Dirndlgate. Jan Schreiber

Dirndlgate - Jan Schreiber


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dafür eine technische Lösung aus dem Ärmel. Die beiden Männer ergänzten sich perfekt. Jessica hatte den jungen Arnold unterschätzt. Er brachte ein gewaltiges technisches Wissen mit. Sie begriff außerdem, wie leicht es wäre, die Medienlandschaft anders aussehen zu lassen. Die Entwickler müssten sich nur von der Design-Idee der Ablenkung verabschieden. Immer mal wieder hörte Jessica den einen oder anderen Zuschauer klatschen.

      Der Moderator ordnete seine Karten und schaute Heck an. Wie auf ein Zeichen hob dieser auf einmal seinen Kopf. Weiß der etwa, dass er gleich seinen Auftritt bekommt? Jessica umfasste die Lehnen des Sessels fest.

      „Wir haben jetzt ein Stück weit beleuchtet, wie sich die Gesellschaft zum Medium verhält und umgekehrt“, sagte von Ackern. „Was aber ist mit der digitalen Präsenz des Einzelnen, und welche Rolle spielt dabei das Bild beziehungsweise die Inszenierung von Bildern?“

      Von Ackern deutete auf den großen Studiomonitor. Jessica sah das Foto von ihr und dem Bundesverfassungsrichter.

      Ausgerechnet dieses Bild! Sofort drängte es sie, zu erklären, wie es zu dem Foto gekommen war und was es damit auf sich hatte. Heck lächelte. Jessica drückte den Rücken durch. Gleich würde sich der Moderator ihr zuwenden. Aber von Ackern nickte nur kurz in ihre Richtung und sagte:

      „Frau Dr. Scheffold, Sie bekommen sofort die Gelegenheit, sich zu dem Foto zu äußern, einen kleinen Moment. Herr Trové, wir sehen dieses Foto auf dem Monitor. Viele unserer Zuschauer kennen es sicher, es symbolisiert nicht unbedingt den Beginn von Frau Scheffolds Karriere, wohl aber den Beginn einer gewaltigen digitalen Präsenz. Ich beziehe mich dabei auf Frau Scheffolds Facebook-Profil. Herr Trové, steht dieses Bild für eine beispielslose Inszenierung? Hat es Frau Dr. Scheffold von Beginn an verstanden, das Internet für sich arbeiten zu lassen?“

      Trové rollte die Augen.

      „Ich denke, Frau Dr. Scheffold kann gut für sich selbst antworten.“

      Von Ackern hob die Hände: „Da bin ich mir sicher. Aber haben wir die Situation nicht so oft in der Realität? Fotos sind da. Was es damit auf sich hat, erfahren wir erst später.“ Der Moderator drehte sich ein winziges Stück von Jessica weg, was sie sofort registrierte.

      Trové hatte es ebenfalls bemerkt. „Sie wollen doch nicht etwa jeden Zuschauer fragen, was von dem Bild zu halten ist?“, hakte er ungehalten nach.

      „Nein“, von Ackern hob noch einmal die Hände.

      Er weiß ganz klar, was er tut. Wie von Ackern hier vorging, war schlichtweg unhöflich. Eine warme Welle erfasste Jessicas Körper. Sie spürte ihr Herz. Heck grinste und schaute auf den Boden.

      „Falls Sie es nicht wissen sollten“, sagte von Ackern, „der arme eingeschüchterte Mann in dem Stuhl, dem Frau Scheffolds erhobener Zeigefinder gilt, ist Hans Dieter Falkenberg, seines Zeichens Bundesverfassungsrichter. Das Foto war lange in den Medien, und es markiert für viele Menschen im Land die entscheidende Wende in der Nein-heißt-Nein-Debatte. Andererseits könnten wir auch fragen, ob Frau Scheffold aufgrund dieses Bildes so viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Also doch eine perfekte Inszenierung?“

      Von Ackern schaute Jessica nicht an und in diesem Moment wusste sie ganz klar: Sie saß bereits inmitten einer Provokation. Typisch von Ackern. Jetzt, dachte sie.

      „In ihrer Kneipe würde ich jetzt auf den Tisch hauen …“

      „Frau Dr. Scheffold, lassen Sie mich zunächst noch …“

      „Nein, ich lasse eben nicht. Wenn Sie schon das immer gleiche Foto bemühen müssen, nutze ich genau jetzt die Möglichkeit, um etwas dazu zu sagen.“

      Der Moderator machte eine ausladende Handbewegung und lehnte sich zurück. Punkt für sie.

      „Herr Wowereit und der rote Schuh“, fuhr Jessica ohne Zeit zu verlieren fort, „Emma Watson und Harry Potter, Michael Jackson und der Moonwalk – ich möchte mich gar nicht auf eine Stufe mit Schauspielern oder anderen berühmten Menschen stellen, sondern nenne die Beispiele nur, um zu zeigen, wie schnell man in eine Schublade gesteckt wird. Irgendwie werde ich das Foto nicht los. Das Bild war ein Schnappschuss, weniger als ein Augenblick, und die Geste galt meiner Assistentin.“

      Von Ackern fuhr sich kurz mit einer Hand über die Glatze: „Aber es ist doch vor dem Bundesverfassungsgericht entstanden?“

      „Ja, aber nicht während der Verhandlung. Es wurde im Anschluss aufgenommen, und es hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich Herrn Falkenberg etwa die Leviten gelesen hätte, wie Sie es so verzerrt dargestellt haben.“

      Von Ackern räusperte sich kurz und fuhr sich erneut mit der Hand über die Glatze.

      „Mit dem Bild ist die Anzahl Ihrer Follower explodiert. Wir sprechen von immerhin achtzehntausend Menschen, ich habe extra noch einmal nachgeschlagen.“

      „Wenn Sie das sagen.“

      Kurz streifte Jessicas Blick Jürgen Heck. Er öffnete den Mund und presste wieder die Lippen aufeinander.

      „Herr Heck“, bremste ihn der Moderator, „einen Moment bitte. In der Tat ist es so, dass die Kanzlei Heck fast ohne digitale Präsenz auskommt. Sie, Frau Dr. Scheffold, gehen einen anderen Weg.“

      „Das hat sich im Prinzip so entwickelt. Ich hatte eine Mandantin, die in der Wohnung eines Mannes vergewaltigt worden war. Das Landesgericht hatte ihr Schadensersatz zugesprochen, das Oberlandesgericht hatte diesen wieder zusammengestrichen, mit der Begründung: Die Frau habe sich aus freien Stücken in eine nicht eindeutige Lage gebracht. Die juristische Auseinandersetzung hat uns schließlich den Weg bis zur letzten Instanz gehen lassen. Auf Facebook war so viel Schlimmes und Falsches geschrieben worden, und ich hielt es für klug, genau auf dem Medium zu antworten. Verstehen Sie?“

      „Es gab die Meldung, die Frau sei aus dem Rotlichtmilieu gewesen“, ergänzte von Ackern.

      „Und vieles andere mehr ist geschrieben worden“, antwortete Jessica. „Ich will hier nicht noch mal alles aufzählen. Ich habe aber dann doch erkannt, dass mir mein Facebook-Profil Möglichkeiten an die Hand gibt. Wir wissen ja alle: Staatsanwaltschaft und Polizei äußern sich sogar zu laufenden Prozessen. Wieso also soll die Verteidigung zum Schweigen verdonnert sein? Dass ich dabei nicht vor der neuen Technologie zurückschrecke, entspricht ja wohl eher dem Zeitgeist als Präsentationswut.“

      Der Moderator nickte und wandte sich Heck zu.

      „Handelt es sich bei dem Foto um eine geschickte Inszenierung? Das ist unsere Ausgangsfrage gewesen.

      Ich stelle sie deshalb noch einmal, weil jeder meiner Studiogäste eine andere digitale Präsenz mitbringt. Steffen Arnold ist gefühlt dauerpräsent im Internet. Von der Kanzlei Heck finden wir im Internet lediglich eine Landingpage und sonst nichts. Herr Heck, warum keine digitale Präsenz?“

      „Nein, wir halten nichts davon. Vielleicht sind unsere Brötchen etwas kleiner, aber abgesehen davon müssen wir uns nicht, wie das Frau Dr. Scheffold so gerne tut, im Internet präsentieren wie eine polierte Weihnachtsbaumkugel. Überhaupt handelt es sich ja um komplexe juristische Zusammenhänge, und um diese darzustellen, ist Twitter nicht der geeignete Ort.“

      Heck drehte seinen Kopf ruckartig Jessica zu. Das Foto war immer noch auf dem Studiobildschirm zu sehen, was Jessica störte. Bloß nicht provozieren lassen.

      „Ich bin nicht auf Twitter“, antwortete sie bestimmt, aber ruhig.

      „Das ist doch alles das Gleiche.“

      Jessicas Blick schweifte kurz in die Zuschauerreihe. Michael hatte seinen Kopf runtergenommen und sah auf seine Beine.

      „Nein“, antwortete Trové. „Die Plattformen unterscheiden sich deutlich. Außerdem ist es auch ein Unterschied, ob man sein Privatleben im Internet ausbreitet oder ob man über sein Fachgebiet schreibt.“

      „Okay, ich habe verstanden“, sagte Steffen Arnold.

      „Herr Arnold“, nahm von Ackern Trovés Hinweis auf.

      „Digitale Präsenz – für


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