Der Politiker. Geri Schnell

Der Politiker - Geri Schnell


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      Die einzigen Ausgaben für die Stadt welche sinken, sind die Unterstützungsgelder für Arbeitslose. Die sind im abklingen und haben sich im letzten Halbjahr um die Hälfte reduziert. So gesehen ist diese Geldflut ein Segen, es gibt wieder Arbeit.

      Der Bürgermeister ist zufrieden. Die Arbeiter sind ruhig gestellt, der Wiederaufbau nach diesem furchtbaren Krieg kommt voran. Der Staat finanziert mit dem neu gedruckten Geld, grosse Projekte. Eisenbahnen, Strassen und Brücken werden wieder aufgebaut. Es gibt genug zu tun und dank der neu eingeführten fünfzig Stunden Woche wurde die Arbeit auf mehrere Arbeiter verteilt.

      Am Morgen des elften Januar beginnt der Telegrafenapparat im Büro des Bürgermeisters zu tickern. Die Sekretärin zieht den Papierstreifen aus dem Gerät und beginnt zu lesen.

      «Französische und belgische Truppen marschieren über die Grenzen», liest sie dem Bürgermeister vor.

      Franz, der eben das Büro des Bürgermeisters betritt, erschrickt. Die Franzosen könnten ihm gefährlich werden. Er kann nur hoffen, dass die sein Lager nicht finden, sonst könnte es ungemütlich werden.

      «Was meinst du Wolf», fragt der Bürgermeister, «sollen wir uns wehren?»

      «Hätten wir eine Chance?»

      «Militärisch sicher nicht, es bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu kuschen.»

      «Aber wir sollten es den Eindringlingen so schwer wie möglich machen.»

      «Ich werde bei der Parteileitung nachfragen, wie wir uns verhalten sollen, noch sind die Soldaten nicht in Worms.»

      «Die Partei rät zu passivem Widerstand!», erklärt der Bürgermeister, nachdem das Telegramm von seinem Parteifreund eingetroffen ist.

      «Schnell gesagt», meint Wolf, «wie macht man das?»

      «Einfach so weiterarbeiten wie du immer arbeitest!», meint der Bürgermeister scherzhaft, «nur nichts überstürzen. Das kannst du doch recht gut?»

      Franz findet den Scherz seines Chefs unangebracht und gibt keine Antwort. Er geht zurück in sein Büro. Was soll’s, noch hofft man darauf, dass die Franzosen nicht bis Worms kommen.

      Die Hoffnung verfliegt drei Tage später, als die ersten Lastwagen mit Soldaten in Worms eintreffen. Sie stoppen direkt vor dem Stadthaus. Ein Offizier meldet sich beim Bürgermeister und verlangt ein Quartier für seine Soldaten.

      «Franz, kümmere dich darum», befiehlt er Franz, indem er seine Bürotür einen Spalt öffnet.

      «Ich komme gleich», meldet Franz pflichtbewusst, lässt sich aber noch Zeit, er will die Geduld der Franzosen auf die Probe stellen. Bereits nach fünf Minuten ist die Geduld des Offiziers zu Ende und er kommt wütend in das Büro von Franz.

      «Alle vite!», schreit er und verschafft sich mit einem Griff an die Pistole Respekt.

      Inzwischen hat Franz nachgedacht, auf der anderen Seite der Stadt gibt es eine grosse Lagerhalle, die kann man vielleicht herrichten. Für ihn ist wichtig, dass das Lager der Franzosen möglichst weit weg von seinem Schuppen liegt. Mit Wilhelm hatte er die vergangenen Tage dazu genutzt, den Schuppen zu tarnen. Gut den Schuppen kann er nicht verstecken, aber zumindest sind die Gartengeräte wieder im Schuppen und versperren die Sicht auf die gelagerten Lebensmittel.

      Er gibt dem Offizier ein Zeichen, ihm zu folgen. Im Vorbeigehen informiert er den Bürgermeister über seinen Plan. Der gibt sein Einverständnis, er ist froh, wenn er sich nicht mit Details herumschlagen muss.

      Franz fährt mit dem Fahrrad voraus. Bewusst nimmt er den schlechten Weg, welcher dem Lastwagen einige Probleme bereitet. Wenn es gerade günstig ist, versteckt er sich kurz, nach einigen Minuten kommt er aus einer Seitenstrasse und spielt den unschuldigen. Die Fahrt zur Lagerhalle dauert beinahe doppelt so lange, wie auf dem kürzesten Weg. Die Franzosen sind sichtlich genervt, machen aber gut Mine zum Spiel.

      Stolz präsentiert Franz dem Offizier die grosse Halle. Mit Handbewegungen zeigt er an, dass reichlich Platz vorhanden ist. Immerhin scheint der Offizier mit der Halle zufrieden. Er hat mit einem kleinen Keller gerechnet. Gut, gemütlich ist es hier nicht, aber das kann man ändern, zumindest ist es trocken.

      Die nächsten Tage besucht er die Franzosen regelmässig und fragt, ob er etwas für sie tun könnte. Meistens kann er ihre Wünsche erfüllen, wenn es auch immer sehr lange dauert, aber das sind die Franzosen von Haus aus gewohnt.

      Schlimmer für Franz ist, dass der Offizier täglich in seinem Büro auftaucht und die Bücher studiert. Er will sich ein genaues Bild über die Finanzen der Stadt machen. Jeder Posten in der Finanzbuchhaltung wird überprüft, ob nicht etwas für die Besatzer abfällt. Der Kohlenkeller im Stadthaus wird zur Hälfte geplündert. Man muss bereits die Heizung zurück drehen.

      Langsam spielt sich die Zusammenarbeit mit dem Feind ein. Franz ist gut angesehen, schliesslich ist er zuständig, wenn der Offizier etwas braucht. Das gibt ihm eine Sonderstellung, dank der kommt er sehr früh an wichtige Informationen. Geschickt gelingt es ihm, die Franzosen von seinem Haus fern zu halten.

      Was das Verkaufen seiner Schätze betrifft, braucht Franz Geduld. Der Winter ist streng und ab März lassen sich sowohl Lebensmittel, als auch Kohle mit viel Gewinn verkaufen. Wieder hat Franz das Problem, dass er viel Bargeld besitzt. Neue Ware zu kaufen ist ungünstig. Er steigt notgedrungen auf Tauschhandel um. In seinem Schuppen verändert sich das Lagermaterial. Aus Lebensmittel werden jetzt Gebrauchsgegenstände. Natürlich nur solche, die ihren Wert behalten, dabei sind Uhren und Schmuck besonders interessant. Was nützt einem ein goldener Ring in der Schatulle, wenn der Magen knurrt. Da ist es ein Leichtes, solche Gegenstände für Lebensmittel einzutauschen.

      Bis zum Frühling müssen sowohl die Kohlen, als auch die Lebensmittel verkauft sein. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass es bei Franz immer etwas zu handeln gibt. Er muss den Käufern nicht nachrennen. Natürlich bleibt nicht verborgen, dass sich in seinem Schuppen die Wertgegenstände anhäufen, auch wenn er bemüht ist, dass die Wertsachen gut versteckt sind. Zur Sicherheit hat er sich einen Schäferhund zugelegt. Der Wilhelm muss sich um den Hund kümmern. Vor dem Kauf hat er sich informiert, dass dieser sehr aggressiv und wachsam ist. Es dauerte einige Zeit, bis er Wilhelm als Chef akzeptierte. Auch Franz gehorcht der Hund inzwischen aufs Wort.

      Nachts ist der Hund beim Schuppen angekettet, die Kette ist lang genug, dass er den Schuppen verteidigen kann. Bereits das Knurren reicht meistens aus, um Diebe abzuschrecken. Jeder der am Garten vorbei geht, wird so angebellt, dass er sofort weiter zieht.

      Das grössere Problem ist, dass im Stadthaus niemand von seinen Schuppen erfährt. Jeder der ihn im Stadthaus fragt, ob er Lebensmittel verkauft, wird mit der Bemerkung: Woher sollte er die haben? abgewiesen. Nur wer ihn zuhause oder auf dem Weg zum Schachklub fragt, hat Aussichten bei ihm etwas zu kaufen. So läuft nun mal der Schwarzmarkt, das weiss inzwischen jeder. Schwarz einkaufen muss gelernt sein.

      «Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Millionäre werde», konstatiert Franz, als ihm der Stadtpräsident den Wochenlohn aushändigt, «jetzt verdiene ich bereits in einer Woche fast zwei Millionen.»

      «Ja aber du musst es gleich ausgeben, sonst hat es Ende Woche nur noch die Hälfte Wert.»

      «Daran gewöhnt man sich», meint Franz, er lässt sich nicht anmerken, wie ihm das Steigen der Preise gefällt, «ich bin gespannt, wann die erste Milliardennote herausgegeben wird. Man braucht bereits eine Tasche um zum Einkaufen zu gehen, nicht wegen dem Einkauf, nur damit man genug Geld dabei hat.»

      «Irgendwie müssen wir das wieder stoppen», sinniert der Stadtpräsident, «so kann es nicht weiter gehen.»

      «Wieso? -hast du von deinen Parteifreunden irgendwelche Informationen?», fragt Franz nach, «ist da etwas im Busch?»

      «Offiziell nicht», wehrt der Stadtpräsident ab, «aber so kann es nicht weitergehen.»

      Franz spitzt die Ohren, er muss vorsichtiger werden. Nun, egal was passiert, wer die Waren hat, ist besser daran, als die mit einer Schubkarre voll Banknoten. Jetzt muss


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