Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
Da ist dann auch für mich Schluss.«
Unschlüssig betrachtete sie ihre blassrot lackierten Fingernägel und durchdachte die Optionen. »Und das Mädchen? Hast du darüber etwas herausgefunden?«
»Freut mich, dass du noch darauf zu sprechen kommst. Wie ich anfangs erwähnte, bin ich darauf gestoßen, wie das Mädchen heute heißt. Damit konnte ich sie weiterverfolgen. Sie ist nicht adoptiert worden, sondern lebt als Waise in einem Internat.«
Katja reckte sich und massierte sachte ihre Schläfen, während Schmickler die daraus erwachsende Gelegenheit nutzte, um das Relief ihrer Brüste auf dem Pullover zu betrachten. Sie bemerkte es, knurrte kurz und ließ die Arme wieder fallen: »Na schön, dann gibt mir mal die Adressen, die du hast, Friedhof, Internat, etc. Ich werde da mal hingehen.«
»Das trifft sich wirklich gut, weißt du? Die haben nämlich gerade morgen Schulfest. Da kann jeder hingehen, ohne Verdacht zu erregen.« Ein listiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Du kannst denen ja erzählen, du hättest eine große Tochter, für die du ein Internat suchtest, weil du mit der Erziehung nicht mehr … aua!«
Mit ungnädiger Miene klapste sie ihn heftig auf den Hinterkopf. »Tolle Idee, typisch für einen Computer-Sklaven. Ich bin gerade dreiunddreißig, aus Überzeugung ledig und habe auch nicht die Hüften einer Mutter.«
Es erleichterte Schmickler ungemein, dass sie wieder zu ihren normalen Neckereien zurückgefunden hatte, daher riskierte er gerne noch einen Klaps: »Na ja, dass mit den Hüften würde ich nicht unterschreiben … au! Ist doch nicht so schlimm, Männer stehen auf Wuchtbrummen … aua! Ich meine, ein riesiger, halbrunder knackiger Hintern … au, au, schon gut, schon gut.«
Verbissenen Gesichts schlug sie ihm bei jedem Satz heftiger mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, bis er endlich aufgab. Seine Worte ärgerten sie nicht wirklich, sie mochte ihre an sich schlanke, aber doch gerundete Figur. Nur sagen lassen wollte sie sich nichts. Ein Liebhaber hatte ihre Beine einmal als ionische Säulen bezeichnet, woraufhin sie ihn sofort hinausgeworfen hatte. Erst später war ihr klar geworden, dass er sie gar nicht hatte beleidigen wollen.
»Hast du eventuell noch ein paar Informationen für mich, bevor ich dir den vorlauten Hals umdrehe?«, knurrte sie ihn an. Er grinste verlegen zurück: »Ja, aber nur, wenn du nicht schlägst, ich meine das nämlich nicht persönlich. Also, dieses Internat ist katholisch, und zwar richtig katholisch. Träger oder Besitzer - oder wie man das auch nennen mag -, ist ein Verein Flamme und Schwert des Herrn, kurz FSH. Echte Fundamentalisten, wenn du mich fragst, jeden Tag Messe, nach der Schule noch Extra-Schichten in Ethik und Moral. Die Insassen haben bei denen nicht viel zu lachen. Von daher wäre es in der Tat problematisch, wenn du da als allein erziehende Mutter aufkreuzen würdest. Aber ich kann dich gern begleiten, so als Fast-Ehemann.«
Erstaunlicherweise verzichtete sie auf weitere tätliche Verweise. Sie sah ihn nur ernst an und erledigte ihn mit wenigen Sätzen: »Schmickler, ich habe das schon einige Male gesagt, aber heute muss es wohl noch einmal sein: Ich habe Freunde und ich habe Liebhaber. Ich bin mit einem Liebhaber nicht befreundet und ein Freund kann niemals und unter keinen Umständen mein Liebhaber werden. Und du, mein Schönster, bist mein Freund. Alles klar?«
Er seufzte tief auf: »Sicher. Ich will sowieso nicht wirklich.«
Sie lachte nicht unfreundlich: »Du bist schon komisch. Die meisten Männer sagen so was immer erst hinterher. Aber egal, ich muss los.«
Er zwinkerte verwirrt, dann besann er sich auf seinen Auftrag. »Bei der Gelegenheit: Sollen wir nicht mal checken, wer eigentlich dein Auftraggeber ist?«
Abrupt stoppte sie die Bewegung: »Was? Wozu das?«
»Na, überlege doch mal. Bei Licht betrachtet fragt sich doch jeder geistig gesunde Mensch, wieso jemand plötzlich ein Mädchen finden will, das Jahre zuvor mit viel Mühe und unter staatlicher Hilfe unsichtbar gemacht worden ist. Das wirft doch Fragen auf.«
Sie sah erstaunt auf ihn hinunter. Diesen Gedankengang hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Sie kannte ihn als Spezialisten für Informationsbeschaffung. Nun zeigte er, dass er selbständig zu denken vermochte.
»Du bist ja doch den Problemen des täglichen Lebens verhaftet und gar kein Computer-Wurm. Respekt. Nur spielt das gerade keine Rolle. Ich werde für das Mädchen bezahlt, nicht für den Auftraggeber.«
»Katja, so kenne ich dich aber nicht. Du bist doch sonst die Moral in Person. Wenn die Gerechtigkeit auf dem Spiel steht, bist du doch erst richtig gut.«
Sie winkte ab. Alte Kamellen wollte sie jetzt nicht aufwärmen.
»Das ist nicht dein Problem, Schmicki. Ich kümmere mich darum. Später. Also dann.«
Es drängte sich aus ihm heraus, eigentlich wollte er es nicht sagen, die Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Aber er musste weiter kommen, also sagte er es. Eigentlich warf er es hinter ihr her: »Dann zahlen sie dir einen Haufen Geld, damit du deine Skrupel verlierst.«
Die befürchtete Wirkung trat ein, Preuß drehte auf dem Absatz und kam wutentbrannt zurück. »Du kleine Kröte, das hast du nicht umsonst gesagt. Ich mache das, was ich für richtig halte, egal wie viel Geld es dafür gibt. Und du hast nicht das Recht, mir ans Bein zu pinkeln.«
Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr, dieser Kampf musste durchgefochten werden, wollte er sie nicht verlieren. »Also stimmt es. Komm schon, sage laut und deutlich, dass du für das Mindestentgelt arbeitest, und ich entschuldige mich. Wenn du aber verboten viel Geld für einen angeblichen Routinefall bekommst, dann ist etwas faul. Du hast den Instinkt, so was zu erkennen. Benutze ihn!«
Ihre Wut wich einer zunehmenden Verwirrtheit. Wieso gebärdete sich dieser Kerl auf einmal so … erwachsen? Wieso vermochte sie diese Gedanken über den Auftrag bislang nicht zu Ende zu denken? Andererseits mochte sie auch nicht zugeben, dass er womöglich Recht hatte. Kurz entschlossen herrschte sie ihn an: »So. Das willst du Samariter also für mich herausfinden? Na schön, hier ist der Name. Und wenn du nichts findest, erwarte ich eine dicke Entschuldigung. Mindestens fünfzig Liter. Ist das klar?« Sie kritzelte den Namen auf ein Stück Papier und rauschte in demonstrativ stolzer Haltung aus der Wohnung.
Draußen lehnte sie sich an die Wand und schlang die Arme um ihren Bauch. Irgendwie hatte die Auseinandersetzung bei ihr ein Licht eingeschaltet, das lange nicht gebrannt hatte. Das Gefühl, aus einem Traum erwacht zu sein, machte sie ängstlich. In was war sie da hinein geraten?
3
Drinnen lehnte Schmickler an der Wand und rieb sich das Gesicht. Er kannte seine Gefühle für Katja und war sich seiner Zwänge bewusst. Dennoch hatte er noch nie so stark die Angst gespürt. Die Angst, dass sie eines Tages nicht mehr neben ihm sitzen würde. Nur um die dunklen Gedanken abzuschütteln, beschäftigte er sich mit den Dingen, von denen er etwas verstand, seinen Rechnern. Nachdem er eine halbe Stunde so verbracht hatte, fühlte er sich stark genug, um die nächste Aufgabe zu bewältigen. Er machte den Anruf mit flauem Gefühl im Bauch, und bereits eine halbe Stunde später stand der Angerufene vor der Tür. Schmickler erzählte ihm knapp, wie das Gespräch mit Preuß verlaufen war, und vermied es, von den Fakten abzuweichen. Sein Gast hörte sich alles schweigend an und ergriff schließlich das Wort: »Nun Jacques, dann zeigt mir doch, was diese Frau aufgeschrieben hat.«
Nachdem er gelesen hatte, meinte er mit einem Unterton in der Stimme, die Schmickler erschauern ließ: »Ihr kennt den Namen nicht? Nun, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der Auftraggeber hat seinen Platz in unmittelbarer Nähe seines Zieles. Wir sollten drei Kreuze schlagen, da offenbar das Unvermögen dieses Menschen seine Triebe noch übertrifft. Was für ein Glück für uns. Wie konnten wir nur so blind sein? Nun denn. Durch Eure Hilfe haben wir erstmals seit langem einen Hebel in die Hand bekommen, uns des Feindes für eine Weile zu entledigen. Dies wird Euch Eurem Ansinnen ein gutes Stück näher bringen. Aber warum seid Ihr so leichenblass?«
Voller forschender Anteilnahme ruhte der Blick des Gastes auf Schmickler. Der wand sich und erwiderte kleinlaut: »Mich hat beinahe der Mut verlassen. Gut, dass sie nicht gefragt hat, wie ich eigentlich diese Informationen beschaffen konnte. Sie fragt sonst schon mal. Ich hätte