Tod du Fröhliche. Martin Cordemann

Tod du Fröhliche - Martin Cordemann


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schon gleich nach der Abfahrt aus den Augen verloren. Glücklicherweise hatte ich mir die Nummer gemerkt...

      Ich ging zum Haus und schellte. Inzwischen musste man herausgefunden haben, dass meine Geschichte ein Schwindel war, dass Claude Müller nie bei einer Glückslotterie 2000 mitgemacht hatte und dass es eine solche Lotterie überhaupt nicht gab... würde man wohl nicht feststellen, da es inzwischen so viele Lotterien gab, dass da eigentlich niemand mehr so richtig durchstieg. Und im Internet konnte man auch nicht nachsehen, denn auch das gab es noch nicht so richtig. Eine Frau öffnete und sah mich fragend an. „Ja, was wollen Sie?“

      „Ist Claude Müller da?“ fragte ich.

      „Wer sind Sie?“ fragte sie.

      Improvisieren!

      „Ich bin von der Polizei, mein Name ist Harry Rhode!“

      Toll improvisiert!

      Sie wurde bleich.

      „Sollte sich Claude Müller in Ihrem Haus befinden und Sie decken ihn, machen Sie sich mitschuldig.“ Mitschuldig woran?

      Sie drehte sich um. „Claude!“ Der Mann vom Photo erschien. „Die Polizei ist hier!“

      „Ich habe nichts getan.“

      „Herr Müller, Ihre Frau macht sich Sorgen. Sie hat Sie als vermisst gemeldet.“

      „Und das gibt Ihnen einfach das Recht, sich in meine Privatangelegenheiten...“

      „Ihre Frau hat Sie als vermisst gemeldet! Wir müssen so etwas nachgehen! Sie hätten sich rechtzeitig melden und all dies verhindern können!“ Ich schien wirklich grimmig zu wirken, denn er wurde plötzlich viel kleiner.

      „Naja“, murmelte er, „jedenfalls bekomme ich nen neuen Wagen!“

      Ich seufzte.

      „Na, Herr Rhode, was macht denn der Fall Müller?“ fragte mich am kommenden Morgen mein Abteilungsleiter.

      „Oh, das dürfte wohl einer von diesen Scheidungsfällen werden, es sei denn, Frau Müller liebt ihren Mann über alles.“

      „Sie scheinen nicht an die Liebe zu glauben.“

      „Naja... ich habe meine Zweifel.“

      Horstmann rieb sich den Hals. „Wo wir gerade bei Zweifeln sind, woher wissen Sie das alles?“

      „Naja...“ Ich riss die Geschichte kurz ab, allerdings ohne wesentliche Details, die darauf hinwiesen, dass ich diverse Regeln überschritten, umgangen, missachtet oder schlicht ignoriert hatte, von Lügen und höchst zweifelhaften Methoden gar nicht erst zu reden. „Ich nehme an, dass Müller mit dieser Frau ein Verhältnis hat“, schloss ich. „Aber für Moral sind wir ja nicht zuständig!“

      „Wie... wie haben Sie das nur gemacht?“

      „Ich würde sagen mit… Rhodedendron?!“

      Horstmann sah mich verstört an.

      „Nun, das ist eine Mischung aus 10% Beweisen, 10% Kalkulation und 90% Improvisation!“

      „Damit kommen Sie auf 110%!“

      „Was meinen Sie, warum es funktioniert hat?“

      Horstmann grinste. „Wenn wir mehr von Ihrer Sorte hätten, könnten wir die ganze Arbeit viel schneller erledigen. Aber, eins ist mir noch nicht so ganz klar. Wie haben Sie diesen Freund von diesem Müller eigentlich dazu gebracht, zu dieser Geliebten von diesem Müller zu fahren?“

      Ich druckste herum, murmelte vor mich hin... und da ich die unangenehme Angewohnheit habe, meist die Wahrheit zu sagen, begann ich mit einem langen „Najaaaaaaaaaa...“ ihm die Wahrheit zu sagen.

      Horstmanns Grinsen verflog. „Wenn wir mehr von Ihrer Sorte hätten, könnten wir den Laden bald dicht machen!“

      Fahrradentführungen, entlaufene Wellensittiche und entflogene Katzen waren der Renner in diesem Sommer. Die Vögel sah man nie wieder, die Katzen kratzte man von Autoreifen. Eine deprimierende Zeit für Haustierhalter, eine wundervolle Zeit für Fahrraddiebe. Als wieder eine Frau Müller nach einem Herrn Müller suchen lassen wollte, erschien Horstmann in unserem als-Büro-bezeichneten-Kabuff und meinte, das wäre ja äußert interessant, aber wir sollten doch wohl lieber Herrn Müller überlassen, zu seiner Frau zurückzukehren. Und tatsächlich zog Frau Müller oder wie immer sie geheißen haben mag ihre Anzeige wenige Tage später wieder zurück.

      „Harry, es ist ja nicht so, dass ich Ihre Arbeit nicht zu schätzen wüsste“, sagte Horstmann, der sich auf meinem Schreibtisch niedergelassen hatte, dort, wo eigentlich meine Füße hingehörten, „aber Ihre Methoden sind an der Grenze zum Kriminellen. Verstehen Sie: Wir sind die Polizei! Wir gehen streng nach Vorschrift vor, ob uns das passt oder nicht! Ihre Methode mag ja schneller sein, und wirkungsvoller, aber es ist uns leider untersagt, so vorzugehen. Tut mir leid.“

      „Naja, ist ja nicht Ihre Schuld. Also... streng nach Vorschrift?“ Horstmann nickte. „Wie langweilig!“

      „Das mag sein, aber das ist nun mal das Leben! Und da ist noch etwas: Sie arbeiten für mich! Also bin ich der Boss, oder?“

      Ich stimmte ihm zögerlich zu.

      „Gut, dass Sie wenigstens das einsehen. Weiß und ich machen jetzt Mittag und Sie werden hier auf das Büro“-das-keins-war-und-auch-bei-besten-Willen-nie-eins-sein-würde „aufpassen. Also, bis dann!“

      Er lächelte und die beiden gingen und ließen mich allein zurück. Ich legte meine Beine auf den Schreibtisch und döste vor mich hin, die Tür zum Gang weit offen, um etwas Frischluft hereinzulassen. Es war ein ruhiger Tag, kein Lüftchen regte sich, alles war still. So still, dass man auf dem Gang die Stimme eines Kollegen hören konnte, die sagte: „Das Vermisstendezernat ist die letzte Tür auf diesem Gang.“

      Ich öffnete langsam ein Auge und sah den Gang hinunter. Dort stand neben dem Polizisten ein junges Ehepaar, das nun seinerseits meine wenig Aktivität ausstrahlende Gestalt ausmachte.

      „Der junge Mann ist zuständig?“ fragte die Frau, die kaum älter war als ich, vielleicht aber doch. Absolutes Missvertrauen lag in ihrer Stimme.

      „Lassen Sie sich nicht von seinem Aussehen täuschen“, meinte der Kollege, der damals mit dabei gewesen war, als ich... dabei war, in die Mühlen der Justiz zu rutschen und als Polizist zu enden, da, wo ich jetzt war, verschwitzt und kein Vertrauen ausstrahlend, „das ist einer der fähigsten Männer auf seinem Gebiet!“

      Damit hatte er Recht; gut war nur, dass er sich nicht auf irgendein Gebiet hatte festnageln lassen. Aber das Ehepaar war damit zufrieden und kam nun neuen Mutes auf mich zu. Was mochten sie wohl zu suchen haben? Einen Hamster? Einen elektrischen Fisch? Ein aufblasbares Cabriolet?

      Ich richtete mich auf, nahm meine Füße vom Schreibtisch, bzw. umgekehrt, weil ich in dieser Reihenfolge wahrscheinlich derbe auf die Fresse geknallt wäre, und sah den beiden entgegen. „Guten Tag.“

      „Guten Tag, Herr...“

      „Rhode!“

      „Guten Tag, Herr Rhode. Ich bin Johannes Ueter und das ist meine Frau Katja.“

      „Freut mich. Was kann ich für Sie tun?“

      Beide wirkten unruhig.

      „Es geht um unseren Sohn“, platzte Frau Ueter heraus. „Er ist verschwunden!“

      Ich setzte mein mitfühlendes Gesicht auf, während sich in meinem Magen etwas zusammenballte. „Wie alt ist Ihr Sohn?“

      „Anderthalb Jahre.“

      Mist! Überall begannen die Alarmglocken zu schlagen, Rotlicht flammte auf und in meinen Ohren begann es zu dröhnen. Das war eine ganz beschissene Ausgangssituation.

      „Ähm, seit wann ist Ihr Sohn denn verschwunden?“

      „Seit gestern Abend. Wir sind ausgegangen und als wir


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