Elementa. Daniela Kappel
beiden Augenbrauen wackelte und breit grinste. So sehr Daria sein Gehabe auch in Verlegenheit brachte, war sie trotzdem froh, ihn wieder so zu erleben, wie sie ihn kannte. Der unreife Spott war ihr allemal lieber als seine Niedergeschlagenheit von vorhin.
Auch Vincent war es offenbar nicht entgangen. Er schüttelte zwar den Kopf, doch seine Lippen waren zu einem Lächeln verzogen.
Dr. Renson ließ gerade Kopien seiner Unterlagen herumgehen, als der Uniformträger seinen Platz am imaginären Rednerpult einnahm.
„Für die wenigen, die mich noch nicht kennen, mein Name ist General Adam Forbes.“ Einige Männer auf der linken Tischseite nickten dem General hochachtungsvoll zu. Daria erkannte ein paar der Lehrer aus der kolonieeigenen Schule, doch die meisten waren ihr unbekannt.
„Ich habe für diese Unternehmung fünfzig meiner besten Soldaten rekrutiert. Offiziell sind wir bei einem Einsatz in den südlichen Kriegsgebieten gefallen. Es sollte also niemand auf die Idee kommen, Fragen zu stellen.“
Sollte. Dieses Wort machte Daria Sorgen. Sie mochte sich nicht ausmalen, was mit ihnen geschehen würde, wenn die Auserwählten tatsächlich ihr Versteck ausfindig machten.
„Alle Spuren der untergebrachten Personen wurden vernichtet. Was den Staat betrifft, hat es sie nie gegeben“, erklärte der General.
Daria sah nacheinander in die Gesichter ihrer Freunde, die wohl ebenso wie sie gerade das Ausmaß dessen begriffen, was das für sie bedeuten würde. Sie hatten allesamt ihr bisheriges Leben, ja sogar ihre Vergangenheit verloren. Was die Zukunft für sie bereithielt, wussten sie nicht.
Jetzt konnte sie auch Vincents Reaktion von vorhin besser nachvollziehen. Er hatte gewusst, was passieren würde.
Doch all das diente einem unsagbar wichtigen Zweck. Für die meisten hier ging es um die Erfüllung der Prophezeiung. Für Daria, alle, die mit ihr zu tun gehabt hatten, und für ihr ungeborenes Kind aber ging es um das nackte Überleben.
„Das Kraftwerk ist seit gestern verstaatlicht und wir haben einige falsche Fährten gelegt. Demnach werden die Anhänger der Auserwählten in allen Himmelsrichtungen suchen. Nur nicht hier.“
„So der Plan“, brachte sich ein kleiner Mann mit Halbglatze und einer dickglasigen Hornbrille ein.
„So der Plan“, bestätigte General Forbes ungerührt.
„Und wie lange sollen wir Ihrem Plan nach hier unten hausen? Schlimm genug, dass ich in diese Sache mit hineingezogen wurde. Wie Sie sehen, bin ich nicht mehr der Jüngste, und ich habe ganz bestimmt nicht vor, den Rest meines Lebens hier zu verrotten. So interessant ich diese Vereinigung auch finden mag“, sagte der Mann und verschränkte demonstrativ seine Arme vor der Brust.
„Das ist Peter Sinklaire, ein begnadeter Physiker und einer der ältesten Freunde meines Vaters. Er hat ihn kurz vor seinem Tod kontaktiert. Es ging um Marias Kräfte“, wisperte Vincent. Bei der Erwähnung seines Vaters huschte ein Schatten über sein Gesicht.
Darias Innerstes krampfte sich zusammen. Alarik hatte ihr also doch geglaubt. Die stete Wärme in ihrem Leib nahm zu und ihre Haare wurden von einem leichten Lüftchen verweht.
Reiß dich zusammen!, mahnte sie sich. Es war ihr schon ewig nicht mehr passiert, dass sie ihre Kräfte nicht richtig unter Kontrolle hatte. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch ungewollt Blitze in die Runde schicken.
Vincent und ihr Vater musterten sie besorgt, doch gleich darauf zog wieder Peter Sinklaire ihre Aufmerksamkeit auf sich. Offenbar hatte der General etwas gesagt, das Sinklaire nicht gefiel.
„Was sagt denn unser geschätzter Vorsitzender dazu?“, wollte er mit herausforderndem Tonfall wissen.
Daria blickte sich um. Wer war denn der Vorsitzende?
Zu ihrer Verblüffung warf Vincent seiner Familie einen langen Blick zu und erhob sich dann stockend von seinem Stuhl. Er nahm General Forbes Platz ein. Einige Zeit lang sah er nur schweigend in die Runde.
„Wir können uns nicht ewig hier verstecken oder warten, bis …“ Einen kaum merklichen Moment zögerte Vincent, bevor er mit umso festerer Stimme weitersprach. „… mein Sohn diesen Kampf für uns führt.“
Erneut erhob sich ein Raunen in den Reihen der Anwesenden.
„Die Bedrohung ist jetzt, da die Prophezeiung sich erfüllt, umso realer. Die Auserwählten werden nicht eher Ruhe geben, bis nicht auch der Letzte von uns gefallen ist. Wir müssen die einzige Chance nutzen, die wir haben, und sie überraschen.“
„Meinst du, wir sollen sie angreifen?“, fragte jemand ungläubig und das Raunen wurde lauter.
„Genau das will ich damit sagen.“ Vincents Stimme erhob sich über das Gemurmel und alle im Raum verstummten.
„Zeig es ihnen“, sagte Sophia leise, aber betont.
Vincent richtete seinen Blick auf sie, nickte und griff dann nach Darias Hand. Er zog sanft daran und ehe sie sich versah, stand sie auch schon neben Vincent und im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit.
Sie hatte noch nicht einmal den Schock verdaut, dass Vincent die oberste Position der Garde bekleidete und auch nicht, wie ehrfurchtseinflößend er sich vor all diesen Menschen gab.
„Wir müssen sie spüren lassen, wofür sie kämpfen sollen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Daria nickte. Wenn Vincent die Stärke aufbrachte, sich nicht nur diesen Leuten, sondern allem zu stellen, was sie erwarten würde, dann stand sie zweifelsohne an seiner Seite.
Sie hob ihre Hand und Vincent verflocht seine Finger mit den ihren. Das Gefühl, welches sich aufs Neue in ihr ausbreitete, war unbeschreiblich. Jetzt begriff sie auch, was sie da wahrnahm. Es war die Präsenz aller vier Elemente, vereinigt in ihnen beiden. Kaum einen Atemzug später strömte die Energie durch ihre Adern und bahnte sich ihren Weg nach außen. Die Deckenlampe flackerte und die Luft im Raum wurde feucht. Vincents Haut wurde von einem sanften Glühen erhellt. Das Licht spiegelte sich in den aufgerissenen Augen der Anwesenden.
Vincent ließ seine Hand sinken und drehte sich wieder der Tafel zu. „Es ist der einzige Weg“, verlautete er und nun widersprach niemand mehr.
Er ließ noch ein paar bedeutsame Augenblicke vergehen, ehe er Daria zu ihrem Platz zurückbegleitete und dann erneut das Wort erhob. „Alle, die hier sind, werden ihren Beitrag dazu leisten, dass der Angriff ein Erfolg wird. Wir haben Informationen über die Auserwählten, ihre Anhänger und ihr Versteck aus erster Hand. Es befinden sich unter uns viele helle Köpfe und im Kampf erprobte. Jeder trägt bei, was er kann, damit wir bestmöglich gewappnet sind. Es gibt nur ein Problem, das wir vorher beheben müssen.“
Alle sahen ihn erwartungsvoll an.
„Unseren Informationen zufolge sind wir trotz der militärischen Unterstützung weit in der Unterzahl. Es wird nicht reichen zu trainieren. Wir brauchen unbedingt mehr Mitstreiter.“
Er ließ diese Ankündigung einen Moment lang sacken, denn er wusste, was er als Nächstes zu sagen gedachte, würde einen kleinen Tumult auslösen.
„Ich selbst werde mich auf die Suche nach Elementträgern machen, die sich für unsere Seite gewinnen lassen“, schloss er und die erwartete Reaktion blieb nicht aus.
Sophia und seine Mutter sprangen gleichzeitig auf und Daria war bleich geworden. Es schmerzte ihn, sie so zu sehen. Doch er hatte jedes seiner Worte ernst gemeint. Sie waren viel zu wenige, um es mit der Übermacht der Auserwählten aufnehmen zu können, und ein Überraschungsangriff war ihre einzige reelle Chance.
Nun prasselten aus verschiedenen Richtungen Gegenargumente auf ihn ein. Er entkräftete eines nach dem anderen, bis schließlich nur noch Sophia etwas zu sagen wusste: „Aber warum musst es ausgerechnet du sein?“
„Wer außer mir wäre in der Lage, die Wahrheit entsprechend zu bezeugen. Wir können es uns nicht leisten, auf uns aufmerksam zu machen. Jeder, den wir aufsuchen, muss uns folgen. Diese Aufgabe kann kein anderer erfüllen“, bekräftigte er.
„Doch.