Elementa. Daniela Kappel

Elementa - Daniela Kappel


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Tür zu seiner Linken und der andere manövrierte ihn auf einen von vier Stühlen, die rund um einen blank polierten Metalltisch aufgestellt waren. Die beiden Männer postierten sich links und rechts neben der Tür und nur einen Moment später trat jemand zwischen den beiden hindurch. Vincent.

      Er sah fürchterlich aus und es erstaunte Raffael sehr, dass er sich nach Marias Tortur überhaupt noch aufrecht halten konnte. Dieser Kerl war offenbar zäher, als man ihm ansah.

      Vincent wechselte ein paar Worte mit den Uniformierten. Diese warfen sich unschlüssige Blicke zu und einer der beiden erwiderte etwas, dass Raffael nicht richtig verstehen konnte.

      „Ich habe gesagt, dass ich alleine mit ihm sprechen werde“, gab Vincent schneidend zurück, woraufhin sich beide Uniformträger mit einem knappen Nicken verdrückten. Vincent war anscheinend nicht nur hart im Nehmen, sondern innerhalb dieser Mauern auch tonangebend.

      Er ließ sich mit einem schmerzerfüllten Grunzen auf den Stuhl gegenüber von Raffael sinken. An seiner Stirn prangte eine blutunterlaufene Schramme und die Augenbraue direkt darunter war ziemlich geschwollen. „Du wolltest mich umbringen“, sagte Vincent gerade heraus. Sein nüchterner Tonfall und der intensive Blick, mit dem er Raffael bedachte, riefen unangenehme Gefühle wach.

      Ja, er hatte ihn töten wollen. Irgendwie. Und soweit er wusste, war er da nicht der Einzige gewesen. Doch so empfand er schon lange nicht mehr, wenn er ehrlich zu sich war.

      Vincent schnaubte leise, während sich seine grünen in Raffaels dunkelbraune Augen bohrten. „Und doch hast du mich gerettet. Mich, Daria und …“, er ließ den Satz in der Luft hängen, aber Raffael wusste auch so, wen oder was er meinte. Das Baby.

      Vincent löste seine vor der Brust verschränkten Arme und streckte den rechten Raffael über den Tisch hinweg entgegen.

      Raffael blinzelte ein paar Mal und überlegte, was hier eigentlich los war. Zögerlich ergriff er Vincents ausgestreckte Hand und erwiderte deren Druck.

      Als Vincent seinen Arm wieder zurückgezogen hatte, lehnte er sich nach vorne, als würde er Raffael ein Geheimnis anvertrauen wollen. Doch, anstatt zu flüstern, sprach er klar und mit einer Inbrunst, bei der sich Raffael die Härchen auf den Armen aufstellten.

      „Es ist mir egal, woher du kommst, wie du aufgewachsen bist, wem du gefolgt bist oder wer deine Familie war.“

      Seine Worte verursachten ein dumpfes, schmerzhaftes Pochen in Raffaels Brust.

      „Wir alle haben gelitten und wir beide wissen, der Kampf hat erst begonnen. Ich würde es verstehen, wenn du dich da lieber raushalten willst. Doch sei dir einer Sache gewiss: Wenn du bei uns bleibst und an unserer Seite kämpfst, dann bist du nicht allein. Du gehörst zu uns und wir kümmern uns umeinander.“ Um Raffael zu signalisieren, wie ernst er es meinte, nickte Vincent einmal bedeutsam.

      Raffael fixierte ihn einige Zeit lang. Nur Vincents unregelmäßiger Atem war zu hören. Schließlich nickte auch er.

      Wie von allein trugen Vincents Beine ihn den Gang entlang. Die rauen Betonwände schluckten das Geräusch seiner Sohlen. Jeder Schritt schmerzte. Jeder Atemzug brannte in den Lungen. Jedes Mal, wenn er an einer der spärlichen Wandleuchten vorbeilief, versetzte ihm das Licht einen Stich in seinem pochenden Schädel. Trotzdem ging Vincent immer weiter, schlängelte sich durch die Eingeweide des Bunkers, mit Tränen in den Augen und den Kopf voller Erinnerungen.

      Es war Jahre her, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Sein Vater hatte Derek und ihn schon als Kinder gelegentlich mitgenommen, damit sie sich mit den Räumlichkeiten vertraut machten. Sie waren durch die endlosen Gänge getollt, hatten sich in den Lagerräumen versteckt und ihren Vater so regelmäßig zur Weißglut getrieben.

      Vincent stieß die Tür zum Trainingsraum auf und marschierte schnurstracks zur Schießanlage. Aus einem der raumhohen Eisenregale griff er sich eine Pistole und nahm vor der Markierung des Trainingskanals Aufstellung. Gut zehn Meter vor ihm hing ein Roll up von der Decke, welches drei ineinanderliegende Kreise zeigte. Vincent visierte sein Ziel an und drückte, ohne zu zögern, ab. Da er keinen Gehörschutz trug, traf ihn der Schall unangenehm laut. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, wie ein Besessener das ganze Magazin leer zu ballern.

      Schwer atmend knallte er die Pistole auf einen Metalltisch und wirbelte herum. Von einer kaum zu bändigenden Unruhe getrieben durchquerte er den Kraftraum und machte vor einem der Boxsäcke halt. Er holte aus und ließ seine Fäuste in einem unsteten Rhythmus auf das glatte Leder prasseln. Erst als er schweißnass und völlig außer Atem war, hörte er auf. Die Haut auf seinen Knöcheln war aufgeplatzt und blutete leicht. Doch ebenso wie seine anderen Verletzungen war ihm das herzlich egal. Der einzige Schmerz, der ihm wirklich zu schaffen machte, war der des Verlustes und der Angst.

      Als Vincent die Tür öffnete, unterbrach er damit eine hitzige Debatte zwischen Sophia und seiner Mutter. Beide richteten ihre Blicke auf ihn. Der gequälte Ausdruck in den Augen seiner Mutter intensivierte sich, als sie seine geschundenen Knöchel entdeckte.

      Sophia hingegen wirkte eisern und entschlossen. Wie sehr sich seine Tante in den wenigen Stunden, seit ihr Bruder ermordet worden war, verändert hatte. Von ihrem stets so liebevollen Wesen war nicht mehr viel zu spüren. Doch vielleicht musste sie sich auf diese Weise verhalten, um das alles durchzustehen, überlegte Vincent. Er machte ihr deshalb jedenfalls keinen Vorwurf, was auf seine Mutter allerdings nicht zuzutreffen schien.

      Als Sophia zu einem „Sei doch vernünftig, Silvia“, ansetzte, unterbrach sie ihre Schwägerin barsch.

      „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Er war dein Bruder. Er hat es verdient, eine vernünftige Beerdigung zu erhalten.“ Tränen glänzten in Silvias Augen und ihre Hände zitterten.

      Vincents Magen krampfte sich zusammen.

      „Ja, du hast recht, trotzdem ist es unmöglich. Wie du genau weißt, können wir den Schutz des Bunkers nicht verlassen. Wo also willst du ihn begraben?“, zischte Sophia.

      Silvia erwiderte nichts. Ihre Lippen waren zu einem schmalen, blassen Strich zusammengepresst und ihr Brustkorb hob und senkte sich schwer.

      „Wir werden Raffael bitten, seinen Körper zu versteinern“, hörte Vincent sich sagen. Er wusste nicht, woher er die Ruhe nahm, die in seiner Stimme lag, oder die Kraft, an seine Mutter heranzutreten und sie in eine rasche Umarmung zu ziehen.

      Sophia hatte sich erhoben und nickte ihrem Neffen steif zu. „Ich werde alles veranlassen“, erklärte sie, ohne Silvia noch einmal anzusehen. „Du solltest dich ausruhen. Der Arzt wird in den nächsten Stunden eintreffen, ebenso wie der Rest der Garde. Es wird eine Versammlung geben.“ Damit drehte sie sich um und ließ Vincent mit seiner Mutter allein.

      Ein Seufzen entwich ihrem Mund und ein dünnes Rinnsal Tränen glitt über ihre bleichen Wangen. Vincent konnte sich nicht erinnern, seine Mutter jemals so verletzt gesehen zu haben. Den Tod ihres Sohnes hatte sie offenbar noch gut kompensieren oder vielmehr verdrängen können. Doch nun war ihre ganze Welt endgültig aus den Fugen geraten.

      Vincent fühlte ihren Schmerz, bemühte sich jedoch weiterhin, die Fassung zu bewahren.

      Seine Mutter aber kannte ihn besser als jeder andere Mensch und wusste, wie es in ihm aussah. Mit einer eiligen Handbewegung wischte sie ihre Tränen fort und schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Wann bist du nur so erwachsen geworden?“, fragte sie mit Wehmut in der Stimme.

      Vincent schnaubte frustriert. „Wann war ich jemals ein normales Kind?“, erwiderte er grimmig.

      Der Ausdruck, der daraufhin auf dem Gesicht seiner Mutter erschien, war schlimmer als der Schmerz. Sie nickte langsam.

      „Du hast recht. Du warst immer schon zu Großem bestimmt. Aber fühlst du dich dem Ganzen wirklich gewachsen? Ich meine, es gibt viele andere, die …“

      Vincent brachte seine Mutter mit einer harschen Handbewegung zum Schweigen.

      Sie schluckte, sichtlich irritiert von seiner Reaktion.

      „Ich weiß, wo mein Platz ist. Ich wusste es schon immer. Auch wenn ich es jahrelang


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