Die Baumeisterin. Barbara Goldstein

Die Baumeisterin - Barbara Goldstein


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dich leiser, Nefrit! Du machst einen Krach, dass uns die Arbeiter aus fünfzig Schritten Entfernung hören können!«, fauchte Djedef, als ich auf dem steilen Felsabbruch einen lockeren Stein lostrat. »Wenn wir erwischt werden, werden wir geschlagen.«

      Djedef war ein Jahr älter als ich und der Sohn eines Schlittenführers, der vor wenigen Monden eine Hütte auf der anderen Seite der Baustelle bezogen hatte. Djedefs Mutter hatte sich von seinem Vater scheiden lassen. Sein Vater war wegen der Schulden, die er wegen der Missernte des letzten Jahres hatte, gezwungen gewesen, die Arbeit an der Pyramide anzunehmen. Djedef und ich hatten schnell Freundschaft geschlossen und spielten oft gemeinsam am Rand der Baustelle, deren Betreten uns verboten war. Dabei brachte doch das Herumklettern am Pyramidenfundament am meisten Spaß!

      An diesem Tag hatten Djedef und ich uns von Westen an die Steinbrüche herangeschlichen.

      »Mein Vater hat mich noch nie geschlagen!«, protestierte ich und kroch vorwärts, um über den Rand des Felsens zu den Arbeitern hinabzusehen.

      Im Steinbruch arbeiteten hundert Steinbrecher mit Pickel und Schlegel aus Stein sowie mit Meißeln aus Kupfer, mit denen sich der Kalkstein formen ließ. Der helle Kalkstein war mit roten Schnüren in Rasterlinien eingeteilt. Jeweils zwei Gruppen von Arbeitern drangen entlang der Linien an allen Seiten des freizulegenden Steinblocks in das Gestein ein, bis sie die bereits geschlagene senkrechte Trennung auf der Rückseite des Steinquaders erreicht hatten. Dann wurde die Unterseite mit Hebeln und befeuchteten Holzkanten, die aufquollen und sich ausdehnten, von unten herausgebrochen. Auf diese Weise ernteten die Arbeiter den Steinbruch von oben nach unten ab und drangen mit jedem neuen Steinquader tiefer in das Plateau unterhalb der Pyramide ein.

      »Die Arbeiter müssen nach einem genauen Zeitplan arbeiten. Nie macht eine ganze Gruppe Pause, um Wasser zu trinken«, flüsterte ich und deutete auf eine Gruppe Steinschlepper, die gerade einen großen Quader auf einen Holzschlitten kippten. Ein Aufseher eilte herbei und markierte den Stein mit roter Farbe.

      Um die Arbeitsleistung zu kontrollieren, musste jeweils nach dem Ernten eines Steinquaders die Sonnenstunde auf einer Tonscherbe notiert werden, die später ins Archiv des Lagers gebracht wurde. Jeder gebrochene Stein wurde mit dem Tag, dem Mond und dem Jahr des Brechens sowie dem Namen der Steinbruchgruppe markiert. Erst dann wurde der Stein zu den Werkstätten geschleppt. Die Steinmetze glätteten den Stein, erneuerten die rote Markierung, dann wurde der Quader weitertransportiert.

      Der schwierigste Weg für die Steinschlepper war die Baurampe. Sie hatte einen flachen Neigungswinkel und bestand aus Bruchsteinen und Geröll, das bis zur Höhe der oberen Plattform aufgeschichtet war. Über diesem groben Bauschutt war eine Schicht Sand aufgeschüttet, und darüber lag eine Straße aus Hölzern, die durch die Wasserträger regelmäßig befeuchtet wurde. Auf dieser rutschigen Bahn wurden die Holzschlitten die Baurampe hinaufgezogen. Drei parallele Holzbahnen führten himmelwärts, eine einzige führte wieder hinab. Die Holzschlitten mussten in regelmäßigen Abständen die Baurampe hinaufgeschleppt werden. Die Verzögerung eines einzigen Schlittens konnte einen Stau im gesamten System verursachen, was zu erheblichen Wartezeiten bei Hunderten von Bauarbeitern führte.

      »Wenn ich erwachsen bin, werde ich Pyramidenbauer wie mein Vater«, erklärte mir Djedef am gleichen Nachmittag.

      »Ich auch!«, antwortete ich.

      »Frauen bauen keine Pyramiden.«

      Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte. »Warum nicht?«

      »Weil sie nicht stark genug sind«, provozierte er mich.

      »Ich bin stark genug.«

      Zum Beweis begann ich vor unserer Hütte mit der Errichtung meiner eigenen Pyramide. Die Bauanleitung hatte ich ja direkt vor mir.

      Das Bauprojekt des Königs hatte in diesem ersten Jahr meines Aufenthaltes nicht das Aussehen einer Pyramide. Sie war eigentlich ein Turm aus drei flachen Plattformen. In der Mitte ragte der Kernbau in Form einer unvollständigen Stufenpyramide wie der des Königs Djoser in Mempi hervor. Dieser Kern war noch nicht fertig gestellt bis zur endgültigen Höhe, ließ aber erkennen, wie gewaltig das gesamte Bauwerk werden sollte. Auf diesem Stufenkern wurden ringsherum die Schichten der äußeren, später sichtbaren Pyramide erbaut. Mein Vater hatte mir erklärt, dass nur so sichergestellt sei, dass sich alle vier Kanten genau in der Spitze treffen konnten. In einigen Jahren, nach Fertigstellung der äußeren Pyramide, würde die Außenhülle mit großen, glatt geschliffenen Steinquadern bedeckt werden, die dem Bauwerk eine stufige, strahlend weiße Oberfläche geben würde. Dann würden die Kalksteinquader eine achtstufige Treppe zu den Göttern sein, die weit höher in den Himmel ragte als jedes andere Bauwerk vor ihr.

      Aber an jenem Tag führte noch eine lange, steile Rampe bis hinauf auf die Ebene der Pyramide, die bereits vollendet war. Drei der geplanten acht Stufen waren verlegt. Der Kernturm hatte beinahe die erforderliche Höhe erreicht und war über seine Stufen mit Hilfe einer Spiralrampe aus Lehmziegeln erreichbar, die an der obersten Pyramidenebene begann.

      Djedef und ich bauten das Fundament meiner Pyramide aus Kieselsteinen, die die letzte Flut des Hapi angespült hatte. In der Mitte errichtete ich einen Turm aus großen Steinen, der so groß war wie ich selbst: Er sollte meine innere Stufenpyramide werden, auf der die äußere Pyramide lastete. Als der innere Sockel fertig war, begann ich die Steinlagen aufzuschichten und erreichte, als Re den Zenit überschritt, die Bauphase, die die Pyramide des Königs hatte.

      Und dann baute ich mit Djedefs Hilfe weiter, immer höher und immer steiler. Als die Kanten der Pyramide schließlich den Zenit des Stufenturms erreichten, trat ich zurück, um mein Werk zu bewundern. Ich war enttäuscht! Aus einigen Schritten Entfernung sah meine Pyramide aus wie ein hingeschütteter Haufen Kieselsteine. In einer großen Waschschüssel sammelten Djedef und ich Lehm, den wir mit Wasser zu einer zähflüssigen Masse verrührten. Ich hatte gesehen, wie die Hütten aus diesem getrockneten Schlamm errichtet worden waren. Gemeinsam strichen wir die steinerne Oberfläche der Pyramide mit dem Schlamm glatt, zuerst die unteren Ebenen, dann bis zur Pyramidenspitze hinauf.

      Immer wieder mussten wir den wegrutschenden Lehm festdrücken und weitere Schichten anfügen, aber schließlich hielt die Pyramide. Stolz schrieb ich meinen und Djedefs Namen in den schnell trocknenden Lehm – wie ich es an der großen Pyramide gesehen hatte: Dort fand sich an jeder Ecke der Königsname des Seneferu in einer Kartusche.

      Als mein Vater nach Hause kam, betrachtete er erstaunt mein Werk. »Hast du die Pyramide gebaut?«, fragte er.

      »Ja, das ist meine eigene!«, sagte ich stolz.

      »Nur Könige haben Pyramiden«, wandte er ein.

      »Jetzt habe ich auch eine. Aber ich schenke sie dir.« Mit der Hand löschte ich meinen Namen aus und schrieb stattdessen seinen in den Lehm. »Jetzt ist es deine Pyramide.« Triumphierend legte ich den Schlussstein auf die Pyramidenspitze.

      Dann passierte die Katastrophe! Der noch feuchte Lehm begann wegzugleiten. Entsetzt stand ich vor meinem zerfließenden Bauwerk.

      »Nefrit, ich werde niemals in einer Pyramide begraben sein«, sagte mein Vater ernst.

      Doch er sollte sich irren.

      Schon früh am Morgen herrschte eine unglaubliche Aufregung auf der Baustelle. Zuerst dachte ich, dass die Wasser des Hapi erneut zu steigen begonnen hatten, weil viele Arbeiter im Hafen an den Landungsstegen der Barken waren. Doch dann sah ich Bewaffnete, die nicht die übliche Kleidung der Lagerpolizei trugen. Ihre Rüstungen schimmerten in der aufgehenden Sonne, und sie waren mit Bronzeschwertern bewaffnet.

      Ich stürmte hinüber zu Aperires Zelt.

      »Ich habe keine Zeit, Nefrit!«, keuchte er noch ganz außer Atem, während er eine schwere Goldkette mit dem Sonnenemblem seines Gottes umlegte. Er trug sonst nie Schmuck. »Verschwinde und lass dich heute hier nicht blicken!«

      »Was ist los?«, fragte ich und nahm auf einem Klappstuhl Platz, als hätte er mich nicht gerade fortgeschickt.

      »Prinz Nefermaat besucht überraschend die Baustelle. Er ist als Wesir der Vorsteher aller Bauarbeiten des Königs.


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