Broken Bones. Andrea Appelfelder

Broken Bones - Andrea Appelfelder


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Der junge Mann musste mit ansehen, wie ein mächtiges und altes Reinblut einen Säugling bestellte. Dieses kleine Kind wurde dem hochgestellten Vampir dann ohne einen Moment des Zögerns auf einem goldenem Tablett serviert.

      Angel, der das Ereignis damals nur angewidert mitangesehen hatte, wollte eingreifen, aber in einem Nachtclub voller Vampire, die dem Reinblut bis aufs Blut treu ergeben waren, wäre das sein sicherer Tod gewesen. Er beschloss damals also, nichts zu tun, aber sein Nichtstun bedauerte er bis heute.

      Angel ging seiner Arbeit nach und schaffte es mehr schlecht als recht die Kunden der Bar „Faries“ zu bedienen. Er war einfach nicht mehr an so eine Art von Arbeit gewöhnt.

      Als er noch ein Mensch gewesen war, hatte er kaum gearbeitet, da seine Eltern schon immer reich gewesen waren. Er hatte schließlich zum ersten Mal wirklich mit körperlicher Arbeit zu tun gehabt, als er zu seiner Zeit als neugeborener Vampir zwar schon einmal hinter einer Theke gearbeitet hatte, aber noch nie hatte er dumme Hinterwäldlervampire bedienen müssen.

      Endlich war es an der Zeit, die hübsche Frau, die er Tage lang beschattet hatte, zu fragen was sie trinken wollte. Sie erwiderte nur leicht genervt: „Einen Wodka.“

      Sogleich goss er ihr ein Glas ein und stellte ihr das gewünschte Getränk vor ihr auf die Theke hin und begann vorsichtig ein Gespräch zu eröffnen.

      „Eine so schöne Frau, die schon um sechzehn Uhr allein in einer Bar Wodka trinkt muss wirklich schlimme Probleme haben?“

      Darauf bekam er allerdings keine Antwort. Es schien so, als ob sie einfach nur in Ruhe trinken wollte. Angel wusste aber, dass das nicht so bleiben würde. Jeder wird redselig wenn er trinkt, selbst Vampire, dachte er. Auch sie würde da höchstwahrscheinlich keine Ausnahme sein.

      Der Junge musste einfach nur warten und das hatte er mit zunehmenden Alter gelernt. Also schenkte der junge Mann mit den blauen Augen ihr Glas immer wieder voll, sobald sie es geleert hatte.

      Diese Geste schien sie nicht einmal zu bemerken. Was war nur mit ihr los? War das Mädchen etwa jetzt schon so betrunken, dass sie gar nichts mehr bemerkte? Oder hatte sie so einen tiefsitzenden Schmerz in sich, dass ihr alles egal war?

      Nachdem er ihr noch viele weitere Gläser nachgeschenkt hatte, begann Angel sie nochmal behutsam auszufragen. „Kennst du einen Vampir, der sich selbst den Grafen nennt?“

      Damit begann er, aber warum wusste er nicht. Eigentlich hatte er sich doch andere Fragen zurechtgelegt. Seit ihm allerdings vor einigen Stunden der Gedanke mit dem Grafen gekommen war, kreiste sich alles in seinem Kopf nur noch darum.

      Der Vampir fürchtete sich nach seinem Verrat an dieser Person, welcher zwar schon ewig her war, dem alten Blutsauger noch einmal zu begegnen.

      Nach langen Minuten des Schweigens begann sie plötzlich, und von ihm unerwartet, doch noch zu sprechen.

      „Einen Vampir, der sich selbst so nennt, kenne ich. Na klar kenne ich so einen Idioten, der sich als Graf bezeichnet. Er ist mein Vater, Erzeuger trifft es wohl eher. Dieser Idiot hat meine Mutter vor über hundert Jahren verlassen. Damals war ich gerade einmal ein paar Monate alt. Wir hätte eine Familie sein sollen, sagte meine Mutter immer, aber er, er dachte niemals an seine Familie. Er wollte lieber einen unnützen Krieg gegen die Menschen führen, um den Vampiren die Vorherrschaft über diesen Planeten zu verschaffen. Was für ein Narr! Dieser alte Vampir wollte doch tatsächlich einen Krieg gegen die Menschen führen. Er muss völlig den Verstand verloren haben. Die primitiven Menschen, sind doch für uns nichts weiter als Vieh, dass wäre fast so ähnlich, als ob ein Bauer sich mit seinen Kühen bekriegen würde.“

      Die Vampirin unterbrach ihre Erzählung und begann urplötzlich zu lachen. Angel war verwirrt, fragte sie aber weiter aus. „Was ist aus diesem Mann geworden?“

      Sie lachte weiter: „Das weiß niemand, aber ich glaube, dass sich die Menschen an ihm gerächt haben. Genau weiß ich es aber nicht. Tot ist der Mistkerl wohl aber auf jeden Fall.“

      Sie begann wieder zu lachen, doch dieses schallende Lachen verwandelte sich binnen von Sekunden in ein bitterliches Weinen.

      „Ich bin ganz allein auf der Welt. Meine Mutter war bis vor einem Jahr noch bei mir, beschützte und liebte mich.“

      Sie weinte immer schlimmer, sprach aber trotzdem weiter. „Sie ist tot. Getötet von einem dieser verdammten Vampirjäger. Die Ironie an der Sache ist aber, dass dieser Jäger selbst ein Vampir gewesen war. Ich glaube, dass es einer dieser verfluchten Vatikanjäger war, schließlich gibt es nur dort Vampire die andere Vampire töten.“

      Viele der anwesenden Vampire drehten sich nach ihr um, jeden Einzelnen von ihnen war es möglich, ihre Geschichte zu verfolgen. Mitleid hatten diese Nachtwesen jedoch nicht für sie übrig, sondern nur Verachtung für ihr viel zu menschliches Verhalten.

      Die junge Frau bemerkte die missgünstigen Blicke, ließ sich davon allerdings nicht stören. Es war ihr wohl egal, was der Rest der Welt über sie dachte.

      Das Mädchen sprach einfach weiter und schüttete diesem völlig Fremden ihr Herz aus. Der Unbekannte jedoch hörte ihr nicht mehr zu. Er hatte die Vermutung das Mike-chan, chan ist eine japanische Verniedlichungsform mit der man kleine Kinder oder gute Freunde anspricht, die Mutter der Vampirin getötet hatte.

      Angel erinnerte sich, das Mike vor genau einem Jahr hier einen Auftrag gehabt hatte. Er freute sich damals, das Ursprungsland der Vampire endlich einmal selbst kennenzulernen und erzählte ihm noch stolz davon. Des weiteren konnte ein Jäger, der ein Vampir war, nur einer von Ihnen sein. Da hatte sie schon recht. Vermutlich hatte man ihn deshalb hierher geschickt, weil die im Vatikan wohl davon ausgingen, dass sie den Mörder ihrer Mutter gesehen hatte, oder zumindest den Vatikan dahinter vermutete.

      Der Junge verstand aber nicht, wieso die Mutter des weinenden Mädchen hatte sterben müssen. Er vertrat nämlich die Meinung, dass nur schlechte Vampire den Tod verdient hatten. Damit stand er jedoch alleine da.

      Er konnte diesbezüglich aber auch nichts tun, da jeder seine Arbeit auf seine Art und Weise erledigte und niemand hatte da Mitspracherecht.

      Genau für dieses Recht hatte sich Angel von Anfang an im Vatikan eingesetzt. Eigentlich sollte dieses Recht ihm seine Arbeit erleichtern. Er wollte nicht, dass ihm einer der Menschen in seine Arbeit reinredete. Das hatte er jetzt davon, für dieses Geschöpf war es zu spät.

      Als er aus seinen Gedankengängen wieder erwacht war, bemerkte er, dass die Vampirin eingeschlafen war und auch die Bar hatte sich bereits gelichtet.

      Plötzlich hörte er auch endlich, dass ein anderer Barkeeper, sein Chef, ihn anschrie weil er seine Arbeit nicht tat. „Du wirst hier nicht fürs Rumstehen oder Nichtstun bezahlt.“

      Angel, der diesen Job nun nicht mehr brauchte, warf dem Vampir mit den brauen fettigen Haaren die weiße Schürze, die er noch bis eben um den Hüften getragen hatte, an den Kopf.

      „Mach deinen Mist doch selber, Alter, ich kündige.“

      Mit diesen Worten verließ er die Bar. Da er das, was er wissen wollte, nun wusste, gab es keinen Grund mehr, sich das hier noch langer anzutun.

      Das Mädchen, welches schlafend mit dem Kopf auf der Theke lag, ließ er, ohne sie noch einmal anzusehen, zurück.

      Es ist nicht nötig, sie zu töten, obwohl sie den Tod vielleicht mehr als alles andere in der Welt wollte. Aber wenn sie sich so sehr danach sehnt, muss sie es schon selbst tun. Anscheinend fehlt ihr dazu aber der Mut, sie lebt wohl lieber weiter so wie bisher, dachte Angel.

      Der Vampir sprach vor sich hin. „Das wäre ja nicht so meins, aber jeder wie er es braucht.“

      Er sagte das, obwohl er sie auch sehr gut verstehen konnte. Manchmal war ihm auch zum Heulen zu mute, aber irgendwann kommen auch mal wieder andere, schönere Tage auf einen zu. Man lernt neue Leute kennen, die einen mögen und einen beistehen.

      Auch wenn es heute regnet und die Welt nur grau zu sein scheint, kommt früher oder später die Sonne wieder heraus und zeigt das diese Welt doch nicht so


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