Elementa. Daniela Kappel
zeigt eindeutig eine Befruchtung an. Faszinierend, dass dieser Junge – Liam, nicht wahr? - es bereits mit Hilfe seiner Fähigkeiten wahrnehmen konnte. Ihn würde ich auch nur allzu gerne untersuchen.“
„Das kann ich mir vorstellen“, grummelte Vincent.
Dr. Renson schenkte ihm einen ernsten Blick, kommentierte seine Meldung aber nicht, sondern zog stattdessen einen rollbaren Paravent aus einer Ecke des Zimmers vor die Patientenliege.
Nun konnten Vincent und Sophia Daria nicht mehr sehen.
„Was machen wir denn jetzt noch?“, fragte Daria unsicher.
Sie wusste ja nicht sonderlich viel über Schwangerschaften oder auch Elementträger und ganz bestimmt noch weniger, wie Schwangerschaften von Elementträgern so abliefen. Doch das Wenige, was ihr aus dem profanen Biologieunterricht noch erinnerlich war, ließ sie schwer daran zweifeln, dass man schon viel von dem Baby sehen würde.
„Wir machen einen Ultraschall“, erwiderte Dr. Renson seelenruhig.
„Aber was erwarten Sie denn zu sehen?“, wollte Vincent von der anderen Seite des Paravents her wissen und sprach damit unverblümt das aus, was Daria dachte.
„Nichts. Es gehört schlichtweg zur Untersuchung. Ich erhebe einen gynäkologischen Status“, antwortete der Arzt geduldig, bevor er sich an dem Ultraschallgerät zu schaffen machte.
Daria war schon einmal beim Gynäkologen gewesen und hatte daher eine gewisse Vorstellung, was in etwa passieren würde, doch Dr. Renson wirkte irgendwie beunruhigt auf sie.
„Was sehen Sie denn?“, fragte sie zaghaft.
Der Arzt kniff die Augen zusammen und fixierte angestrengt den Bildschirm.
„Nichts. Aber nicht das Nichts, das ich erwartet habe. Ich kann hier keine Schleimhautstrukturen oder sonst etwas erkennen. Es sieht im Schall irgendwie aus wie …“ Er überlegte kurz. „Als würde ich einen Stein schallen.“
„Was soll denn das bedeuten?“ Und „Was bedeutet das?“, sagten Sophia und Vincent zeitgleich. Daria schwieg. Sie konnte das angenehme, warme Kribbeln in ihrem Leib nicht mit einem Stein in Einklang bringen.
„Nun“, begann Dr. Renson und kratzte sich bedächtig am Ohr. „Wir haben es hier mit einer nie dagewesenen medizinischen Sensation zu tun.“
Daria schluckte und Vincent, der nun hinter den Paravent an ihre Seite trat, knirschte hörbar mit den Zähnen. Auch ihm schien die Wortwahl des Arztes nicht zu gefallen.
„Ist denn mit dem Baby alles in Ordnung?“, schaltete sich Sophia ein. Sie hatte vor dem Ultraschallgerät Stellung bezogen und studierte eingehend die Aufnahme auf dem Bildschirm.
„Davon gehe ich aus“, erklärte Dr. Renson.
Daria sah unsicher zu Vincent auf. Dieser drückte liebevoll ihre Hand.
Ein Klopfen erklang und sofort schritt Sophia zur Tür. Sie öffnete sie nur einen Spaltbreit und wechselte mit gesenkter Stimme ein paar Worte mit Jemandem.
„Zieh dich an, Daria. Die letzten Mitglieder sind eingetroffen, die Sitzung beginnt gleich“, meinte Sophia und verließ mit einem Nicken, das an Vincent gerichtet war, den Raum.
„Hör zu.“ Vincent hielt ihre Hand und manövrierte sie durch die Gänge.
Dr. Renson folgte ihnen schweigend, einen Aktenordner unter dem Arm.
„Die Garde der Schwestern ist eine uralte Vereinigung von Elementträgern. Die meisten von ihnen bestehen darauf, Nachkommen der Schwestern, also der Töchter des einstigen Elementaren zu sein. Sie bekleiden hohe Ämter innerhalb der Organisation und haben Stimmrecht. Die Sitzungen laufen aber lockerer ab, als du jetzt vielleicht denkst. Klar sind einige aufgeblasene Schnösel unter ihnen, doch die meisten hängen wirklich mit Herz und Seele an der Sache“, erklärte Vincent schnell.
Die Sache.
„Die Prophezeiung“, stellte Daria fest.
„Ja. Einige der Mitglieder kennst du bereits und du weißt auch, dass sich Menschen unter ihnen befinden. Wir haben alle dasselbe Ziel.“ Ein noch nie dagewesenes Glitzern lag in Vincents Augen.
Wir. Daria begann langsam zu realisieren, welche Veränderung Alariks Tod und natürlich ihre Schwangerschaft in Gang gebracht hatte. Vincent, der nie etwas von der Prophezeiung wissen wollte, schien sich nun nicht nur seinem Schicksal zu ergeben, er wirkte entschlossener denn je.
„Eines darfst du nie vergessen.“ Seine Stimme war sanft, als er Daria an sich zog, ihr Gesicht in die Hände nahm und ihr direkt in die Augen sah. „Es sind wir, die zählen. Du, ich und …“, sein Blick wanderte nach unten. Er küsste Daria auf die Stirn und ergriff dann wieder ihre Hand, um sie hinter sich durch eine Tür zu ziehen.
Die leisen Gespräche im Raum verstummten.
Als Dr. Renson die Tür schloss, war das Geräusch unangenehm laut in Darias Ohren. Ihr Herz klopfte in schnellem Takt. Unzählige Augenpaare waren auf sie und Vincent gerichtet. Er führte sie weiter an der Hand hinter sich her zum gegenüberliegenden Ende des langen Tisches.
Die Wände des weitläufigen Raumes waren mit demselben dunklen Holz vertäfelt, aus dem auch das Mobiliar gemacht war. Reihum standen uniformierte Männer.
Daria nahm erschrocken wahr, dass sie alle mit Maschinengewehren bewaffnet waren. Dieser Anblick verdeutlichte ihr erneut die Bedrohung, der sie alle entgegensahen.
Tatsächlich kannte Daria die meisten der Anwesenden, die an der Tafel Platz genommen hatten. Da waren natürlich ihre Freunde und deren Familien. Liam, Ben und seine Eltern saßen neben Izzys Mutter, die ihrem Sohn eine Hand um die Schulter gelegt hatte. Daria kannte Izzys kleinen Bruder nur flüchtig. Steve konnte ein richtiger Quälgeist sein, darum hatte Izzy ihn immer gleich verscheucht, wenn Daria bei ihr zu Besuch gewesen war. Jetzt jedoch wirkte er keineswegs zu Unfug aufgelegt. Er sah sich eingeschüchtert im Raum um und drückte sich an seine Mutter. Neben ihm saßen Izzy und Raffael. Ihr Anblick, wie sie dicht zueinander gerückt waren, linderte zumindest die Sorgen, die sie sich um Raffael gemacht hatte.
Die Frau zwischen Lea und Leo, sie musste wohl ihre Mutter sein, verstärkte hingegen das ungute Gefühl in Daria. Ihr eisiger, missbilligender Blick verfolgte sie und Vincent durch den Raum. Am Kopfende der Tafel hatten sich Sophia, Silvia, Vincents Großvater, Darias Vater und ein grimmig dreinblickender Mann in Uniform mit unzähligen Abzeichen auf der Brust positioniert.
Wo war bloß ihre Mutter?, fragte sich Daria besorgt. Die Garde hatte sie doch nicht etwa eingesperrt? Sie suchte den Blick ihres Vaters. Dieser wusste sofort, was in ihr vorging. Er nickte kaum wahrnehmbar nach rechts, und als Daria seiner Geste folgte, erblickte sie ihre Mutter in einer Ecke, wo sie an die Wand gelehnt von zwei Uniformierten flankiert wurde.
Erleichtert stieß Daria die Luft aus und wurde sanft von Vincent auf einen freien Stuhl gedrückt. Er nahm direkt neben ihr Platz.
Dr. Renson, der ihnen durch den Raum gefolgt war, hielt vor der freien Stelle am Kopfende des Tisches an und legte die Unterlagen, die er mitgebracht hatte, vor sich ab.
Nun richteten sich alle Blicke auf den Arzt.
„Ich kann nur bestätigen, was die fantastischen Fähigkeiten dieses jungen Mannes bereits erahnen ließen“, er deutete auf Liam.
Die plötzliche Aufmerksamkeit schien diesem sichtlich unangenehm zu sein. Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
„Vincents Kräfte, denen bislang kaum Beachtung geschenkt wurde, …“ Bei diesen Worten richtete er seinen ernsten Blick auf Silvia und Sophia. „… scheinen ein tiefgehendes Potenzial zu besitzen. Meine Untersuchungen haben ergeben, dass Darias Verletzungen der inneren Organe, allen voran die an ihrer Gebärmutter, welche nach den mir vorliegenden Befunden …“ Er holte einen zusammengehefteten Papierstapel aus seinem Ordner hervor. „… irreparable Schäden aufwies, zur Gänze regeneriert sind. In einfachen Worten: Vincents Kräfte haben Daria geheilt.“
Ein