Das Blut des Wolfes. Michael Schenk

Das Blut des Wolfes - Michael Schenk


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sein Krähen ertönen. Ein merkwürdig kurzes und eher leises Krähen, welches vielleicht seine Verachtung darüber ausdrückte, dass kaum jemand an seinem pompösen Auftritt Anteil nahm.

      „Morgen, Albert“, rief Wolicek gut gelaunt und das prächtige Gefieder des Hahns fiel in sich zusammen. Erneut drang ein bescheidenes Krächzen kam aus der Kehle, dann wandte sich das beleidigte Federvieh um und stolzierte wieder die Hühnerleiter hinauf.

      Es hatte schon spöttische Bemerkungen über Albert gegeben, doch Wolicek verteidigte seinen Hahn vehement und stellte die Klugheit des Tieres heraus. Man brauche sich ja nur an das Schicksal seines Vorgängers Albrecht zu erinnern, führte Wolicek dann an. Albrecht war ein Hahn von bescheidenerer Gestalt, aber beeindruckendem Krähen gewesen. Jeden Morgen hatte man es durch ganz Wolfgarten gehört. Nicht jedem hatte das gefallen. Schließlich hatte einer von Woliceks Nachbarn eine stattliche Summe für das Federvieh geboten und der Bauer hatte eingewilligt. Minuten später hatte der Nachbar seine Jagdflinte geholt und Albrecht war für immer verstummt. Seitdem empfand Wolicek eine tiefe Abneigung gegen den Schützen. Bei der Auswahl seines neuen Hahns Albert hatte er daher großen Wert auf eine kräftige Stimme gelegt. Das Probekrähen war auch durchaus zufriedenstellend ausgefallen, doch seitdem hielt sich der Hahn sichtlich zurück. Wolicek schrieb dies der Klugheit von Albert zu Gute.

      Der Bauer schlenderte über den Hof und sah den Hauskater um die Ecke streichen. Eigentlich hatte seine Frau die Katze angeschafft, um der Mäuseplage Herr zu werden, aber der Kater erwies sich als ebenso klug wie Albert. Statt sich auf die anstrengende Jagd zu begeben, bevorzugte er die bequemere Hausmannskost, welche Woliceks Frau ihm reichte. So lag er meist bequem an einem seiner Lieblingsplätze und seine Gestalt hatte sich der reichlichen Kost angepasst. Ja, die einzigen, welche auf dem Hof von Bauer Wolicek wirklich etwas leisteten, das waren er und seine Frau, die Hennen, seine braven Milchkühe und sein Hund Rudi, ein Golden Retriever. Rudi war inzwischen in die Jahre gekommen, aber immer noch verspielt und zum Hüten der kleinen Herde geeignet.

      Wolicek reckte sich und gähnte herzhaft. Er war schon seit über einer Stunde auf den Beinen, hatte im Stall nach einer trächtigen Kuh gesehen und dann in Ruhe gefrühstückt. Die anderen Kühe waren auf der westlichen Weide, unterhalb der Rangerstation und er würde gleich hinüber fahren und sich um sie kümmern. Wolicek mochte seine Tiere. Es waren gute Milchkühe, die schönes, saftiges Gras fraßen. Das gab gute Milch. Er hielt nichts von den großen Milchbetrieben, bei denen die armen Viecher in langen Reihen im Stall standen, obwohl er eingestand, dass es manchmal nicht anders ging. Aber er brauchte nicht viele Kühe. Als Frührentner bezog er eine bescheidene Pension und das reichte zum Leben. Die dreißig Milchkühe hätten auch nicht genug Gewinn an Milch und Fleisch gebracht.

      Seine Frau trat aus dem Haus und drückte ihrem Mann Brotdose und Thermosflasche in die Hände. Sie trug eine Latzhose und Gummistiefel, da sie sich nun daran machen würde, den Stall zu misten, das Hühnergelege nach Eiern abzusuchen und den Hof in Ordnung zu halten.

      „Wenn was mit der trächtigen Kuh ist, dann ruf mich auf dem Handy an“, meinte Wolicek. „Ich fahre die Milch nach dem Melken zum Laden rüber, damit die Genossenschaft sie abholen kann. Danach komme ich sofort zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob das Kalb richtig liegt.“

      „Notfalls wirst du den Tierarzt rufen müssen.“ Seine Frau strich ihm über die ergrauten Haare. „Und du weißt, es dauert, bis er da sein kann.“

      „Es wird schon nicht so schlimm werden. Notfalls weiß ich mir zu helfen. Ich hab schon einmal einem Kalb den Strick um die Läufe gelegt und es auf die Welt gezogen.“

      „Ja, ich weiß, du bist ein guter Bauer.“

      „Will ich wohl meinen.“ Er küsste sie auf die Wange. „Heute wird der Kurt vorbeikommen, wegen dem Wackler von den Lampen. Da ist irgendwo ein Kurzer, den ich nicht finde. Du musst ihm nur zeigen, welche Lampen nicht richtig funktionieren.“

      „Mach ich. Und jetzt mach dich los. Die Kühe werden schon unruhig sein. Die wollen ihre Milch loswerden.“

      Wolicek nickte und ging an dem Misthaufen vorbei zum Stall. Neben dem großen Tor befand sich die Bank, auf der die gesäuberten Milchkannen standen. Er nahm die großen Metallgefäße auf und trug sie zu dem kleinen Anhänger der Zugmaschine. Wolicek verzichtete auf einen Traktor und begnügte sich mit einem einachsigen Holder, der ihm schon seit Jahren gute Dienste leistete. Mit leisem Knarren öffnete sich das grün gestrichen Hoftor und der Bauer verankerte es mit den entsprechenden Eisenhaken. Seiner Frau nochmals zuwinkend, ging er zu seinem Holder, warf den Motor an, stieg in den Sattel und ergriff das gabelförmige Lenkgestänge. Gemütlich tuckernd setzte sich das Gespann in Bewegung und rollte vom Hof.

      Das Tuckern von Woliceks Holder-Gespann war für Wolfgarten ein fester Bestandteil des dörflichen Lebens. Die Bewohner hatten sich längst an das Geräusch gewöhnt und wurden allenfalls wach, wenn es einmal nicht zur gewohnten Zeit zu hören war. Seine Fahrstrecke vom Hof zur Weide und anschließend zum Laden der Westphals, wo er die Milch ablieferte, war fest im Unterbewusstsein der Menschen verankert.

      Wolicek folgte dem Ziegenbendges Weg bis knapp unterhalb der Rangerstation, warf einen grimmigen Blick auf die Anlage und bog dann in den winzigen Feldweg ein, der zu seiner Weide führte. Er fuhr an den Pfosten mit den Drähten des Elektrozauns entlang, den er neu errichtet hatte. Der gefiel ihm nicht und er gefiel seinen Kühen nicht. Früher hätte er so einen Zaun nie notwendig gehabt. Da hatte der Rudi ausgereicht. Verdammte Parkbesucher. Verdammte Rangerstation. Nein, Wolicek war kein Befürworter des Naturparks.

      Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er seine Kühe sah. Die Tiere kannten das Geräusch des Gespanns und einige von ihnen muhten erleichtert, denn sie wussten, dass der Bauer nun kam, um sie endlich zu melken. Wolicek war stolz auf die gute Milch, die sie lieferten. Seine Kühe kannten keine Melkmaschine und würden sie auch niemals kennen lernen. Die Anschaffung einer solchen Anlage und ihre Pflege waren ihm zu teuer und eine Kuh, die einmal mit einer solchen Anlage gemolken worden war, ließ sich danach kaum noch von Hand melken. Zudem fand Wolicek eine solche Maschine als unpersönlich. Seine braven Kühe verdienten es, die warme Hand zu spüren.

      Er steuerte das Gespann auf die Weidefläche und fragte sich, warum Rudi nicht längst erschien, um sein Herrchen freudig zu begrüßen. Der Golden Retriever hatte sich als Hütehund bewährt und verhinderte zuverlässig, dass sich eine der Kühe auf Abwege begab. Aber vielleicht stromerte der Bursche irgendwo herum oder verrichtete sein Geschäft, denn Rudi kannte das Geräusch des Holders ebenso gut wie alle anderen und wusste somit, das Wolicek nun gekommen war.

      Der Milchbauer hob Eimer und Melkschemel vom Hänger. „So, meine Lieben“, sagte er freundlich und klopfte der nächsten Kuh gegen die Flanke. „Zeit, dass ich es euch ein bisschen leichter mache.“

      Die erste Kuh drängte auch schon heran und Wolicek begann gekonnt, die Zitzen der Euter zu massieren, bis die frische Milch in den Eimer spritzte. Die Kühe kannten die Prozedur und hielten eine strenge Rangfolge ein. Etwas ungeduldig warteten sie, bis ihr Herr den Eimer in eine der Milchkannen geleert hatte und zurück kam, dann ging es weiter.

      Wolicek war ganz in die Arbeit vertieft, seine Hände arbeiteten automatisch, während er seine Kühe mit freundlichen Worten bedachte.

      Immer wieder schweifte sein Blick umher. Von seinem Hund war noch immer nichts zu sehen. Das war sehr ungewöhnlich, ja, es war beunruhigend.

      „Rudi?“ Er klopfte einer Kuh an den Hinterlauf, damit sie ein wenig zur Seite trat. „Rudi, mein Guter, wo steckt du?“

      Einige der Kühe muhten, als seien sie nun genau so beunruhigt, wie Wolicek. Der erhob sich von dem Schemel und sah sich um.

      „Rudi? He, alter Knabe, komm bei Fuß. Hier gibt es Arbeit für dich“, rief er nach seinem Hütehund.

      Doch von dem Golden Retriever war nichts zu sehen oder zu hören.

      Wolicek stieg auf den Hänger seines Gespanns, da er von dort eine bessere Übersicht hatte. Am nahen Waldrand glaubte er, das goldbraune Fell Rudis erkennen zu können. Guntram war ein wenig kurzsichtig und wandte einen alten Trick an, indem er Daumen und Finger einer Hand, einem Fernglas


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