Die Sternenschnüffler. Thomas Manderley
sah auf seine Uhr, während der Barkeeper ihm ein neues Bier zapfte: „Schon halb eins.“, dachte er und sah sich in der kleinen, schummerigen Bar nach einem Bezahlscanner um. Dabei blieb sein Blick bei einem Gast hängen, der an einem der hinteren Ecktische saß und offensichtlich neben seinem Drink eingeschlafen war. Ob es ein Mann oder eine Frau war, konnte Joe nicht erkennen, denn auch die Spezies war ihm gänzlich unbekannt: „Arme Sau!“, dachte er: „Was mag dem wohl passiert sein?“
Aber Joes Blick schweifte weiter durch den Raum: Das Interieur bestand aus verkratztem Aluminium, angelaufenem Edelstahl und Resten einer Kunstlederpolsterung, die wohl schon vor längerer Zeit begonnen hatte, sich in ihre Einzelteile aufzulösen. An der Wand hingen ein paar vergilbte Poster mit Raumschiffen darauf, die vor etwa fünfzig Jahren vermutlich einmal die spektakulärsten Schiffe ihrer Zeit gewesen waren. Nun zeugten sie nur noch von Vergänglichkeit, vom rasenden Fortschritt der Technologie und davon, dass hier seit dieser Zeit auch nicht mehr neu dekoriert wurde. Beim genaueren Betrachten dieser stummen Zeitzeugen bekam Joe eine Gänsehaut und zog es vor, sich wieder zur Theke umzudrehen und seinen Blick auf das inzwischen vor ihm stehende Bier zu senken, auf dem sich der Schaum bereits weitgehend verflüchtigt hatte. Joe beobachtete, wie die letzten weißen Bläschen nacheinander zerplatzten und das ehemalige Produkt hoher Braukunst immer mehr die Gestalt eines Apfelsafts annahm. Als er wieder nach oben sah, fiel ihm ein großer Fleck auf dem handgeschriebenen Menü auf, das an der Wand hinter dem Tresen hing. Der Fleck war wohl der Überrest eines vor langer Zeit dagegen geworfenen Rotweinglases.
„Was für ein Drecksladen!“, dachte Joe und der Anblick eines Mannes, der am anderen Ende der Theke saß und dem Anschein nach mehr Zeit am Tresen, als in seiner Wohnung, falls er überhaupt eine hatte, verbrachte, bestätigte ihn in seinem Denken.
Er nahm das Bierglas, stellte es vor Schreck aber sofort wieder ab, denn der Barkeeper ging schnell und unvermittelt zu der armseligen Kreatur am Ende des Tresens hinüber, packte den Mann am Kragen und gleichzeitig am Arm, brachte ihn zur Tür und warf ihn hinaus.
„Wenn Du bis morgen nicht Deine Zeche bezahlst, bist Du fällig!“, rief er ihm hinterher, bevor er sich wieder hinter seine Theke begab.
Joe beobachtete, wie sich der Mann vor der Tür langsam wieder auf die Füße erhob, als sein Blick an Lora hängen blieb, die auf einer der Sitzbänke gegenüber der Eingangstür lag und schlief. Die Sitzbank war viel zu klein für sie und so lag Lora halb schief, halb zusammengerollt auf der Bank, die eigentlich mehr ein breiterer, lehnenloser Hocker war.
„Sie wollte doch heute noch weiterfliegen.“, sagte Joe leise zu sich selbst: „Es muss wohl ein Problem gegeben haben.“
„Wie bitte, womit hast Du ein Problem?“ Der Barkeeper kam mit ärgerlichem Gesicht zu ihm herüber.
Joe antwortete gar nicht erst. Er nahm sein Bier, trank einen Schluck und sagte mit freundlicher Stimme: „Zahlen bitte!“. Der Barkeeper, der seine finstere Miene noch immer nicht abgelegt hatte, zeigte nur stumm auf die Raumecke links hinter Joe. Als dieser sich umdrehte, sah er dort einen großen schwarzen Kasten, der wohl ein Bezahlscanner zu sein schien, allerdings eines der ersten Modelle, die es überhaupt gegeben hatte. Joe stand auf und näherte sich mit vorsichtigen Schritten dem eigentümlichen Apparat. Als er in die Öffnung für den Augenscan hineinsah und seinen Daumen auf den Fingerabdruckleser drückte, wurde er von einem hellen Lichtblitz geblendet, der ihn wie von einem Faustschlag getroffen zurücktaumeln ließ. Joe hielt beide Hände vor seine schmerzenden Augen, als er eine freundliche Stimme aus dem Scanner hörte: „Vielen Dank, Ihre Buchung wurde erfolgreich abgeschlossen. Danke!“
„Oh, Sorry! Die Einstellung der Lichtstärke hat sich wieder einmal von selbst verändert.“, sagte der Barkeeper mit ruhiger Stimme: „Ich werd‘ das gleich morgen in Ordnung bringen!“
Joe nahm die Hände wieder von seinen Augen und sah den Barkeeper vollkommen verdutzt an: „Morgen? Der Nächste der das Ding benutzt wird blind!“
„Außer Ihnen ist doch nur noch diese Figur dahinten von Gott weiß welchem Planeten da. Der zahlt heute eh‘ nicht mehr. Ich kann froh sein, wenn ich den irgendwie hier rausbekomme.“
Der Barkeeper ging auf den Mann zu und versuchte, ihn zu wecken, aber Joe wartete das Ergebnis nicht ab. Er drehte sich um und ging hinaus: „... und mich siehst Du hier auch nicht wieder!“, murmelte er leise vor sich hin.
Draußen lag Lora immer noch in einer für den menschlichen Knochenbau fast unmöglichen Haltung schlafend auf der Bank. Ihr rechter Oberarm bildete ihr Kopfkissen, während der dazugehörige Unterarm frei in der Luft hing. Ihre Beine wahren jedoch nach links angewinkelt und gleichzeitig übereinandergeschlagen und gaben ihrem Körper das nötige Gegengewicht. Ihre Hüfte war so verdreht, dass Joe allein vom Anblick Rückenschmerzen bekam.
Er ging leise zu ihr, hockte sich vor sie auf den Boden und betrachtete ihr rosa glänzendes Haar, das bis auf den Boden herunterhing. Dann wanderte sein Blick hinauf zu ihren jugendlichen Gesichtszügen, die sehr fein und ausdrucksstark wirkten, trotz ihrer leicht grünlichen, schuppigen Haut, die eher der einer Schlange als der eines Menschen glich.
„Seltsame Wesen.“, dachte Joe: „Eine Mischung aus Mensch, Reptil und einem Farbkasten.“ Er konnte ein leises Lachen über seinen eigenen Vergleich nicht unterdrücken, aber so leise es auch war: Es reichte, um Lora aufzuwecken.
Als sie die Augen öffnete und Joe direkt neben sich sah, rollte sie vor Schreck nach links, fiel von der Bank und landete unsanft auf dem Boden: „Sie! Was schleichen Sie sich unbemerkt an mich heran, vor Allem, wenn ich gerade schlafe?“, fuhr sie Joe an, während sie sich wieder aufrappelte.
„Es tut mir so leid! Haben Sie sich wehgetan?“ Joe war Lora bereits zu Hilfe geeilt: „Ich wollte Sie gerade wecken und Sie fragen, was passiert ist. Sie wollten doch heute noch nach Iridua weiterfliegen, oder?“ Joe half Lora wieder auf die Beine: „Es stimmt also doch!“, fügte Joe hinzu und grinste: „Iriduaner werden ...“
„JA, BLAU!“, unterbrach ihn Lora.
„Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein.“ sagte Joe ruhig und auch Lora nahm langsam wieder ihre normale Gesichtsfarbe an. Joe setzte sich auf die Bank und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich: „Komm Sie! Setzen Sie sich doch und erzählen Sie mir in Ruhe, was passiert ist!“
„Also, gut!“ Lora setzte sich und holte tief Luft: „Ich hab‘ zuerst ein Ticket nach Iridua gekauft. Soweit war Alles klar. Als ich dann aber zum Check-In kam, hieß es, dass das Schiff überbucht sei und mein Ticket fälschlicherweise ausgestellt wurde.“
„Und das haben Sie sich einfach so bieten lassen?“
„Na was sollte ich denn tun?“
„Also wenn die mit so einem Mist bei mir kämen, würden die aber ihr blaues Wunder erleben und bei Ihnen sollte das erst recht so sein!“ Joe grinste.
Lora wollte sich nicht erneut über Joes Bemerkung aufregen. Sie warf ihm nur einen kurzen, ärgerlichen Blick zu, aber auch das gelang ihr nicht so recht. Also ging sie einfach darüber hinweg: „So etwas ist mir noch nie passiert. Im Gegenteil: So etwas kommt niemals vor, kann eigentlich auch gar nicht. Die Buchungen werden doch von der Zentrale aus bearbeitet, eigentlich eher vom Zentralcomputer. Und dann so etwas.“ Lora wandte ihren Blick nach unten auf den Boden: „Ich bin ratlos: Vor morgen Mittag bekomme ich keinen Flug nach Hause, die Zimmer hier auf der Station sind alle komplett ausgebucht und mein Geld wollten die mir auch nicht zurückgeben.“
„Aber Sie können doch nicht hier auf der Bank übernachten. Das ist gefährlich! Auf solchen Raumstationen laufen die verrücktesten Kreaturen rum und einen Haufen Krimineller gibt es hier auch.“
Lora zitterte schon leicht, obwohl es angenehm warm auf dem Commercial-Deck war: „Na irgendwo muss ich doch schlafen. Und zu allem Unglück ist mein Gepäck schon heute nach Iridua geschickt worden. Dafür hatten sie dann doch noch Platz auf dem Schiff.“
Lora versuchte, ihre Tränen zu verbergen, aber Joe bemerkte es: „Kommen Sie!“, sagte er und stand auf: „Ich habe eine reservierte Schlafröhre. Nehmen Sie sie doch. Ich