Wenn die Seelen Trauer tragen. Rose Hardt

Wenn die Seelen Trauer tragen - Rose Hardt


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Augenschein. Große dunkle Augen, die mit einem schwarzen Kajal umrandet waren, blickten ihr traurig entgegen, sein ebenmäßiges Gesicht war von schwarz-glänzendem Haar umhüllt und seine äußerst gepflegte Haut schimmerte bronzen. Er wirkte verlassen und irgendwie schutzbedürftig. Wer er wohl war? Und in welcher Verbindung stand er zu Clemens? Und während sie darüber nachdachte, wechselte ihr Blick mehrmals zwischen den beiden Herren.

      „Jetzt trinkst du zuerst einmal einen Espresso mit uns, danach darfst du dich gerne verabschieden“, drängten Clemens Worte mitten in das Bild das sie sich gerade von den beiden Herren zurechtzusetzen versuchte.

      Widerwillig gehorchte sie, dann ließ sie sich in den Dunstkreis zweier merkwürdiger Herren, die eigentlich Fremde für sie waren, nieder. Danach folgte eine befremdliche Stille. Nochmals wechselte ihr Blick zwischen den beiden Männern. Starke Parfümdüfte stiegen ihr in die Nase: ein schwerer süßer Duft konkurrierte mit einem herben Männerduft. Eine Duftkombination die erneut ihr Interesse weckte und eine erste Mutmaßung formte.

      Jacob war es, der das Schweigen unvermittelt brach. „Alle, die ich je geliebt habe, haben mich verlassen. Ist das nicht traurig?“, fragend sah er zu Nora, doch sein Blick schien durch sie hindurchzugehen. Seine Worte klangen klar, seine Augen wirkten nun, nachdem er sie ausgesprochen hatte, beängstigend leer. Eine nüchterne Mitteilung die nackt im Raum stand und Unbehagen bei Nora verursachte.

      „Er will damit sagen, dass alle, die ihm, in seinem Leben etwas bedeutet haben, verstorben sind“, versuchte Clemens die Worte des jungen Mannes zu verdeutlichen.

      „Oh, Sie sind in Trauer, das tut mir leid“, antwortete Nora und rührte verlegen in ihrem schwarzen doppelten Espresso.

      Erneut stellte er einen Satz in den Raum. „Meine Eltern kommen mir heute, nachdem sie tot sind, lebendiger vor als zu Lebzeiten – in meiner Erinnerung sehe ich sie als eine Art Zweigespann, das nichts und niemanden trennen konnte! Ja, und ich war nur der Zweitgeborene, ein nicht mehr gewolltes Nebenprodukt ihres spießigen Lebens … der durch seine Andersartigkeit ihre kleine perfekte Familien-Idylle störte.“ Mit dem letzten Halbsatz warf er Clemens einen verächtlichen Blick zu.

      Fragend sah Nora zu Clemens, der sogleich betroffen seine Augenlidern senkte und im nächsten Moment seine Hand tröstend auf Jacobs Hand legte. Eine Geste die erneut Fragen aufwarf: Sind beide anders? Sollte sie sich in Clemens so getäuscht haben! War sie schon so lange alleine, dass sie nicht einmal mehr in der Lage war, diesen kleinen feinen Unterschied zu erkennen? Ein Gedanke der sie innerlich schmerzlich berührte.

      Die eigenartige Stille, die sich mittlerweile zwischen ihnen aufgebaut hatte, empfand Nora als äußerst unangenehm, ja, irgendwie peinlich. Ich muss hier weg, schoss es ihr durch den Kopf, und just in dem Moment wo sie aufstehen wollte, erhob Jacob wieder seine Stimme …

      „Aber jetzt wo ER tot ist, tauchen auch SIE wieder aus meinem Unterbewusstsein auf, SIE durchkreuzen meine Gedanken und quälen mich – besonders in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, dann kommen SIE und stoßen mich mit anschuldigenden Blicken hinab in die Tiefen meiner Erinnerungen“, dann sah er zu Nora und fragte: „Glauben Sie, dass Tote sich rächen können?“

      Oh mein Gott, ich muss hier weg! Wieso stellte er ausgerechnet ihr diese Frage? Und wieso gerade jetzt? Wo sie doch selbst mit quälenden Fragen zu kämpfen hatte!

      Im Grunde erwartete er keine Antwort, sondern beantwortete seine Frage selbst. „Nie hatte ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, sie konnten meinen Lebenswandel – so wie sie ihn missbilligend bezeichneten – nie verstehen“, fügte er überspitzt an. „Und später, als sie kurz hintereinander verstarben, war es mir nicht möglich um sie zu trauern, denn zu tief hatten sie meine Gefühle verletzt. Ja, zu tief! Doch jetzt, wo ich um meine Liebe trauere, drängen sie wieder in meine Gedanken und spielen sich mit Ermahnungen in den Vordergrund“, kurz hielt er inne, „ich glaube das ist ihre Rache – ja, ihre Rache!“ Kopfnickend, mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen stand er auf, dann huschte sein ganz in schwarz gekleideter schlanker Körper geräuschlos, fast wie ein Schatten, durch den Wohnraum Richtung Aufzug. Er drehte sich nicht mehr um, auch dann nicht, als er bereits im Fahrstuhl stand. Mit einem Zischlaut ging die Aufzugstür hinter ihm zu. Das einzige was zurückblieb, war sein schwerer süßer Parfümduft der im Raum verharrte.

      Jacobs Abgang erinnerte Nora an ein Theaterstück: … der Teufel, der sich auf Erden eine menschliche Regung erlaubt hatte, ist danach reumütig in den Hades zurückgekehrt, um sich seiner Bestrafung hinzugeben. Ein mulmiges Gefühl kroch in ihr hoch, hastig trank sie ihren Espresso. „Es ist besser wenn ich jetzt gehe“, sagte sie zu Clemens ohne ihn nochmals anzusehen, denn zu sehr schämte sie sich jetzt für ihr zärtliches Geflüster in der Nacht – wo er doch vielleicht anders war!

      „Aber wir sehen uns wieder … ja … versprochen?“, bedrängte Clemens sie mit einem charmanten Lächeln, als ob er ihre Befürchtungen ahnen konnte.

      Um unnötige, vielleicht auch peinliche Fragen zu vermeiden, nickte sie ihm nur stumm zu.

      „Gibt es hier auch eine Treppe?“, fragte sie, „ich würde gerne die Treppe nehmen!“ Denn der eben emporgestiegene Gedanke – mit dem Aufzug in den Hades hinabzufahren – erschauderte sie.

      „Ja, gleich neben dem Aufzug rechts! Und bis bald, Goldmündchen“, sagte er mit sichtlicher Freude über ihre Einwilligung.

      Nachdem die Haustür hinter ihr ins Schloss gefallen war, legte sie den Kopf in den Nacken, erleichtert atmete sie zuerst einmal die frische und salzige Luft, die vom Meer herüberwehte, tief und bewusst ein. Wieso hatte sie nicht bemerkt, dass er anders ist? Sie schloss ihre Augen und ließ den Abend nochmals Revue passieren. – Nein, sein Verhalten war doch ganz normal! Nichts, aber auch gar nichts war andersartig an ihm und an den gemeinsamen Gesprächen. Nachsinnierend an die beiden Herren schweifte ihr Blick zum Horizont, um sich dann in der Endlosigkeit zu verlieren. Ja, auch wenn sie ihr kleines Wortgeplänkel zwar äußerst anregend fand, so blieben dennoch Zweifel zurück.

      Im Laufe des Vormittags beschloss sie dann zur kleinen Felseninsel, nahe der Hafen-Einfahrt von Saint Helier, zu fahren. Auf ihr thronte die Elizabeth Castle, eine der eindrucksvollsten Burgen der Channel Islands, die nur bei Ebbe und mit dem Shuttletransfer zu erreichen war. Während ihrem Besichtigungsausflug zur Insel dachte sie nochmals über Clemens und Jacob nach. Sollte sie sich in Clemens wirklich so getäuscht haben? Jedenfalls vermittelte er nicht den Eindruck anders zu sein, ja, anders – das Wort schwul mochte sie nicht, es ließ keine Ausweichmöglichkeiten mehr zu.

      Kurze Zeit später schlenderte sie gedankenverloren hinter der Besuchergruppe durch die Burg, doch irgendwann muss sie wohl die Gruppe, in einen der vielen Räume verloren haben. Sie schlenderte zurück zum Ausgang und sah wie der Shuttletransfer bereits auf der Rückfahrt war – die Flut war hereingebrochen. „Shit! Shit! Shit! Was nun?“, kam es fluchend über ihre Lippen. „Tja, dann wirst du wohl oder übel für einige Stunden hier festsitzen“, seufzte sie. Und so setzte sie sich auf einen Felsvorsprung und ließ die Umgebung erst einmal auf sich einwirken, und wenn sie nun genauer darüber nachdachte, so war es geschenkte Zeit, Zeit um über alles und in aller Ruhe nachzudenken. Oh ja, und die benötigte sie in ihrer jetzigen Situation. Ein schwarzer Rabe war zwischenzeitlich gleich neben ihr auf der Kaimauer gelandet. Langsam breitete er seine Schwingen aus, dann verharrte er in dieser Position. Ganz offensichtlich war es eine Art Drohgebärde, dachte sie. Auch bei den Möwen schien die Hölle los zu sein. Ein großer Schwarm war vom Meer hereingebrochen und besetzte einen großen Teil der Burg; wildes Geschrei und wütendes Geplapper aufeinandertreffender Schnäbel wirkten ebenfalls bedrohlich. Sie dachte mit Entsetzen an Die Vögel von Alfred Hitchcock. Warum nur diese Aufruhr? Ach, mit Sicherheit war Paarungszeit, versuchte sie selbst das Verhalten der Vögel mit einem Lächeln zu erklären. Etwas verunsichert beobachtete sie das Geschehen, im nächsten Moment fiel ihr Blick auf einen ganz in schwarz gekleideten Mann, der vor dem geschlossenen Eingangstor zur Burg stand. War das etwa Jacob? Aber was macht er hier? In langsamen Schritten kam er auf sie zu. Plötzlich, in der Hälfte des Weges, blieb er stehen. Nun konnte sie ihn erkennen. Ja, es war


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