Die Baumeisterin. Barbara Goldstein

Die Baumeisterin - Barbara Goldstein


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oder ein Rosinenbrot.

      »Ich war in Pihuni«, sagte er und kramte in einer Truhe. »Dort gibt es eine Bibliothek.« Dann hatte Aperire gefunden, wonach er suchte. Er hielt mir eine Papyrusrolle hin. »Lies, Nefrit, lies!«

      Ich wusste nicht, wie ich Aperire anders danken sollte: Ich umarmte ihn.

      Die Rolle enthielt die Aufzeichnung eines der berühmtesten Forschungsreisenden von Kemet, Neferefre. Ich setzte mich mit dem Buch ans Ufer des Hapi und begann zu lesen, als hinge mein Leben davon ab. Neferefre hatte viele Reisen im ganzen Land Kemet unternommen. Bilder entstanden in meinem Kopf von Gegenden, von denen ich noch nie gehört hatte. Der sich im Hapi spiegelnde Tempel von Pibastet. Die im Sonnenuntergang glühenden Felsen des Sinai. Das wogende Schilfmeer, das das Land Kemet von den östlichen Fremdländern trennte.

      Und das Meer, das Ziel meiner Sehnsucht!

      »Es ist schön, über diese fremden Orte zu lesen«, gestand ich, als ich Aperire die Rolle zurückgab. »Aber ich würde diese Orte lieber sehen, als nur davon zu lesen.«

      »Das, Nefrit, wird dir wohl nicht vergönnt sein!«, äußerte er mit Bedauern. Wie sehr er sich irren sollte!

      Glücklicherweise musste Aperire wenige Wochen später erneut in die Residenz fahren. Ich glaube, er freute sich über die Art und Weise, mit der ich ihm bei seiner Rückkehr ungeduldig die Papyrusrollen aus der Hand riss, die er für mich in der Bibliothek entliehen hatte.

      Lesend verbrachte ich die Zeit der Flut.

      Während des Winters des dritten Regierungsjahres machte ich mich in Aperires Schreibzelt nützlich. Er hatte kleine Aufgaben für mich, die ich gewissenhaft erfüllte. Ich durfte Notizen von Tonscherben auf Papyrus übertragen und Dokumente kopieren. Stundenlang saß ich in Schreiberhaltung mit einer Unterlage auf den Knien vor seinem Zelt und schrieb, bis mir die Hand wehtat.

      Eines Tages schickte er mich als Boten zu Api, dem ich eine Papyrusrolle überbringen sollte.

      Ich lief hinüber zum Zelt des Königlichen Bauleiters, konnte Api aber nicht finden. Das Betreten des Bauleiterzeltes war verboten, das wusste ich seit dem ersten Jahr auf der Baustelle. Aber das Verbotene übte einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus.

      Das große Zelt bestand aus weißem Leinen. Zeltbahnen unterteilten das Innere in verschiedene Räume. Apis Schreibtisch aus geschnitztem Ebenholz war mit Papyri, Tintensteinen, Tintenschalen und geschnittenen Schreibbinsen bedeckt. Auf der anderen Seite des abgeteilten Zeltraumes stand ein großer Tisch, auf dem die Baupläne für die Pyramide gezeichnet wurden.

      Api fand mich vor den auf Papyrus gemalten Plänen der Pyramide. Mit dem Finger zog ich die geraden Linien nach. Er musste mich eine Weile beobachtet haben, dann sagte er: »Nicht anfassen!«

      Ich fuhr zusammen. »Ich habe nichts angefasst. Ganz bestimmt nicht!«

      »Was tust du hier? Du darfst die Pläne nicht ansehen. Sie sind geheim.«

      »Wieso?«, wollte ich wissen.

      »Niemand darf wissen, wie der König bestattet werden wird.«

      Vorsorglich verschwieg ich ihm, dass ich bereits bis zur Grabkammer des Königs vorgedrungen war.

      »Aperire schickt mich«, sagte ich. »Ich soll dir das hier geben.« Ich reichte Api die Papyrusrolle, und er gab mir ein Stück Kupfer.

      In den nächsten Tagen sandte Aperire mich immer wieder als Boten zum Bauleiter. Als ich einmal in seinem Zelt eintraf, suchte Api nach einem seiner Gehilfen. Er sprang vom Schreibtisch auf und hastete durch das Zelt. Dabei stolperte er beinahe über mich. »Was willst du, Nefrit?«

      »Ich soll dir diese Rolle von Aperire bringen.« Ich hielt ihm einen Papyrus hin. »Das ist die vollständige Aufstellung der Lagervorräte.«

      Er entriss mir die Liste und warf sie auf seinen Schreibtisch. »Ich habe heute keine Zeit für dich, Nefrit. Ich muss dringend auf die oberste Plattform. Irgendetwas ist passiert. Wo steckt dieser verdammte …?«

      »Wen suchst du?«

      »Meinen Gehilfen. Er soll das Zelt bewachen, solange ich weg bin.«

      »Das Zelt bewachen?«

      »Das Zelt des Bauleiters mit den geheimen Plänen für das Grabmal des Königs darf niemals unbewacht sein. Das ist Gesetz!«

      »Ich könnte doch …«

      »Das kommt nicht in Frage.«

      »Aber warum denn nicht? Ich habe doch sowieso schon alle Pläne gesehen«, wandte ich ein.

      Er sah mich verwirrt an. »Das stimmt.« Er zögerte. »Gut, aber nur dieses eine Mal, Nefrit. Du lässt niemanden herein! Und du rührst dich nicht von der Stelle, bis ich wieder hier bin!«

      Api hatte sehr schöne Schreibpinsel. Ich dachte mir, dass er vielleicht nichts dagegen hätte, wenn ich mir einen Pinsel auslieh und einen Bogen bemalte. Ich hatte nicht viel Gelegenheit, auf so schönem Papyrus zu schreiben. Auf seinem Tisch fand ich eine Schale mit roter Tinte sowie ein ellenlanges Lineal.

      An seinem Schreibtisch zeichnete ich einen Plan der Pyramide. Zunächst kopierte ich mit Lineal und Winkelmesser den Bauplan, der an der Zeltwand hing. Dann malte ich auch das geheime Grabkammersystem und trug die Bemaßung am Rand der Skizze ein. Am Ende sah die Zeichnung sehr technisch aus, sodass ich neben meine Pyramide mit schwarzer Tinte noch die Hütten für die Arbeiter malte, die Bäckerei, die Schmiede und den Hafen. Gerade hatte ich mit blauer Tinte den Hapi auf den Papyrus gepinselt, als Api in das Zelt zurückkam.

      Wie erstarrt blieb er stehen, als er mich mit dem Pinsel in der Hand über die Skizze gebeugt sah. »Nefrit! Bist du von deinem Ka verlassen?«, rief er entsetzt.

      »Was ist, Api? Ich habe nichts getan!«

      »Du hast einen wertvollen Bauplan zerstört! Wie soll ich das Prinz Nefermaat erklären? Der Plan war für ihn bestimmt!«

      »Ich habe nur einen Papyrus genommen und zu malen begonnen …«, versuchte ich zu erklären, aber er ließ mich nicht ausreden:

      »Der Papyrus, den du dir genommen hast, war ein Bauplan der Pyramide! «, brüllte er mich an.

      »Das Blatt war leer!« Ich deutete auf die Zeltwand: »Das ist der Bauplan ...«, dann auf den Tisch: »... und das hier ist meine Zeichnung.«

      Verwundert beugte er sich über mich und zog die Skizze zu sich heran. Immer wieder verglich er ihre exakten Linien mit denen des Bauplans an der Zeltwand. »Unglaublich präzise«, brummte er schließlich. »Wo hast du das gelernt?«

      »Das Zeichnen hat mir niemand beigebracht. Aber Aperire hat sich sehr viel Mühe gegeben, bis ich die Bildzeichen gerade und ohne zu klecksen mit dem feinen Pinsel schreiben konnte.«

      »Ich brauche einen Bauzeichner«, sagte er. »Nefrit, du bist eingestellt!«

      Von Apis Rückkehr in den Tempel des Sonnengottes von Iunu erfuhr ich durch einen Brief, der im zweiten Mond des vierten Regierungsjahres des Seneferu von einem der Barkenkapitäne überbracht wurde.

      Api war vom Hohepriester des Re zurückgerufen worden, weil er zum Propheten des Tempels ernannt worden war. Er zögerte nicht lange und gab mit Zustimmung des Wesirs Nefermaat seine Karriere als Königlicher Bauleiter auf, um in die Sonnenstadt Iunu zurückzukehren.

      Er sollte durch einen neuen Bauleiter abgelöst werden – das hatte ich von Aperire erfahren. Doch niemand wusste, wann der Priester aus Iunu eintreffen würde. Auch nicht mein Vater, der als Aufseher der Steinverleger auf der obersten Plattform beinahe alles wusste, was auf der Baustelle geschah.

      Die Arbeiten auf der Baustelle gingen auch ohne Api ihren gewohnten Gang. Das Chaos brach erst aus, als ein Bote aus der Residenz eintraf und den Besuch des Königs ankündigte. Aperire als ranghöchster Priester auf der Baustelle organisierte die Vorbereitungen für den Besuch.

      Prinz Nefermaat traf am Nachmittag mit seiner Sänfte ein und erwartete seinen


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