Tod du Fröhliche. Martin Cordemann

Tod du Fröhliche - Martin Cordemann


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Haustieren, Autos; den Nachmittag über legte ich meine Beine auf den Schreibtisch und döste vor mich hin. Es passierte herzlich wenig. Genauer gesagt: Nichts!

      Fast die ganze Woche über passierte nichts. Ein paar Kinder vermissten ein paar Haustiere, ein paar Fahrräder und ein paar Spielzeuge; ich vermisste meine Jugend! Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte sie abgegeben und wahrscheinlich war das eine Akte, die man bald schließen und zum Vermodern zu den anderen tun würde. Was – tat – ich – hier? Außer herumzusitzen und Bagatellfälle aufzunehmen? Weiß zog bei all diesen Meldungen die Stirn kraus und schickte die Suchmeldungen raus. Die meisten Sachen fanden sich von selbst wieder, außer natürlich meine Jugend und mein Elan, die unwiederbringlich verloren schienen.

      Es war Sommer, es war warm, es wurden viele Fahrräder geklaut. Die fanden sich ohnehin in den wenigsten Fällen wieder ein, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Weiß erzählte von einer Bande Fahrraddiebe, die en gros vor Schwimmbädern Räder geklaut und sie dann ebenso en gros auf Flohmärkten feilgeboten hatten. Dort hatte man sie dann erwischt, waren wohl doch etwas zu kaltschnäuzig gewesen. Die Fahrraddiebstähle häuften sich. Die Suchmeldungen, die erfolglos abgeschlossen wurden, desgleichen. Es war ein sehr lehrreicher Dienst.

      Dann betrat eine Frau unser wohl-kaum-als-Büro-zu-bezeichnendes-Zimmer. Weiß war gerade in eins seiner Kreuzworträtsel vertieft, also kam sie zu mir.

      „Was kann ich bitte für Sie tun?“ fragte ich freundlich.

      Schüchtern setzte sie sich und holte ein Photo aus ihrer Handtasche. „Ich suche meinen Mann!“ In diesem Moment bemerkte Weiß, dass wir Besuch hatten und löste einen (Bruch)Teil seiner Aufmerksamkeit von seinem Kreuzworträtsel. Sie reichte mir das Photo, auf dem sie zusammen mit ihrem Mann zu sehen war. „Das ist er, das auf dem Bild.“

      Ich nickte. „Seit wann ist er verschwunden?“

      „Seit zwei Tagen.“

      „Ist es nicht vielleicht möglich, ich meine, dass er so etwas wie eine Sauftour macht oder so?“

      „Nein, so etwas tut mein Mann nicht!“

      Weiß verdrehte die Augen und machte sich an sein Kreuzworträtsel. Das hatte er schon tausendmal gehört, also nahm ich das Protokoll auf, Name, Alter, usw.

      „Wo war Ihr Mann, bevor er verschwunden ist?“

      „Bei einem Freund.“

      „Könnten Sie mir bitte auch Name und Adresse des Freundes geben?“

      Sie tat es und ging. Wir schickten eine Suchmeldung raus. Weiß schüttelte den Kopf. „Immer die alte Geschichte. In ein paar Tagen wird er wieder auftauchen.“

      „Wer?“ Horstmann hatte das Büro-das-keins-war betreten; er schwitzte, wie wir alle. Ich reichte ihm die Vermisstenanzeige. Er nickte. „Nett. Wahrscheinlich Routine.“

      „Tja“, ich erhob mich. „Glauben Sie, dass Sie den Ansturm von Anzeigen auch ohne mich bewältigen können?“

      Horstmann sah mich fragend an. „Sie wollen doch nicht schon Feierabend machen?“

      „Nein, nur eine... Routineuntersuchung!

      „Oh nein, haben Sie sowas schon mal gemacht?“

      „Es ist doch nur ein Routinefall, was kann ich da schon falsch machen?“

      „Naja“, Horstmann lächelte. „Es könnte ja ausnahmsweise doch was ernstes sein und Sie werden erschossen oder so. Oder Sie erschießen jemanden, noch schlimmer!“

      „Noch schlimmer?

      „Also, genauso schlimm! Aber... dann wäre die Abteilung wieder unterbesetzt!“

      „Keine Sorge, ich habe meine Waffe immer da, wo ich sie brauche!“ Ich deutete auf meinen Schreibtisch. „Damit sie mir niemand stiehlt!“

      Mein Chef nickte und meinte: „Okay, versuchen Sie Ihr Glück. Aber ich sage Ihnen, Sie werden nicht viel erreichen!“

      Das nahm ich auch nicht an, aber ich musste einfach etwas tun, musste raus an die frische Luft, weg aus diesem stickigen Zimmer-das-irgendein-Witzbold-als-Büro-bezeichnet-hat und dorthin, wo ich das Gefühl hatte, zumindest ein bisschen zu tun. Ich hatte mir das Bild von dem Mann genau eingeprägt und machte mich auf den Weg.

      Der merkwürdige Freund, bei dem sich Claude Müller, der Mann, den ich suchte, zuletzt aufgehalten hatte, öffnete erst nach dem dritten Klingeln. Er empfing mich im Unterhemd, eine halbgerauchte Zigarette hing aus seinem linken Mundwinkel. Ich lächelte freundlich und sagte: „Guten Tag, mein Name ist Rhode!“

      „Ich kaufe nichts!“

      „Ich auch nicht.“

      Das verwirrte ihn.

      „Ich suche Claude Müller.“

      In seinen Augen glitzerte es für den Bruchteil einer Sekunde, vielleicht fiel aber auch nur in diesem Moment Sonnenlicht unglücklich hinein.

      „Fragen Sie seine Frau.“

      „Das ist eine sehr gute Idee.“ Er wollte die Tür schon schließen. „Aber die weiß es auch nicht.“

      „Warum soll ich es dann wissen?“

      „Hmm, glauben Sie an das schlechte im Menschen?“

      „Nein.“

      „Ich aber. Sehen Sie, seine Frau sagte mir, er wäre als letztes mit Ihnen zusammen gewesen. Seitdem hat er sich nicht mehr zu Hause blicken lassen.“

      „Er ist ein freier Mensch.“

      „Ohne Zweifel, aber seine Frau macht sich Sorgen.“

      „Sind Sie Priester? Oder Bulle?“

      „Nein, äh, habe ich das nicht gesagt?“

      „Nein, haben Sie nicht. Warum sind Sie eigentlich hinter Claude her?“

      „Verzeihung, aber ich bin nicht hinter ihm her, ich suche ihn lediglich, damit er seinen Preis...“ Ich unterbrach mich, als hätte ich schon zu viel gesagt.

      „Preis?“ Das machte ihn neugierig. „Was für ein Preis?“

      „Naja, eigentlich sollte ich Ihnen ja nichts darüber sagen, aber wenn Sie ihn doch kennen... Claude Müller hat bei der Glückslotterie 2000 den 2. Preis gewonnen.“

      „Was ist das für ein Preis?“ Er tat möglichst uninteressiert.

      „Oooooch, nichts besonderes“, meinte ich, als wäre es ein Klacks. „Nur ein nagelneues Sportcoupé.“ Ihm gingen fast die Augen über. „Tjaa, leider wird Herr Müller jetzt wohl nicht mehr in den Besitz dieses Preises kommen, da die Frist bald abgelaufen ist. Ähm, dürfte ich wohl bitte mal Ihre Toilette benutzen?“

      Missmutig ließ er mich rein.

      „Nur zum Händewaschen!“ Ich sah mich um, fand das Telefon und ehe er sichs versah hatte ich, ohne sein Wissen selbstverständlich, das Kabel herausgezogen. Da es verdeckt hing, würde er nicht sofort drauf kommen. Und immerhin würde er es eilig haben! Oh, ja, in dieser Zeit gab es noch gar keine Handys, das vergisst man so leicht. Dabei ist es nur ein paar Jahre her. Ach, wie die Zeit vergeht… „Vielen Dank“, murmelte ich. „Wie gesagt, das mit Herrn Müller ist wirklich ausgesprochen schade. Haben Sie die genaue Zeit?“

      Er hatte sie, oder zumindest etwas Annäherndes.

      „Tja, dann hat Herr Müller noch ziemlich genau 1 Stunde und 18 Minuten, um sich zu melden, sonst wird der Preis an jemand anderen gehen. Wir ziehen nämlich immer auch Reservepreisträger, müssen Sie wissen, nur für den Fall, dass... Aber wenn er nicht aufzufinden ist, naja, kann man nichts machen! Vielen Dank!“ Ich nickte ihm zu und ging.

      Keine drei Minuten später, nahm ich an, ich hatte ja keine Uhr, kam er dann schweißüberströmt, rotgesichtig, rauchend und immer noch im Unterhemd aus dem Haus gerannt, sprang in


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