Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
Herr, ich lüge nicht gerne. Außerdem würde ich mich schuldig fühlen, wenn ich sie in etwas hineinzöge, was für sie tödlich wäre.«
»Jacques, ich sagte es Euch bereits: Sie befindet sich aus freien Stücken in Gefahr. Ihr könnt nichts dazu beitragen.«
»Aber Herr! Sie kann doch gar nicht wissen, in welcher Gefahr sie schwebt. Niemand weiß es, nur wir.«
»Vielleicht mögt Ihr Recht haben. Doch sagt, worauf wollt Ihr hinaus? Ihr sprecht dies doch nicht um Eurer selbst willen an.«
»Nein Herr. Ich glaube, dass wir verpflichtet sind, sie zu schützen.«
Der erstaunte Blick brannte auf seinem Gesicht.
»Ihr wollt sie schützen? Auch, wenn es uns selbst in Gefahr bringt?«
»Für uns existiert keine Gefahr. Wir sind allem gewachsen.«
»Ihr wollt sie schützen? Auch, wenn es Euch selbst den Kopf kostet?«
»Ja, auch dann. Das Ende ist uns vorgezeichnet.«
»Ihr wollt sie schützen? Auch wenn es unseren Auftrag zunichtemacht?«
»Ohne sie würde unser Auftrag auch zunichte gemacht. Sie bringt uns auf die richtige Spur. Wir schützen sie, dafür nutzen wir ihr Wissen und ihr Können. Das ist ein Handel.«
Er erntete ein nachsichtiges Lächeln.
»Jacques, Ihr müsst noch sehr viel lernen. Unseren Auftrag, unsere Mission, wir können und werden dies niemals zum Gegenstand eines Handels machen. Wie er auch immer geartet sein mag. Aber Ihr braucht Euch nicht zu echauffieren, ich verstehe Euren Wunsch und Eure Argumentation. Ihr meint, dass wir es denjenigen, die uns behilflich sind, aus prinzipiellen Erwägungen heraus moralisch schuldig sind, unsererseits Hilfe zu gewähren, nicht wahr?«
Dankbar nickte Schmickler. So meinte er es zwar nicht, aber nach all den Jahren wusste er mit seinem Vorgesetzten umzugehen, ergo ging er auf das Spiel ein. »Ja, Herr, ich denke, da wir unser Handeln nach moralischen Gesichtspunkten beschließen, können wir nicht von dem Weg abweichen, wenn es gerade nicht passt. Diese Frau steht auf unserer Seite, mithin verdient sie unseren Schutz.«
So leicht wurde er nicht aus dem Schwitzkasten entlassen. Sein Gast lächelte milde und beinahe launig. »Eure Argumentation ist so fehlerhaft wie der menschliche Charakter. Diese Frau steht auf unserer Seite, aber ohne jedes Wissen darüber. Außerdem steht die Moral per se auf unserer Seite, da unser Auftrag in höchstem Maße moralisch ist. Daraus folgert, dass wir durchaus auch Unmoralisches tun dürfen, manchmal tun müssen, um den Auftrag zu bewahren und damit die darin innewohnende Moral. Zudem vergesst Ihr den alles überstrahlenden Wesenszug unseres Handeln: Gerechtigkeit. Damit allein hättet Ihr Euer Ansinnen begründen können. Also erledige ich das für Euch. Eurer Freundin sei der Schutz gewährt.«
Aufatmend dankte Schmickler dem Mann, der sich daraufhin erhob und ihn verließ. Noch lange saß Schmickler auf seinem Platz und versuchte herauszufinden, warum er ein schlechtes Gefühl zurück behielt. Irgendetwas hatte sein Gast gemeint, aber nicht gesagt. Etwas Bedrohliches.
4
Langsam schritt Katja Preuß den fast unsichtbaren Weg entlang. Dass es sich um einen Friedhof handelte, ließ sich zumindest von draußen nicht ohne weiteres erkennen. Zuvor musste sie an einem verfallenen Mittelding zwischen Burg und Bauernhof vorbeigehen, für sich bereits ein schwieriges Unterfangen wegen des fast nicht mehr vorhandenen Feldwegs. An ein paar trübe blickenden Kühen vorbei gelangte sie an die Reste einer Mauer, die nur noch aus einer welligen Mauerlinie und einigen verbogenen Armierungseisen bestand, die sie auch im Minirock ohne Mühe überwinden konnte. Hier nun eröffnete sich ihr der Blick auf eine Rasenfläche, die im Gegensatz zu den Flächen außerhalb der Umgrenzung außerordentlich gut gepflegt war. Kurz geschnitten wurde der Rasen von schachbrettartig angeordneten Trampelpfaden durchschnitten, allesamt aus altertümlichen Pflastersteinen ohne jede Spur von Unkraut. Die Gräber selbst gab es gar nicht, außer den Grabsteinen existierte kein weiterer Hinweis auf eine Grabstätte, keine Blumen, keine Einfassung, nichts. Das eigentlich Erstaunliche aber waren eben diese Grabsteine. Der Begriff kostbar erschien ihr noch untertrieben. Jeder einzelne Stein beeindruckte nicht durch seine Größe, sondern durch die aufwändig gestalteten Ornamente und das schwere Kreuz.
Sie schritt über die Pflastersteine und bewunderte die Pracht. Auf jedem Stein prangte ein Kreuz aus Stahl, ohne den kleinsten Fleck von Rost wirkten sie wie gerade erst fertig gestellt. Damit bildeten die Kreuze einen reizvollen Kontrast zu den Grabsteinen, denen man trotz der zweifellos guten Pflege das Alter ansah. Sie trat an ein Grab heran, und untersuchte den Stein genauer. Wie die anderen bestand das Material aus rotem Sandstein, ein ungewöhnliches Material für diesen Zweck. Die Verwitterung und ständiges Reinigen hatte deutliche Spuren hinterlassen. Die Ornamente und kleinen Figuren zeigten sich recht zernagt. Bemerkenswert fand sie die Inschrift.
»Maria und Josef«, las sie leise, und eine Zeile tiefer: »Von Jesus für Jesus.«
Stirnrunzelnd ließ sie ihren Blick über die Lettern streifen, die jedoch gaben ihr Geheimnis nicht preis. Auch das Kreuz war in besonderer Weise gestaltet, ansonsten aber völlig schmucklos. Ein einfaches Kreuz, an den Spitzen auseinander gebogen. Als sie weiterging, bemerkte sie etwas, was sie stutzen ließ. Schnell trat sie an einen weiteren Grabstein heran, dann an noch einen. Dann ging sie von Stein zu Stein, trat jedes Mal ganz dicht heran, um sicherzugehen. Schmickler hatte Recht, die Grabsteine ähnelten sich nicht nur äußerlich, auch die Inschrift war gleich.
»Wo ist denn da der Sinn?«
Ausdauernd rieb sie sich die Nase, was sie aber auch nicht klüger machte. Es war so und es blieb so: Auf den Steinen waren die gleichen Namen und der gleiche Satz verzeichnet.
»Na schön«, knurrte sie, »also liegen hier ein Haufen Josefs mit ihren Marien. Wenn das mir die Suche erschweren soll, dann habe ich noch einen Trick auf Lager.«
Sie begann damit, den gesamten Friedhof methodisch zu durchstreifen und sich die Grabsteine anzusehen. Fast am Ende ihrer Suche fand sie, was sie sich erhoffte hatte. Einen Grabstein, dessen Material im Gegensatz zu den anderen Steinen in wesentlich geringerem Umfang verwittert war. Dies musste das Grab sein, das man zuletzt angelegt hatte. Aus ihrer Umhängetasche holte sie einen Notizblock hervor und machte sich eine kleine Skizze, in der sie die genaue Lage dieses Grabes einzeichnete. Weitere Hinweise ließen sich nicht entdecken. Katja verstaute ihre Utensilien und begab sich zurück zur Steinmauer.
»Mhm«, murmelte sie mit einem Rundblick über das Gelände, »wir befinden uns in Deutschland. Ergo existieren Auszeichnungen. Und selbst wenn man alle Aufzeichnungen fälscht oder verschwinden lässt, so ist immer noch eines gewiss: Immer ist nachvollziehbar, wer der Eigentümer eines Grundstückes ist. Schätze, genau das sollte ich jetzt herausfinden.«
Entschlossenen Schrittes ließ sie den merkwürdigen Friedhof hinter sich und strebte dem neuen Ziel entgegen. Dieser Ort weckte einen alten Instinkt in ihr, eigentlich ein Warnzeichen, das sie lange vermisst hatte. Ein ziehendes, dumpfes Unwohlsein in ihrem Bauch. Früher, als sie noch bei der Polizei auf der Jagd nach Mördern gewesen war, hatte sich dieses Gefühl immer dann gemeldet, wenn eine Gefahr herannahte, die man noch nicht sehen konnte. Dass sie heute dieses spezielle Unwohlsein verspürte, brachte ihr wenig Freude. Sie tröstete sich damit, dass dieses Gefühl wie immer ihre Konzentration und Denkfähigkeit verbesserte. Sie würde es brauchen.
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