Die Stunden der Nacht. Daimon Legion

Die Stunden der Nacht - Daimon Legion


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dagegen – solange es nicht zum Streit kam.

       Erst letzte Woche gab es einen Vorfall, drei Ecken weiter die Straße hinunter. Eine Messerstecherei zwischen verfeindeten Gruppen, ein Toter, drei Schwerverletzte. Auch wenn das Viertel allgemein Amüsement anbot, sollte doch niemand die Gefahr unterschätzen, die unter den Menschen brodelte. Wer bei einem solchen Konflikt in die Schussbahn geriet, hatte oft schlechte Karten. Die Bewohner dieser Stadt sind nichts für schwache oder sanfte Nerven, wusste sie nur zu gut.

      Als Issy den Burschen eine Runde Korn vorbeibrachte, meinte einer glatt, mit ihr tanzen zu wollen. Sie wand sich freundlich aus der unangenehmen Situation, machte einen Scherz, der Anklang fand und begab sich zurück auf die sichere Seite der Bar.

      Mit dem Sound der Foofighters ließ die überhitzte Studentenverbindung komplett ihr Spiel sein und genoss bloß noch das reiche Angebot an Getränken.

      Die Wirtin mit dem braunen Lockenkopf schmunzelte und schaute auf ihrer Playlist nach, ob sie nicht noch etwas Siebzigerjahre-Rock in die ohnehin gelöste Stimmung der Gäste mischen konnte.

      Gegen vier Uhr in der Frühe, da Iron Butterflys Groove entspannt die letzten Nachtgestalten nach Hause trieb, wischte Issy noch die Flecken vom schwarzen Holz der Anrichte, leerte die benutzten Aschenbecher und wollte durchfegen, um schlussendlich ihre eigene Wohnung über der Kneipe auszusuchen, damit sie im Bett verschwinden konnte – jedoch lag dort unter dem Tisch ein junger Mann, schon im delirierten Halbschlaf.

      Schnaufend brachte sie dem Betrunkenen auf die schlaffen Beine und schüttelte ihn so weit wach, dass der Bursche wieder zur Besinnung kam, um peinlich berührt seine eigene Hilflosigkeit mitzubekommen. Mit roten Ohren und unsicherem Gang schwankte er zur Kommode und griff mehrmals ins Leere, statt nach seinem gefütterten Anorak.

      Höflich, wie Issy nun mal erzogen worden war, half sie ihm in die Klamotte.

       „Isch danke dir, mei’ Herzbladd“, nuschelte der grüne Student mit schwerer Zunge und zog sie überschwänglich in eine Umarmung. Bevor er ihr noch auf den Schultern im Stehen einschlief, löste sich die Wirtin von ihm, zog die Tür auf und die frostige Luft eines Januarmorgens blies dem Mann Schneeflocken ins milchbärtige Gesicht.

       „Kann ich nich’ bei dir bleiben, Süße?“, liebäugelte er trunken mit ihr, aber Issy war keine, die sich von einem niedlichen Dackelblick um den Finger wickeln ließ.

      „Komm doch einfach morgen wieder!“, grinste sie lässig und schob ihn etwas zur Tür hinaus.

       „Okay“, feixte er schief (das stand ihm nicht mal schlecht, musste sie zugeben), „das is ’n Versprechen, Knuddelmaus …“, und stolperte die zwei Stufen hinunter auf den Bürgersteig. Seine Turnschuhe traten in eine nasskalte Schneewehe. Torkelnd, als bewegte er sich auf Wackelpudding, drehte der Junge eine Achse um sich selbst, um Issy nochmals laut zu grüßen: „Dann bis morgen! Ich heiß Mark! Wie heißt’n du eigentlich?“

      „Isabel“, antwortete sie und zog mit einem Winken die Tür zu. „Bye, Mark!“

      Das Schloss rastete ein.

      Allein mit sich und der Musik, lächelte Issy vor sich hin, während sie Klarschiff machte.

       Wäre der Typ nicht so sturzbesoffen gewesen, hätte sie vielleicht länger überlegt. Attraktiv ist er ja, dachte sie, die paar Jahre jünger stören mich wenig. Zumindest ist er über achtzehn … Und wenn er studiert, hat er ja vielleicht doch mehr als Saufen und Darts im Kopf. Was wohl sein Fach ist?

      Interesse flammte in ihr auf. Sollte sie ihn morgen danach fragen, solange er nüchtern war?

      Ein wenig tat es ihr leid, Mark in seinem bleiernen Zustand vor die Tür gejagt zu haben.

      Hätte sie ein Taxi rufen sollen?

       Na ja, zuckte sie die schlanken Schultern, geht schon alles gut. Um die Uhrzeit wird ihm sicher kein Mensch mehr auflauern.

       Und ist ja nicht so, dass ein großer Junge wie Mark nicht auf sich aufpassen könnte …

      Gerade als Issy so an ihn dachte, wurde Mark bewusst, dass alles vorbei war.

      Die Vorlesung über plastische Chirurgie würde er verpassen.

      Und auch das Examen würde er nicht schaffen.

      Er würde niemals Arzt werden.

      Oder gar Issy morgen Abend wiedersehen, um ihr zu sagen, dass er sie wunderschön fand.

      Dies war das Ende.

      Sein Ende.

      Der Tod kreuzte ihm den Heimweg.

      Mit Reißzähnen und Krallen.

      2

       Dani und Jules

      „Hey, kleines Kätzchen! Heute schon miaut?“

      Bei dieser plump-dreisten Anmache konnte Dani nur seufzend die Augen verdrehen.

      Durfte sie nicht einmal den Weg durch die Stadt nehmen, ohne von hormongesteuerten Idioten belagert zu werden? Wie kamen die überhaupt auf den Gedanken – wenn diese Sorte Kerl denn dachte – dass sie auf ein solch billiges Angebot anspringen würde? Sagte ihre ganze Ausstrahlung nicht schon: „Mach mich dumm an und du wirst es bereuen“?

      Offenbar nicht.

      Ein leichtes Knurren entwich ihrer mit Spinnen tätowierten Kehle und das silberne Piercing in der rechten Braue zuckte, weil sich ihre Stirn in Falten legte. Mit einer leichten Handbewegung strich sie sich eine violett gefärbte Haarsträhne aus der Sicht und wandte ihr hübsches Gesicht diesem verhassten Macho zu, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr blauäugiger Blick aus den mit Mascara und Lidschatten dunkel geschminkten Augen sprach Bände.

      Doch der Mann verstand immer noch nicht, dass der Ofen für ihn aus war.

      „Na, haste mal Bock auf was Großes?“, fühlte der sich wohl in seinen lächerlichen Avancen bestätigt und grinste dämlich, die weißen Zähne zeigend. Er war viel größer als ihre eins siebzig und schien im Fitnessstudio heimisch zu sein. Dunkle Haare, braune Haut, bartloses Gesicht und gekleidet wie ein Yuppie – mit Polohemd, Wollmantel und Markenhose. Ein überheblicher Typ, der meinte, bei jeder Frau punkten zu können, wenn er mit einem Hunderter wedelte.

      Fehlanzeige bei ihr, allein für seinen Stil.

      Gegen seine geschniegelte Gestalt wirkte Dani für unwissende Normalbürger heruntergekommen. Ihre arg verbeulte schwarze Lederjacke mit Nieten und abgetragenem Skelettaufdruck schrie nach gesellschaftlicher Rebellion und ihre rot karierte Jeans hing Riss an Riss, dass ihre Blässe durch die losen Fasern blickte. Für ihren schlanken Körper trug sie zu wuchtige Stiefel mit geschraubten Sohlen.

      Jene waren ihr stets von Nutzen gegen Feindschaften der penetranten Art. In dieser Stadt musste sie schließlich immer auf der Hut sein. Zu blöd, dass sie gut aussah … andernfalls hätte sie mehr Ruhe.

      Die junge Frau ballte die Fäuste.

      Sie war bereit. Ihr Gegenüber nicht.

      Der Idiot kam sogar bereitwillig in ihre Reichweite, als er die Hand auf ihre linke Schulter legte und frech behauptete: „Komm schon, Puppe, du willst - !“

       Hallo, mein Freifahrtschein zur Notwehr!

      Dani packte den kräftigen Arm, verdrehte ihn, dass der Mann ihr noch näher kommen musste, und traf mit drei schnellen Schlägen seine rechte Niere. Keuchend kippte er nach vorn und sie riss ihr Knie hoch, um es gegen seinen Kiefer prallen zu lassen.

       Tja, für ihn hieß das ein Gang zum Zahnarzt.

      Und offiziell würde sie die Rechnung tragen. Aber wo sie schon mal dabei war …

      Halbe Sachen lagen ihr nicht. Zum Abschluss trat sie ihm derb in die Weichteile. Ein eindeutiger Denkzettel, der ihn davon abhalten würde, je wieder eine Frau


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