Die Sternenschnüffler. Thomas Manderley

Die Sternenschnüffler - Thomas Manderley


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Doch dann sah er wieder geradeaus an die gegenüberliegende Wand des Schützengrabens. „Mein Vater macht mich alle! Der bringt mich um! Sein Sohn ein Deserteur!“ Kjomme senkte seinen Blick nach unten zwischen seine angewinkelten Knie.

      „Na und? Drauf geschissen!“, sagte Oliver mit immer enthusiastischerer Stimme, aber Kjomme starrte weiter regungslos auf den Boden. Nun gab auch Oliver auf und blickte wieder auf die vor ihm stehende, inzwischen leer getrunkene Bierflasche.

      „Drauf geschissen!“, sagte Kjomme plötzlich, stand wild entschlossen auf und kletterte nach oben.

      „Kjomme, bist Du irre?“

      Kjomme reagierte nicht.

      „Dann warte wenigstens auf mich!“, rief ihm Oliver hinterher und kletterte ebenfalls aus dem Graben.

      Oben angekommen sahen sich Oliver und Kjomme an: „Und was jetzt?“, fragte Oliver.

      „Sag Du mir das! Das Ganze ist doch Deine Idee gewesen.“

      Oliver sah sich nach allen Seiten um. Außer Wüstensand und dem nur etwa dreihundert Meter entfernten Versorgungslager am Fuße der großen Dünenkette war nichts zu sehen. Drei Shuttle-Transporter standen neben dem Hauptzelt und schienen unbewacht zu sein: „Nur nicht auffallen! Wir haben jetzt ‚offiziell‘ den Befehl zum Schlachtkreuzer ‚Europa‘ zu fliegen, um dort einen Gefangenen zu verhören, verstehst Du?“

      „Klar!“, sagte Kjomme und grinste übers ganze Gesicht.

      Die beiden machten sich auf den Weg zum Zelt, aber als sie näherkamen, mussten sie feststellen, dass die Shuttles doch bewacht waren: Ein einzelner Soldat schlief im Sand, mit dem Rücken an einen großen Felsbrocken gelehnt. Seinen Hut hatte er sich über die Augen gelegt und seine Hände über seiner Brust zusammengefaltet. Also gingen Kjomme und Oliver weiter, direkt zu den Shuttles.

      „Los Kjomme, starte schon mal den Antrieb!“, sagte Oliver und ging zum schlafenden Wachposten: „HALLO! Wir müssen zum Schlachtkreuzer ‚Europa‘ fliegen. Wir sollen da einen Gefangenen verhören.“

      „Gefangenenverhör?“, murmelte der Wachposten, ohne seinen Hut hochzuschieben: „So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört. Seit wann machen wir Gefangene?“

      Oliver zuckte zusammen, denn er bemerkte, wie dumm seine Idee mit dem Verhör eigentlich gewesen war. Aber er konnte jetzt nicht mehr die Richtung wechseln: „Seit heute. Wir haben einen Spion von denen erwischt, wie er versuchte, die Sicherheitsschleusen an einer der Erzminen zu manipulieren.“ Oliver war über sich selbst erstaunt, wie schnell er das Problem lösen konnte.

      Der Wachmann schob nun doch seinen Hut nach oben und sah Oliver mit zusammengekniffenen Augen an: „Spion? An den Minen? Und was wollte der da machen? Ach Scheißegal. Fliegt doch einfach und lasst mich endlich in Ruhe, verdammt! Immer diese bekloppten Frischlinge. Wollen alles immer ganz genau machen. Nehmt das verdammte Mistding endlich und verschwindet!“ Dann schob er den Hut wieder über die Augen.

      „OK, Danke. Wir melden uns dann vom Schlachtkreuzer aus hier unten ab. OK?“ Da keine Antwort vom Wachmann kam, ging Oliver, ohne weitere Worte zu verlieren, zum Shuttle, das bereits mit hochgefahrenem Antrieb und mit Kjomme am Steuer auf ihn wartete. Oliver stieg ein, Kjomme hob ab und beschleunigte gen Himmel.

      Langsam kroch das kleine Schiff die schroffen Felswände empor und das Camp, die Munitionsdepots und auch der Schützengraben wurden immer kleiner, bis sie Spielzeug ähnelten, das verstreut in einem schmutzigen Sandkasten herumlag. Immer schneller schossen die mächtigen Gesteinsbrocken des Felsmassivs an Oliver und Kjomme vorbei, bis sie zu einer einzigen großen Masse verschwammen. Als die Gipfel erreicht waren und unter dem Shuttle abtauchten, gaben sie die Sicht auf die gigantische, rotsandig karge Zentralwüste frei, die bis zum Horizont von bizarren Felsformationen durchbrochen wurde. Zwischen ihnen saugten sich unzählige Minen und Fabrikanlagen wie Geschwüre am Wüstensand fest und sandten ihre dichten Rauschschwaden gen Himmel. Der Anblick ließ Oliver innerlich erschaudern, auch wenn er gleichzeitig spürte, wie ein Gefühl der Freiheit und der Freude auf die vor ihm liegende Zukunft in ihm aufkam.

      Nachdem Kjomme vom Steigflug in den Vorwärtsflug übergegangen war, brach Oliver das Schweigen: „So weit, so gut. Etwas habe ich jedoch nicht bedacht.“

      „Und was?“, fragte Kjomme und drehte sich zu Oliver um, der es sich inzwischen auf einer der hölzernen Ruhepritschen im hinteren Bereich der Shuttlekabine bequem gemacht hatte.

      „Guck nach vorne!“

      Kjomme gehorchte.

      „Ich habe noch nicht bedacht, wie wir durch das Sensor-Schutznetz kommen. Sobald ein Raumschiff unbefugt durchfliegt, gibt es Alarm an alle Kreuzer, Abfangjäger und an Alle, die sonst noch im Orbit rumhängen.“

      „Stimmt, an das blöde Netz habe ich nicht gedacht. Können wir das Ganze nicht vorübergehend lahmlegen?“

      „Nein, keine Chance. Das Netz ist absolut hackersicher. Wir müssen da ‚befugt‘ durch!“

      „OK, befugt! Und wie?“ Kjomme klang zunehmend unruhig:

      „Na ja, wir könnten angeben, dass wir auf Urlaub wären.“, sagte Oliver, bemerkte die Dummheit seiner Idee aber im selben Moment und auch Kjomme ersparte sich jeglichen Kommentar.

      „Ich hab‘s!“, rief Oliver: „Wir holen jotanische Eier für Sergeant Holcroft und müssen dafür zum interstellaren Großmarkt auf der Bell-Station draußen im Keedon-System fliegen. Der Typ liebt diese komischen Eier, aber die kriegst Du nur bei einem Händler, der dort einen kleinen Laden hat. Und der Typ ist, soweit ich weiß, ein Schmuggler und betreibt den Laden nur als Tarnung. Aber für seine Eier tut der Sergeant eben alles. Hast Du die mal gegessen?“

      Kjomme blickte wieder nach hinten zu Oliver.

      „Guck nach vorne! Wir werden noch abgeschossen, Mann. Es ist Krieg!“

      Kjomme sah wieder auf sein Display: „Nein, habe ich noch nicht gegessen.

      „Die schmecken wie vergammelter Schneckenschleim. Keine Ahnung was der Typ daran findet. Na ja, aber bei dem wundert mich eigentlich nichts!“

      „Geht nicht!“, sagte Kjomme.

      „Was geht nicht?“

      „Na Deine Idee mit Sergeant Holcroft. Der ist vor zwei Jahren an Lebensmittelvergiftung gestorben.“

      „So viel zu den Eiern.“, ergänzte Oliver. Doch dann traf ihn ein weiterer Geistesblitz: „Sag mal, Kjomme, ist das nicht ein Standard-Shuttle, Typ zwei oder Typ drei?“

      „Typ zwei, glaube ich. Wieso?“

      Oliver setzte sich auf: „Na das ist auch der Typ, der von der Flugschule eingesetzt wird. Und das sind wir jetzt auch offiziell: Flugschüler und Fluglehrer.“

      Kjomme rümpfte die Nase: „Ach, und ich bin der Flugschüler? Ich bin ausgebildeter Kampfpilot, Du Vollpfosten. Das merkt doch jeder nach zwei Sekunden, dass ich nicht wie ein Schüler fliege!“

      „Na gut, dann lass mich ran. Ich habe seit einer Ewigkeit keines von diesen Dingern gesteuert. Ich fliege bestimmt total krumm und es ist nicht mal gespielt.“

      Gesagt, getan: Oliver und Kjomme tauschten die Plätze und nur einen kurzen Moment später meldete sich ein Wachschiff über das Videoterminal: „Was machen Sie da? Sie haben das Schutznetz durchflogen! Identifizieren Sie sich!“

      Oliver atmete tief ein und wollte antworten, zögerte aber.

      „Nur Ton!“, zischte Kjomme nach vorn: „Mach bloß nicht den Bildkanal auf.“

      Oliver drehte sich kurz zu Kjomme um, befolgte dann aber seinen Rat. Er öffnete nur den Ton-Kanal und versuchte, mit etwas tieferer Stimme zu sprechen: „Oh, tut mir leid! Hier ist Leutnant Brown. Mein Flugschüler hatte vergessen, den Durchflug anzumelden. Ich tue dies hiermit. Bitte geben Sie ‚Hochgeschwindigkeitsmanöver‘ als Trainingseinheit an! Vielen Dank!“ Oliver hielt den Atem an, wobei ihm die zwei Sekunden, die bis zur Antwort


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