Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski
vor der immer näher heranrückenden Ostfront vor, rüstete vier große Planwagen für die Flucht her und stattete sie mit eingeweckten Wurst- und Fleischwaren und anderen Vorräten aus, von denen wir ein Jahr lang hätten leben können und brach auch schon rechtzeitig mit uns mit dem Pferdetreck auf, kam aber nur etwa 100 Kilometer voran, weil die SS uns an der Weiterfahrt hinderte. Man glaubte immer noch fanatisch an den Endsieg. Wir wurden unterwegs zweimal von der russischen Front überrollt. Die Bilder von den brennenden Scheunen, kokelnden Häusern, herumliegenden Leichen und roten Blutlachen im tiefen Schnee sehe ich wie gestern. Wir saßen im Keller, oben brannte der Pferdestall und ich höre heute noch die vor Todesangst schreienden Kreaturen. Für 1 ½ Tage ging die Front immer hin und her, bis wieder deutsche Soldaten auftauchten und uns zur Fortsetzung der Flucht ermunterten. Mein Großvater wurde verwundet und war fortan stark behindert, die weitere Flucht aktiv mitzugestalten. Zwei französischen Kriegsgefangenen, die mehr Angst vor den Russen hatten, als wir selber, haben wir zu verdanken, dass es uns doch noch gelang, über das Frische Haff westwärts zu entkommen. In Danzig mussten wir alles stehen und liegen lassen, kamen mit Mühe und Not noch in einen Eisenbahnzug. Mein Großvater schob uns Kinder durch ein Fenster in den völlig überfüllten Waggon und auf diesem Wege kamen wir zu Verwandten nach Berlin, wo ich die Bombenangriffe der letzten Kriegsmonate erlebte. Wir wurden zweimal ausgebombt. Mit meiner Zwillingsschwester zusammen wurde ich von den übrigen Verwandten getrennt. Später verschlug es uns nach Walsrode und Bergen-Hohne in der Südheide, wo mein Vater beim Aufbau der Bundeswehr und ihrer Einrichtungen beruflich engagiert war. Er hatte immer noch die Sehnsucht nach allem Militärischen und pflegte weiterhin Kontakte zu den "alten Kameraden". Mir sind noch die "blonden Siegfrieds" von Hitlers früherer Leibstandarte in Erinnerung, die im Hause meines Vaters verkehrten.“ – Jürgen wurde Pazifist und Weltbürger.
http://seemannsschicksale.klack.org/seite9.html
Mit Pferd und Wagen von Ostpreußen bis Lübeck
Stationen einer Flucht
Abdruck mit Genehmigung durch Helmut Ramm.
Nach Aufzeichnungen seiner Tante, Frau Helene Krause, geb. Liedtke, die er für eine Internetseite zusammengestellt hat.
Die Flucht aus Romitten im Kreis Preußisch Eylau in Ostpreußen
vom 26. Januar 1945 bis 29. März 1945
Frau Krause hatte diese Aufzeichnungen in einem kleinen Heft während der Flucht und kurz danach gemacht.
Mit meinem Mann, Otto Krause, besaß ich in Romitten einen Bauernhof von 28 ha. Wir hatten neben dem Vieh vier Arbeitspferde, denen wir mit verdanken, dass wir mit unseren Wagen bis Lübeck gekommen sind.
Das erste Mal habe ich im September 1944 an eine Flucht gedacht, weil abends in aller Stille der Geschützdonner der Artillerie in der Ferne zu hören war. Die Front war im Herbst 1944 schon z. T. an die ostpreußische Grenze herangekommen. Eine Flucht zu diesem frühen Zeitpunkt war jedoch verboten, weil laut Bestimmungen derjenige Bauer Haus und Hof verlöre, welcher ohne Genehmigung der Behörden fliehen würde.
Im Oktober 1944 habe ich als Vorbereitung auf eine bevorstehende Flucht 5 Betten in Säcke gesteckt, incl. Unterbetten. Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt (ab 25.7.1944) als Soldat in Pommern. Im Oktober 1944 kamen bereits Flüchtlinge aus dem östlichen Ostpreußen gen Westen gezogen, weil sie dort schon die Front erreicht hatte. Diese Flüchtlinge mussten wir Bauern aufnehmen. Ich habe eine Bäuerin (Frau Tiney) zugeteilt bekommen mit 10jähriger Tochter und Schwiegervater. Die Verpflegung dieser drei Menschen ging über Lebensmittelkarten und durch mitgebrachte Lebensmittel. Sie kamen mit ihrem Pferdefuhrwerk. Im Oktober 1944 bekam jeder Bauer in Romitten (es waren ca. 10 Bauern in Romitten) ein Fuhrwerk mit Flüchtlingen zur Aufnahme und Gewährung von Unterkunft zugeteilt.
Der Geschützdonner war an manchen Tagen, je nach Windrichtung, gut zu hören und ließ uns nichts Gutes ahnen. Von Oktober 1944 an habe ich wegen des Geschützdonners keine innere Ruhe mehr gefunden, und die Angst wurde immer mehr. Ich habe mir zu diesem Zeitpunkt auch schon den möglichen Fluchtweg gen Westen aufgezeichnet, obwohl wir später wegen der Russen einen ganz anderen Fluchtweg nehmen mussten. Unsere Ernte an Kartoffeln und Rüben war eingefahren und die Herbstbestellung der Felder war auch schon beendet, d. h. Roggen und Weizen waren eingesät.
Und nun harrten wir der Dinge, die da kommen würden. Die Front kam immer näher, kam aber an der Grenze zu stehen. Im November konnten wir dann keinen Geschützdonner aus der Ferne hören. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Mit unseren 3 Flüchtlingen sind wir sehr gut ausgekommen. Es waren liebe Leute.
Im Dezember 1944 kam mein Mann von der Front zum Genesungsurlaub nach Hause. Er war im Herbst am Rücken verwundet worden und war vom 12.12. bis 27.12.1944 zu Hause. Weihnachten haben wir schon über die vermutlich bevorstehende Flucht gesprochen. Informationen darüber, wie weit der Russe vor Ostpreußen stand, haben wir von keiner Seite, auch nicht über Radio, erhalten.
Das Leben ging jetzt noch normal bis zum 13. Januar 1945 weiter. An diesem Tage brach die russische Offensive los. Jetzt stieg die Angst bei uns, fliehen zu müssen, und wir haben uns weiter auf eine bevorstehende Flucht vorbereitet.
Janek, unser 35 Jahre alter polnischer Kriegsgefangener, der bei uns arbeitete, machte zwei Kastenwagen, die sonst für Rüben- und Dungfahren genutzt wurden, fahrbereit. Der von der Partei eingesetzte Ortsgruppenführer teilte jetzt auf jedem Hof ein, wer auf der Flucht mit wem fahren sollte. Das bedeutete, dass jeder Bauer mit Fluchtwagen eine gewisse Anzahl von Dorfbewohnern ohne Fluchtwagen mitnehmen musste. Der Ortsgruppenführer hat jetzt alle Dorfbewohner aufgefordert, Vorbereitungen für eine bevorstehende Flucht zu treffen. Der Fluchttermin selbst stehe noch nicht fest; er würde noch mitgeteilt. Wer jetzt bereits ohne Erlaubnis auf eigene Faust fliehen würde, so wurde gedroht, dem würde der Hof enteignet.
Tante Lene schildert jetzt die eigentliche Flucht, die sie in einem kleinen Heft aufgezeichnet hatte:
Freitag, 26. Januar 1945:
Die letzten Tage hören wir den Kanonendonner. Die Front kommt immer näher. In der letzten Nacht ist der Feind in Uderwangen eingedrungen und stößt in Richtung Abschwangen vor. Noch 6 km von unserem Heimatdorf Romitten entfernt. Nachmittags um halb fünf Uhr (16:30 Uhr) verlassen wir in geschlossenem Treck unsere Heimat. Durch tiefen Schnee geht unser Weg in Richtung Westen. Wir haben beide Wagen mit unserer Habe und Futter für die Pferde beladen. Zwei Polen sind die Fahrer: Janek, unser polnischer Kriegsgefangener und ein weiterer jüngerer Pole, der bei uns arbeitete.
Es fällt mir sehr schwer, mit meinem Sohn Werner (geb. 31.12.1940) wegzufahren und alles zu verlassen, was uns lieb und wert war. Wir fahren auf die verstopften Straßen und sind dem Winter und dem Elend preisgegeben. Mein Mann ist Soldat und weit von uns weg.
Sonnabend, 27. Januar 1945:
Nach kalter, durchfahrener Nacht auf den verstopften Straßen, machen wir morgens in Kilgis vor Kreuzburg Rast. Die Pferde sind hungrig und müde. Wir sind durchgefroren und sehen, wo wir uns heißen Kaffee kochen können. Alles ist von Flüchtlingen und Soldaten überfüllt. Zur Nacht finden wir in einem kleinen Dachstübchen, auf dem Fußboden, ein Nachtlager.
Sonntag, 28. Januar 1945:
Bei klirrender Kälte von fast 30 Grad fahren wir morgens um 5 Uhr weiter in Richtung Kreuzburg, Zinten. Gegen Abend kommen wir in Klaussitten an. Alles ist überfüllt von Flüchtlingen und Soldaten. Unser Brot ist zu Stein gefroren. Werni weint vor Hunger und Kälte. Wir melken die Kühe und auf dem Futterdamm, bei den Kühen, richten wir uns ein Nachtlager her. Die Polen versorgen die Pferde, die in der Scheune ein Plätzchen gefunden haben. Wir bleiben die ganze Woche hier und sehen die verstopften Straßen. Es ist kein Platz, dass wir uns in den endlosen Treck wieder einreihen