Mulaule. Rita Renate Schönig

Mulaule - Rita Renate Schönig


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Bettdecke. Sie zerrte so lange, bis sie sich endlich daran hochziehen konnte. Woraufhin Ferdinand den Welpen ins Körbchen zurückbrachte, das keine 3 Meter entfernt im Badezimmer stand.

      Seine Ermahnung – Bett für die Menschen – Körbchen für das Hundi, bezog sich sowohl auf Lizzy, als auch auf Bettina, seine Ehefrau, die bei jeder Umbettung lächelte. Hingegen die Hundedame ihn aus ihren großen dunklen Augen herzzerreißend anschaute und ihr schwarzes Näschen rümpfte.

      Das Prozedere wiederholte sich mehrmals und einige Nächte hindurch, bis Ferdinand sich durchgesetzt hatte. Mit dem kleinen Kompromiss, dass das Körbchen jetzt direkt vor dem unteren Ende ihres Ehebettes stand und Bettina ihr Kopfkissen geopfert hatte.

      „Lizzy! Komm jetzt, wir müssen noch Brötchen kaufen“, rief er die Hündin.

      Die kam sofort angerannt. Wobei ihre langen Ohren, wie riesige Schmetterlingsflügel im Wind flatterten.

      Vorbei an den teils restaurierten Überresten des Palatium, einer ehemaligen Residenz aus dem Jahre 1188, von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, gingen die beiden nun in trauter Zweisamkeit nebeneinander den Uferweg entlang. Alle zwei Schritte sah Lizzy zu ihrem Herrchen auf, so als wollte sie sagen: Schau, ich kann schon bei Fuß.

      Plötzlich hielt die Hündin ihre Nase in den Wind und trippelte aufgeregt vor und zurück.

      „Lizzy, was ist los?“ Ferdinand bückte sich und strich über den Kopf der Hundedame. Die drehte sich einmal um die eigene Achse und schoss dann die asphaltierte Uferpromenade entlang.

      „Lizzy! Bei Fuß!“

      Doch Lizzy dachte gar nicht dran. Vor dem Turm – der Mulaule – bremste sie abrupt und bellte sich die Seele aus dem Leib. Immer wieder versuchte sie die niedrige, für die sie dennoch zu hohe Steinmauer zu erklimmen.

      Als Ferdinand endlich schnaufend bei seiner Hündin ankam, tänzelte diese um seine Beine, um sofort wieder bellend und jaulend die Mauer bezwingen zu wollen. Er folgte ihrem Blick.

      „Ach du liebe Zeit. Wer ist denn das?“

      In circa 3 Meter Höhe, in die Mauerecke des Turms gelehnt, saß eine Frau. Den Kopf, mit langen blonden Zöpfen, unter einer schwarzen Haube gesenkt, die Arme seitlich am Körper anliegend und mit ausgesteckten Beinen sah es aus, als ob sie tief schliefe. Andererseits konnte Ferdinand sich dem Eindruck nicht verschließen, dass es sich ebenso um eine lebensgroße Puppe handeln könnte.

      Stutzig machte ihn auch die Bekleidung. Die Frau trug die charakteristische Seligenstädter Tracht. Der schwarz bestickte Rocksaum mit Sträußen-, Ranken- und Schleifendekoration, in der Form von Klatschmohn, Kornblumen, Margeriten und Ähren.

      Diese Tracht wurde normalerweise nur getragen, wenn historische Festivitäten anstanden, was seines Wissens zurzeit nicht der Fall war.

      „Hallo! Geht es Ihnen gut? Kann ich Ihnen helfen?“

      Verunsichert sah Ferdinand sich um. Aber, außer ihm und Lizzy war momentan niemand unterwegs. Lediglich aus einem Haus, oberhalb der Uferpromenade, lehnte sich eine Person aus dem Fenster, rief etwas wie Gekläffe und schloss dasselbe unsanft.

      „Lizzy, komm her.“

      Ferdinand klinkte die Hundeleine in Lizzys Halsband und befestigte die Hündin an der Bank, die rechtsseitig des Turms stand. Die Spaniel-Dame war damit überhaupt nicht einverstanden und bellte umso lauter und zerrte an der Leine.

      „Ich bin gleich wieder bei dir“, versuchte er die Hündin zu beruhigen, mit wenig Erfolg. Sie sprang hin und her und brachte ihren Unmut lautstark zum Ausdruck.

      „Miss Lizzy!“ Sein Ton wurde schärfer. „Gut jetzt, Sitz und Platz!“

      Mit leisem Gejaule folgte die Hündin den Anweisungen und legte sich vor die Bank. Aber nur so lange, wie sie ihr Herrchen im Auge hatte.

      Vorsichtig erklomm Ferdinand den etwa 60 cm hohen Mauersims und Schritt für Schritt die Steigung. Als er bei der Person ankam – jetzt erkannte er, dass es sich keinesfalls um eine Puppe handelte – fragte er noch einmal: „Kann ich Ihnen helfen?“, erhielt aber keine Antwort.

      Mit einem unguten Gefühl wagte er, seine Hand an den Hals der Frau zu legen, um sie schnell wieder wegzuziehen. Erschrocken hielt er sich am nebenanstehenden Trafokasten fest. Gänsehaut erfasste seinen Körper, gleichzeitig traten Schweißperlen auf seine Stirn. Dennoch konnte er nicht umhin, die Person näher in Augenschein zu nehmen; Macht der Gewohnheit aus seiner Zeit als Sanitäter.

      Mit zwei Fingern seiner Hand hob Ferdinand das Kinn der Frau an. Sie dürfte wohl so um die 70 Jahre alt sein, stellte er fest, war aber für ihr Alter ungewöhnlich stark geschminkt und … kratzig? Er schaute genauer hin.

      „Herr im Himmel. Das ist ein Mann“, murmelte er.

      So schnell es ihm möglich war, hastete er den kurzen Abhang hinab. An der Bank angekommen, nahm Ferdinand seine Hündin hoch, presste sie an sich und setzte sich erst einmal. Nachdem er wieder einigermaßen klar denken konnte, sagte er: „Lizzy, ich glaube, wir müssen die Polizei verständigen. Da stimmt etwas nicht.“

      Er tastete in seiner Hosentasche nach seinem Handy. Natürlich lag das zu Hause.

      Mittwoch / 08:20 Uhr

      Der diensthabende Polizeibeamte schaute skeptisch durch die Glasscheibe, als Ferdinand Roth explizit nach Polizeihauptkommissar Josef Maier, dem Leiter der Polizeidienststelle, fragte.

      „Ich muss unbedingt mit Ihrem Vorgesetzten sprechen“, äußerte er nochmals eindringlich.

      Der Polizist zeigte auf die Stühle, die in dem kleinen Flur vor der Anmeldung, an der gegenüberliegenden Wand standen, und griff zum Telefonhörer. Dabei ließ er Ferdinand nicht aus den Augen. Erst jetzt entdeckte er die Hündin, die brav neben ihrem Herrn Platz machte.

      Sofort wurden die Gesichtszüge des Polizeibeamten weicher, was vermutlich daran lag, dass Lizzy den Mann hinter der Glasscheibe mit schräg gelegtem Kopf, aus ihren schwarzen Knopfaugen anschaute. Damit hatte die Hundedame immer Erfolg.

      Gedämpftes Gemurmel drang in den Wartebereich. Wenige Minuten später öffnete Polizeihauptkommissar Josef Maier die seitliche Glastür, durch die es zu den innen liegenden Amtsräumen ging.

      Ferdinand erhob sich und Lizzy ebenfalls.

      „Ich nehme an, Sie sind Herr Roth?“, stellte Josef Maier in ernstem Ton fest, um sich dann lächelnd zu der Hundedame herunterzubeugen. „Und wen haben wir hier?“ Er hielt ihr seine Hand zum Schnuppern unter die Nase. Die wedelte mit dem Schwanz und schleckte kurz über dessen Finger.

      „Das ist Miss Lizzy“, antwortete Ferdinand nervös. „Ich muss eine Tote eh ... einen Toten melden.“

      Maier ließ von der Hündin ab und sah den Mann vor ihm bestürzt an. „Ja was denn nun? Und wo? Kommen Sie.“

      Die beiden wurden in ein Büro geführt. Der Polizeihauptkommissar machte eine Geste auf die vor seinem Schreibtisch stehenden Stühle. Er selbst ließ sich dahinter im Sessel nieder. Gleichzeitig griff er nach Block und Stift.

      „Nun erzählten Sie mal der Reihe nach, Herr Roth.“ Maier stutzte. „Sagen Sie, kennen wir uns nicht? Ach, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie wohnen in einem der Häuser im Klosterhof, stimmt’s?“

      „Ja“, bestätigte Ferdinand knapp.

      Maier nickte betreten. Sofort ereilte ihn die Erinnerung an den Toten im Graben der Klostermühle vor einem Jahr und die vorläufige Inhaftnahme der Roths. Eine unschöne Sache damals.

      „Sie haben also einen Leichenfund zu melden? Ich hoffe nur, es liegt nicht schon wieder ein Toter im Klosterhof.“

      Ferdinand schüttelte den Kopf. „Aber unten am Main, an der Mulaule.“

      „Woher wollen Sie wissen, dass die Person tot ist? Haben Sie sie etwa an…?“

      „Ich


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