Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski

Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern - Jürgen Ruszkowski


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fahren wieder den ganzen Tag und kommen abends auf ein Gut. Ich schlafe mit Werni im Maschinenhaus der Schnapsbrennerei. Frau Zahlmann ist krank an Ruhr.

      Mittwoch, 21. Februar 1945:

      Wir passieren die Stadt Stolp. Frau Zahlmann kommt ins Krankenhaus. Gegen Abend kommen wir in das Dorf Überlauf. Wir finden bei einem Bäcker mit unseren Pferden Unterkunft, bei guten Leuten.

      Donnerstag, 22. Februar 1945:

      Es geht morgens wieder weiter. Die Pferde sind so überanstrengt, sie brauchen Ruhe, aber wir müssen täglich weiter. Wir nächtigen in einer Schule. Die Pferde sind notdürftig untergebracht. Außer den 3 Pfund Hafer erhalten sie nur Stroh. Die armen Tiere tun mir leid.

      Sonnabend, 24. Februar 1945:

      Wir passieren die Stadt Rügenwalde und fahren bis Dammshagen, einem Bauerndorf. Ich bin bei Bauer Loose im Quartier. Die Pferde sind gut untergebracht.

      Sonntag, 25. Februar 1945:

      Es ist Mittag und wir wollen in Dammshagen Sonntag halten, aber der Bürgermeister schickt uns weiter. Bei strömendem Regen müssen wir raus. Nachts 11 Uhr werden wir in Abtshagen aufgenommen. Ich bin bei Bauer Schwarz. Die Pferde sind nur in einem offenen Schauer untergebracht, die armen Tiere frieren. Die Leute sind gut zu uns und behalten uns bis Dienstag.

      Dienstag, 27. Februar 1945:

      Mittags fahren wir weiter, die Straßen sind verstopft. Nachts 11 Uhr sind wir in der Stadt Köslin. Wir fahren auf einem Platz nebeneinander auf. Die armen Pferde stehen draußen in tiefem Dreck. Werni kann vor Durst nicht einschlafen.

      Mittwoch, 28. Februar 1945:

      Wir verlassen Köslin, die Straße ist sehr von Trecks verstopft. Es heißt die Russen sind durchgebrochen. Die pommersche Bevölkerung flieht mit uns. Wir nächtigen auf der Straße.

      Donnerstag, 1. März 1945:

      Wir fahren weiter. Es geht nur langsam voran. Ein großer Schneesturm überfällt uns. Die Pferde taumeln, so wirft der Sturm sie zur Seite. Die Pferde kommen abends in einer Scheune unter. Wir schlafen 1½ km entfernt in einer Schule und bekommen von der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge) eine warme Suppe.

      Freitag, 2. März 1945:

      Morgens geht es weiter. Immer das alte Lied, wir fahren und fahren. Mittags sind wir in Kolberg, empfangen Hafer für unsere armen, abgemagerten Pferde. Wir finden kein Quartier und übernachten, wie so oft, auf der Straße.

      Sonnabend, 3. März 1945:

      Es ist sonniges Frühlinswetter. Wir kommen gegen Abend in das Dorf und Gut Dorphagen.

      Sonntag, 4. März 1945:

      Nachts haben unsere beiden Stuten verfohlt (Fehlgeburt). Die Fohlen sind tot und die Mutterstuten sehr abgekämpft. In dieser Nacht kommt auch für Dorphagen der Räumungsbefehl und wir müssen diese abgekämpften, todkranken Tiere anspannen und fortfahren. Wir fahren die ganze Nacht ohne Pause. Die Stuten sind vor dem Zusammenbrechen. Doch wir müssen fahren und fahren. Gegen Mittag stockt der endlose Treck. Wir sind im Dorf Wustermitz. Die Einwohner sollen fliehen. Sie verkaufen an uns Hafer und Hühner. Nachmittags 2 Uhr stehen die Russen ½ km vor uns mit 5 Panzern auf der Straße. Unser Schreck und die Angst sind unbeschreiblich. Wir kehren mit unseren 13 Romitter Wagen um und fahren einen Waldweg entlang, Richtung Westen. Wir haben Glück, aus der Umklammerung herauszukommen und fahren nachts um 11 Uhr über die Dievenowbrücke in Wollin (der östliche Mündungsfluss der Oder vom Stettiner Haff in die Ostsee). Noch 3 km fahren wir, und dann können wir endlich Rast machen mit unseren todkranken Stuten. Sie müssen am Wagen stehen. Es ist kein Quartier zu finden.

      Ergänzend erzählte mir Tante Lene:

      Hier vor der Dievenowbrücke stauten sich die Flüchtlingszüge, die auf mehreren Wegen gekommen waren. Jeder versuchte die Spur, die zu der Brücke führte, zu erreichen. Ich scherte aus unserem Zug mit meinem Nachbarn Klein zusammen aus, durchfuhr einen Graben und erreichte parallel zu der Straße auf einem Weg die Anfahrt zu der Dievenowbrücke. Es war die Nacht vom 4. auf den 5. März 1945, als wir auf die Brücke fuhren und die Glocke vom nahen Kirchturm schlug genau 23 Uhr, als wir auf der Dievenowbrücke waren.

      Die Oder mit ihren Mündungsläufen war der letzte große zu überquerende Fluss auf dem Weg nach Lübeck.

      Wieder das Tagebuch:

      Dienstag, 6. März 1945:

      Nach einer Nacht unter freiem Himmel müssen wir weiter. Die Russen beschießen die Stadt Wollin. Wir befinden uns jetzt auf der Insel Wollin. Wir fahren weiter bis zum Dorf Kodram. Die Pferde kommen notdürftig unter. Ich schlafe mit Werni bei einer Bäuerin auf dem Fußboden. Morgens um 10 Uhr wird die Dievenowbrücke zwischen Hagen und Wollin gesprengt, über die wir noch entkommen sind. Wir fahren wieder weiter. Über die Insel streicht ein kalter Frostwind. Die beiden Stuten haben 40,5 Grad Fieber, sie sind weiterhin vor dem Zusammenbrechen. Ich fahre zu einem Bauern im Dorf Kolzow und bleibe bis Freitag Mittag, damit sich die Pferde etwas erholen.

      Freitag, 9. März 1945:

      Es ist Nachmittag. Die kranken Stuten werden wieder angespannt. Wir fahren bis in den Wald und bleiben über Nacht dort.

      Sonnabend, 10. März 1945:

      Wir halten im Wald. Die kranken Stuten müssen wieder vor dem Wagen stehen. Sie fressen wenig. Wir kochen im Wald und hausen wie die Zigeuner.

      Sonntag, 11. März 1945:

      Frau Winkelmann ist nachts gestorben. Sie wird in eine Decke gewickelt und im Badeort Waren an der Kirche beerdigt. Die Männer von unserem Treck schlachten eine Kuh. Auf 100 Personen wird das Fleisch verteilt.

      Montag, 12. März 1945:

      Wir fahren aus dem Wald auf die Straße nach Swinemünde. Morgens um 10 Uhr ist ein großer Luftangriff auf Swinemünde. Wir sind 10 km entfernt. Es fallen schwere Bomben. Die Erde bebt, es ist die Hölle los. 22.000 Menschen, zum größten Teil Flüchtlinge, sollen hier den Tod gefunden haben.

      Dienstag, 13. März 1945:

      Wir sind in Liebeseele. Die Straße ist verstopft. Klein und Schwarz, die unsern Treck anführen, sind sich nicht mehr einig, wohin gefahren werden soll. Der Treck teilt sich.

      Mittwoch, 14. März 1945:

      Wir sind einige Kilometer vorgerückt und nächtigen wieder auf der Straße. Die Stuten sind noch krank und magern zusehends ab. Wir kochen im Straßengraben. Auf der Insel Wollin gibt es bald keine Lebensmittel mehr. Überall wo wir fahren, säumen tote Pferde die Straße. Die armen Tiere die den großen Strapazen erlegen sind, ein Bild des Jammers.

      Donnerstag, 15. März 1945:

      Wir nähern uns Swinemünde und halten am Bahnhof Pritter. Das Futter für die Pferde ist knapp. Wir haben kein Brot. Der Durchfall hält jetzt sechs Wochen an. Ich fühle mich krank und schwach. Die Krätze lässt uns nachts nicht schlafen. Von den Läusen bin ich weiter verschont geblieben. Wir sind jetzt sieben Wochen auf der Straße. Das Zigeunerleben ist schwer.

      Freitag, 16. März 1945:

      Wir fahren auf Swinemünde zu und sehen die Verheerungen der schweren Bomben. Man spricht von 50-Zentnerbomben. Ein Bild der Zerstörung und des Grauens. Die Straßen säumen zertrümmerte Treckwagen und die zerstreute Habe und tote Pferde liegen herum. Von diesem Angriff liegen die toten Opfer, (es sollen 22.000 sein) am Bahndamm, Flüchtlinge und Soldaten. Überall große Bombenkrater, Tod und Verderben, ein unbeschreiblicher Anblick. Wie durch ein Wunder sind wir davon bewahrt geblieben. Um 10 Uhr nähern wir uns dem Hafen Swinemünde. Die große Bahnfähre bringt uns ans westliche Ufer der Swine. Wir alle entfernen uns schnell von der Stätte des Grauens, aus Angst, die Bomber könnten wiederkommen. Am Abend sind wir auf einem großen Platz angekommen


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