest nicht für mich.
Du, und nur du, bist mir, meiner Seele unsagbar nah.« Sie zuckte unsicher und verschämt die Achseln. »Das klingt doch wirklich verrückt, oder?
Ich liebe Bella. Nur sie. Und du … du bist mir dennoch bald näher, als ich es mir selbst bin. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken sollte. Verrückt, oder?«
Noch einmal stockte sie, doch ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Und jetzt sag, bitte, und ehrlich, wie ist das gerade für dich? Wie … wie fühlst du dich? Vielleicht … benutzt?«
Benutzt? Um Gottes willen. »Nein, bestimmt nicht. Auch möchte ich, dass du weißt: Nie werde ich mit irgendjemandem über all das hier sprechen. Nie!«
Ihr würde sowieso kein Mensch glauben. Eine solche Seelenbeichte – diese offenen Worte kamen wohl einer solchen Beichte sehr nahe –, wie sie sie eben erlebt und gehört hatte, war selbst zwischen sehr vertrauten Menschen kaum möglich. Selbst mit Mel hatte sie nie so offen gesprochen, zumindest konnte sie sich spontan nicht daran erinnern. Und Mel war ihre beste Freundin gewesen.
Doch wie kam es hier dazu? Lag es an ihr? Gab es etwas an ihr, in ihr, das diese Offenheit anderer Menschen heraufbeschwor?
All die Menschen auf dem Gutshof, die sie Heiligsprechen lassen wollten, würden Ja sagen. Und merkwürdig war, dass Silvana heute selbst nicht mehr bereit war, grundsätzlich Nein dazu zu sagen. Warum und was es aber genau war, das sie an sich hatte, das wusste sie leider noch immer nicht. Doch war das wohl jetzt auch nicht wichtig.
»Ich danke dir, Silvana«, unterbrach Elektra Silvanas Gedanken. Voller Angst hielt sie ihren Blick auf Silvana gerichtet. »Und … was sagst du?«
Was ich sage? Diese Frage traf Silvana ziemlich unvermittelt. Ich weiß nicht! Was soll ich sagen? Was will sie hören?
Einen langen Moment überlegte Silvana, trank einen Schluck Pinot Grigio und spürte, dass Elektra wohl auf mehr als nur ein paar tröstende Worte von