Die Stunden der Nacht. Daimon Legion
kam mit dem Wind.
„Kaarn … Du hast diese Nacht noch Glück“, raunte er ihr Menschenlaute kalt ins Ohr und seine kratzige Stimme sollte sie noch Nächte lang verfolgen. „Pass gut auf dich auf. Ich werde in der Dunkelheit auf dich warten, um dich zu verschlingen.“ Dann ließ er von ihr ab. Als sich das Mädchen aufrichtete, war der Wolfsdämon in der Finsternis verschwunden. Und Dani konnte die Scherben ihres zerstörten Lebens einsammeln.
Der Sandsack musste so einiges einstecken. Die erwachsene Dani schlug und trat in ihrer Wut gegen das gefüllte Leder, dass die haltende Gliederkette schwer ächzte. Beinahe wollte man befürchten, die Halterung könnte brechen.
„Und was jetzt?“, wollte Jules von ihr wissen, während sie weiterdrosch. „Willst du raus in die Nacht und den Einen finden? Du weißt doch nicht mal, ob es dasselbe Rudel ist. Es ist eine lange Zeit vergangen, vielleicht ist der Kerl schon gar nicht mehr mit dabei …
Abgesehen davon ist es gefährlich. Wenn sie nur halbwegs wie Wölfe handeln, jagen sie sicher auch in der Gemeinschaft. Das heißt, du hättest nicht bloß diesen einen Gegner. Die zerfetzen dich, Dani, und du bist tot. Du kannst noch so trainiert sein, du bist nicht Buffy!“
Bei dem Vergleich stoppte die junge Frau für einen Moment und lachte leicht außer Atem. „Buffy? Mich kümmern doch keine Vampire! Außerdem wäre die Vorstellung, dass du die Rolle von Giles innehättest, absurd!“
Ihm fröstelte es bei dem Gedanken. Er war Mitte dreißig, keine fünfzig … Okay, im Gegensatz zu ihr, war er vielleicht so was wie alt, aber nicht so alt!
„Wenn es Vampire wären, wäre ich nur halb so besorgt!“, gab er schließlich zu. „Ich mach hier keine Scherze. Wenn du derart unvernünftig bist und dem Tod ins Maul rennst, bereue ich es zutiefst, die Lichtfänger überhaupt erwähnt zu haben!“
„Du kennst sie doch!“, argumentierte sie und trat kräftig gegen den Sack. „Du kennst ihre Schwachpunkte!“
„Einen Schwachpunkt: Sonnenlicht! Das ist aber keine Garantie für einen erfolgreichen Kampf gegen ein ganzes Rudel! Du hast eine kleine UV-Lampe, nichts weiter. Und ob die hilft, kann ich nicht beweisen.
Wir gehen davon aus, dass sie durch die Strahlung eben wie die Blutsauger zu Staub zerfallen. Es ist aber nur eine Vermutung, weil ich niemals gehört habe, dass sie jemanden bei Tage angriffen. Die Köter vertreten voll die dunkle Seite der Macht. Trotzdem weiß ich nicht, liegt es am UV oder an etwas völlig anderem?
Ich habe mein ganzes Leben lang schon Monster und Ungeheuer, Dämonen und Götter studiert, dennoch kann ich dich allein theoretisch beraten! Ist ja nicht so, dass ich bereits einem Dämon gegenübergestanden habe, um ihn auszufragen! Mir fehlt es schlicht an Praxiserfahrung!“
„Schon klar!“, rief Dani und boxte eine Salve von Schlägen ab. Allmählich bekam er mit ihren Knöcheln Mitleid. Schnaufend kam sie zum Schluss und atmete durch.
„Den Punkt hab ich dir voraus!“, sprach sie verbittert. „Ich stand ihm gegenüber.“
„Aber der gefährliche Wolfsmann hat dich laufen lassen“, warf Jules ein.
„Gezwungenermaßen, wie mir scheint“, erinnerte sie ihn und wies auf ihren rechten Oberarm. Unter ihren bunten Tätowierungen konnte er die Narbe von damals noch deutlich erkennen. Die Bissspuren einer Bestie, die keiner außer ihr gesehen und für die es nie Zeugen gegeben hatte. „Ihm kam was Wichtigeres dazwischen, als mir den Hals zu zerfetzen!
Jules, ich hatte jahrelang Albträume und Nachtangst wegen dem verdammten Vieh! Wegen dem Flohfänger habe ich meine Zeit mit nutzlosen Therapien vergeuden müssen und durfte mir von sogenannten Experten anhören, wie verrückt, selbstverletzend und armselig ich angeblich sei! Schon deshalb werde ich ihm nie verzeihen, dass er mir mein Leben versaut hat! Jetzt bin ich nämlich stark und werde diesen Dämon jagen, damit der mal selber lernt, was Angst ist!“
Resigniert stöhnte er auf. „Deine Kraft ist beeindruckend, ja, aber er ist kein Mensch. Er ist keiner von den Machos, die du immer verprügelst. Er wird sein Versprechen halten und dich töten. Das lasse ich nicht zu.“
Mit einem Handtuch wischte sie sich den Schweiß von der Haut.
„Ich werde mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Ich hab keinen Bock, noch mal siebzehn Jahre zu warten. Schließlich werde ich nicht jünger.“
„Dani“, nutzte er jetzt ihren üblichen Tonfall der Belehrung, „willst du dir seinetwegen die Nächte um die Ohren schlagen? Was ist dann mit deinem Job? Und mit mir? Willst du mich einfach zurücklassen?“
„Du würdest es verstehen, wenn du Ähnliches erlebt hättest“, sagte sie entschlossen. „Zur Not mach ich halt im Job Kasse. Und du wusstest, wie ich mich entscheiden würde, schon als wir uns begegnet sind. Das ist mein Ziel, Jules. Rache für meine Familie und dafür, dass er mir eine normale Jugend verwehrt hat! Ich habe die Schnauze gestrichen voll von diesem Dämon! Ich will Vergeltung!
Danach kann ich endlich abschließen.“
Ja, weil du dann tot bist, traute er sich nicht, die Worte laut auszusprechen.
5
Nächtlicher Jäger
Dani traf ihre Vorbereitungen.
Ihre frisch cyanblau gefärbten Haare band sie zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen, die silbernen Piercings nahm sie aus Ohren und Augenbraue, um nicht daran hängen zu bleiben, und die Fingernägel wurden verschnitten. Zwar konnte sie damit niemandem mehr die Augen auskratzen, doch ihr Gegner hatte ohnehin schärfere Krallen. Beim Nahkampf waren zu lange Spaten sowieso hinderlich.
Bei der Kleidung setzte sie auf unscheinbare Farben, robusten Stoff und gute Bewegungsfreiheit als auf Stil. Die Wahl fiel daher bescheiden aus, auf schwarze Hosen, Schuhe, Winterjacke, Wollmütze und Handschuhe. Inständig hoffte sie, dass keine Polizei sie anhalten würde, weil sie ausschaute wie für einen Bankraub bereit.
Schweigsam sah Jules ihr beim Anziehen zu.
Ihr Streit stand nicht mehr zur Debatte. Die junge Frau hatte sich einmal entschieden und er wusste, dass er sie nicht aufhalten konnte. Somit ließ er sie gewähren.
Die kleine Taschenlampe mit der UV-Birne steckte Dani wie eine Schusswaffe in ein am Gürtel befestigtes Holster. Wer gegen Ungeheuer ins Feld zog, brauchte keine Messer oder Stahlkugeln. Diese Geschöpfe kämpften mit anderen Bandagen und Jules gab ihr zur Unterstützung ein Säckchen getrockneter Kräuter mit. Dill, Mohn und Johanniskraut sollten laut seinen Büchern nützlich sein gegen die meisten hundeartigen Dämonen. Dill würde ihren Geruchssinn betäuben, der Mohn ihren Blick trüben und Johanniskraut ihre Haut reizen – es klang immerhin sehr nach einer Hilfe. Selbst ein Mensch wäre von der Mischung nicht sehr angetan, wenn er sie in die Nase bekäme.
Mit einer liebevollen Umarmung entließ er sie in die Dunkelheit.
Es war schon nach Mitternacht, da Dani meinte, über leere Fußwege, verwinkelte Gassen und stillgelegte Werkhöfe wie auch Gleisanlagen zu marschieren. Der Wind trieb kleine Eiskristalle frostig vor sich her. Wenn man die Geräusche aus den Häusern ausblendete, konnte man vermuten, die äußeren Viertel der Stadt seien ausgestorben. Ratten und Katzen jagten kreischend durch die Finsternis. Von irgendeinem der kahlen Bäume rief ein Käuzchen daher.
Zuerst lief Dani durch die Straßen ihres Gebiets. Und nichts passierte.
Hier und dort standen ein paar Menschen herum, rauchten vor einem Klub oder warteten auf die Straßenbahn oder einen Zug. Aber sehen konnte sie nichts Verdächtiges. Sie hörte auch keine seltsamen Geräusche oder irgendwoher einen Schrei.
Also ging sie weiter.
In Nachbarviertel war vor zwei Wochen ein Mädchen verschwunden, dreizehn Jahre alt. Am Abend hatte sie sich mit Freunden bei einem Spielplatz getroffen, ganz in der Nähe