Die Stunden der Nacht. Daimon Legion

Die Stunden der Nacht - Daimon Legion


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Fragen beantworten, die andere als unlösbaren, unerklärlichen, unbegreiflichen Humbug abspeisten. An Langeweile würde er ebenso sterben wie an einem leeren Magen. Dazu wollte er es jedoch nicht kommen lassen – und Dani auch nicht. Es war schwer, aber nötig, dass sie ständig über ihm schwebte.

      Es erschien irgendwo paradox, dass er, ein Genie mit einem IQ von über hundertachtzig, nicht in der Lage war, einen normalen Tagesablauf zu führen. Magister in allen Dingen, nur nicht im Kochen, Waschen, Pflegen.

       In seinem Kopf war Platz für Medizin, Theologie und sonstige Wissenschaften, die ihn jedoch nur am Rande etwas bedeuteten – und dann gab es ja noch diese verbohrten Fakultätsaffen, die ihm widerwillig zwar Auszeichnungen und Urkunden aushändigen mussten, ihn doch hinterrücks als wahnwitzigen Narren für seinen Lebensinhalt abstempelten – ah! – Jules verstand sich manchmal selber nicht. In seinem Geist herrschte eben kein Stillstand und nun kam er von den eigenen Gedanken ab.

       Wo war ich gerade gewesen?

      Dass Dani das ganze Theater mit ihm so gut mitmachte, war für Jules ein achtes Weltwunder. Jede andere berufstätige Frau, die nach der Arbeit noch den Haushalt für ihren nutzlosen Kerl schmeißen musste, hätte ihm schon längst den Laufpass gegeben. Ein Riesentrottel, das war er …

      „Tut mir wirklich leid“, meinte er es ehrlich, als er mit hängendem Kopf auf den Esstisch zuschlappte, wogegen Dani schon die Mikrowelle auf der Küchenzeile bediente. Eine schlichte Handhabung, eine kleine Bewegung nur – er würde bestimmt das Gerät in die Luft jagen! Mit technischen Geräten stand er auf Kriegsfuß.

      „Schwamm drüber“, zuckte sie die Achseln.

      „Nee!“, wischte er ihren Einwand energisch fort. „Ich hatte echt vor, mir was zu machen! Ich hätte hier auch mal was tun können! Wenn ich ein Handwerker wäre, hätte ich was Sinnvolleres mit meiner Zeit angefangen, das Dach geteert, Fenster repariert oder was … aber ich pack nichts an!“

      „Außerdem hast du zwei linke Hände. Lass das lieber, bevor du dir wehtust.“

      Er biss auf den Zigarettenfilter.

      Wieder hatte sie recht. Das letzte Mal, als er den guten Hausmann spielen wollte, hätte er sich fast den Daumen abgesägt! Und davor war er von der Leiter gefallen und hatte sich das Kreuz verrenkt! Noch weiter gedacht – aber besser nicht, er war schon ganz unten.

      Missmutig nahm er zwei Teller aus dem Küchenschrank und Besteck aus der Schublade, um beides auf den Tisch zu platzieren. Immerhin ging dabei nichts zu Bruch. Wenn er es nicht vergaß – und er wettete fast, dass das abermals der Fall sein würde – wollte er morgen zumindest den Abwasch machen.

      Die Mikrowelle gab einen Ton von sich und Dani kam mit der dampfenden Lasagne zu ihm an den Esstisch, wo sie ihr Werk auf die Teller aufteilte. Wenn sie sich derart häuslich gab, vergaß er beinahe, was für eine charmante Art in ihrem Sturkopf vorherrschte.

      „Wie war die Arbeit?“, fragte Jules entspannt, um etwas von ihrer Fürsorge zurückzugeben. Er wollte sich auch nicht mehr über seine eigene Unfähigkeit aufregen und Stille konnte er ohnehin schwer ertragen.

       „Ganz okay“, gab sie eine blasse Auskunft und schaute ihn dabei an. Irgendwas liegt dem Mädchen auf der Seele – das sagte ihm nicht seine Menschenkenntnis, sondern das Psychologiestudium, welches er mal so nebenbei abgeschlossen hatte.

      Dani erzählte von einem Kunden, der ein Cover-up über ein missglücktes Tattoo haben wollte, dann von einer Zwölfjährigen, die unbedingt ein Zungenpiercing forderte – was Robert als fürsorglicher Vater und ehrbarer Ladenführer natürlich abgelehnt hatte – und berichtete davon, dass ihre Kollegin Nancy wieder auf Solopfaden unterwegs war. Ihr Musiker-Freund schien ein kompletter Vollidiot gewesen zu sein. Hatte ja nur zwei Monate gedauert, um zu dieser (ihn nicht überraschenden) Erkenntnis zu kommen. Die Frau sollte ihre Ansprüche überdenken …

      Jules stocherte mit der Gabel im Essen herum. Es schmeckte, keine Frage, aber sein Appetit war schwerlich zu finden. Lieber wollte er an den Tafeln sitzen.

      „Und sonst?“, keuchte er nach einem viel zu großen Bissen, der ihm schmerzhaft den Hals runterrutschte.

      „Sonst“, überlegte sie gespielt und nuschelte dann etwas Unverständliches.

      „Wie war das?“, musste er nachfragen.

      Sie stöhnte genervt auf und gestand: „Ich hab so einem Arsch die Fresse poliert.“

      Mit großen Augen blickte Jules sie an. „Schon wieder? Dani, das neue Jahr ist noch keine Woche alt!“

      „Was kann ich dafür, wenn solche Typen ständig mich anquatschen?! Hab ich ein Schild um den Hals hängen, das mich als Nutte kennzeichnet? Nein! Also gibt’s eine drauf!“

      „Na ja … Du bist ziemlich süß“, gestand er ihr offen.

      „Das darfst du zu mir sagen, doch nicht jeder Dritte von der Straße!“

      „Ich fühle mich geehrt.“

      Schmollend aß Dani einen Happen und sagte kauend: „Na, jetzt ist es sowieso zu spät. Ich werde mir dann erst mal wieder die Haare färben und geh irgendwann zum Friseur für einen Kurzhaarschnitt. Ich denke kaum, dass wegen dem Penner hier die Bullen auf der Matte stehen werden.“

      „Dein Wort im Ohr eines jeden Gottes.“

      „Die Polizei hat dringendere Probleme als mich“, nahm sie das Geschehene leicht auf.

      Jules zwang sich zu einem weiteren Stück Lasagne, ehe er fragte: „Zum Beispiel? Sind etwa noch mehr Leute verschwunden? Gut, im Winter geht so einiges um, aber dieses Jahr sind es auffällig viele …“

      „Ich sage nichts, bevor du nicht aufgegessen hast“, tadelte Dani ihn wie eine Mutter.

      „Bin satt, Schatz.“

      „Jules.“

      Wie sie seinen Namen aussprach … Tief durchatmend machte er sich daran, seinen Teller zu leeren.

      „Ich bin an der Uni vorbeigelaufen“, fing Dani an zu erzählen, da er das letzte Stück Tofu-Hackfleisch in den Mund steckte. „Hab dort den alten Reinert am Rande gesehen.“

      Bissig zischte Jules ein fremdländisches Schimpfwort beim bloßen Gedanken an den verhassten Dozenten, mit dem er sich bereits angelegt hatte, als er noch Student war. Selbstverständlich leuchtete ihm ein, dass dies nicht die Neuigkeit war, auf die seine Freundin es anlegen wollte. Trotzdem musste er sich konzentrieren, den Mistkerl aus seiner Gedankenwelt wegzuschieben und das eigentliche Thema zu erfassen.

      „Jedenfalls“, fuhr sie fort, „hab ich dabei gehört, dass ein Student vermisst wird …“

      „Bei den Betonköpfen im Lehrstuhl keine Überraschung“, konnte er sich den Spott nicht verkneifen.

      „… das war vor zwei Tagen. Er war mit Freunden Darts spielen und das ging bis tief in die Nacht hinein. In seiner WG ist er nie angekommen und es gibt keinerlei Hinweise, was mit ihm geschehen sein könnte.

      Auf Arbeit habe ich außerdem im Radio gehört, wie die Polizei eine Leiche gefunden hat. Oder zumindest das, was von ihr übrig war. Vielleicht ist es der Student, vielleicht auch jemand von den anderen, die verschwunden sind – wird sich zeigen, doch es hieß, die Knochenteile sahen aus, als hätte ein Hund oder Wolf daran genagt. Ein ziemlich großer noch dazu, größer als die bekannten Rassen.

      Was würdest du also vermuten?“

      Jules fingerte nach einer neuen Zigarette und sog den Rauch in seine Lunge. Seine ersten Gedanken zum Thema äußerte er sachlich: „Die allgemeinen Gottheiten in Wolfsgestalt schließe ich komplett aus. Die hätten wenig Interesse an einem simplen Menschenleben und erst recht keines am Fleisch ihrer Opfer. Solange sie keinen festen Leib besitzen, verzehren Geisterwesen auch nur geistige Nahrung.

      Wenn Ragnarök nicht gerade bevorsteht, fallen Garm und Fenrir auch aus und für Anubis, einen Inugami, Barguest, Crocotas, Diwo, Wendigo und die


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