EQ-Training. Peter Schmidt
wieder durch den Begriff der »Emotionalen Intelligenz« ein wenig näher gekommen.
Nicht nur der Intelligenzquotient stellt einen wichtigen Faktor dar, definierten wir oben, wenn wir unser Leben erfolgreich bewältigen wollen, sondern der Umgang mit unseren Gefühlen kann einen möglicherweise noch höheren Stellenwert beanspruchen. Menschen, denen man eine hohe emotionale Intelligenz zuspricht, sind gesünder und erfolgreicher. Und emotionale Intelligenz lässt sich offensichtlich steigern, wenn wir uns über den genauen Stellenwert der Gefühle im Leben klar werden.
Ohne Gefühle bestünde unsere Erfahrung nur aus neutralen Wahrnehmungen und Gedanken.
Dass Lust anziehend ist, dass wir sie schätzen, dass ein Gefühl des Behagens seinen evidenten Wert hat, dass ein Braten gut schmeckt, dass Freude positiv ist, muss uns niemand erklären. Und dies gilt sogar ungeachtet unserer eigenen Einschätzung des Sachverhalts, unserer falschen oder richtigen Meinung, denn sieht man von Ausnahmen ab, bewegen wir uns völlig intuitiv und automatisch in Richtung auf positive Gefühle.
Was das Gefühl zu dem macht, was es ist, wenn es uns so erscheint, wie es ist, seine Attraktivität, erklärt sich selbst, es zeigt sich. Wir können nur sagen: »Fühle es, und du wirst verstehen, was ich meine!«
Und hinsichtlich der negativen Gefühle gilt dasselbe: Schmerz, Trauer, Niedergeschlagenheit, Wut, Neid, Müdigkeit, Eifersucht, Depression, Melancholie zeigen ihre negative Qualität unmittelbar und evident. Negative Qualität heißt: für sich allein betrachtet negativ, denn zweifellos stellen manche negativen Erfahrungen (wenn auch bei weitem nicht alle) Mittel dar und haben die Funktion, positive Werte zu ermöglichen oder zu erhalten:
Der Schmerz, wenn wir uns an der Kerzenflamme verbrennen, ist für sich allein betrachtet zwar negativ, eben als Schmerz; er ist aber auch ein Mittel, und daher ein positiver Wert, um unseren Körper vor Verletzungen durch Verbrennen zu schützen.
8 Glück und Gefühl
Die Frage, was das Glück sei, lässt sich leichter beantworten, wenn wir wissen, dass Angenehm- und Unangenehmsein die wesentlichen Faktoren des Gefühls sind. Sie werden ein überwiegend von positiven Gefühlen und von wenig negativen Gefühlen geprägtes Leben »glücklich« oder »glücklicher« nennen als ein Leben, in dem Sie überwiegend negative Gefühle erleiden müssen.
Glück im allgemeinen Sinne ist nach dieser Definition ein Zustand, in dem positive Gefühle vorherrschen, in dem Sie emotional »erfüllt« sind.
Dies gilt offenbar auch, wenn Sie sich über die entscheidende Rolle des Gefühls gar nicht völlig im klaren sind. Als Menschen sind wir in der Regel – von Natur aus, aber auch durch gesellschaftliche Prägung – naturalistisch, bzw. objektivistisch orientiert. Wir glauben, das Glück hänge allein, oder doch überwiegend, von objektiven Faktoren ab.
Wie wir im Folgenden noch genauer sehen werden, verwechseln wir zu oft die Sachen, die Dinge und Sachverhalte, die eigentlich nur Mittel zu unserem Glück darstellen, mit dem Glück selbst. Wir halten die Werte, die wir in unseren Werterfahrungen erleben, für objektiv. d.h. für an den Sachen selbst existierend.
Dass es vor allem die innere Antwort des Gefühls ist, die den Dingen ihren Wertcharakter verleiht und dadurch überhaupt erst ermöglicht, dass wir uns glücklich fühlen, ist weitgehend unbekannt.
In der Diskussion über Gefühle, vor allem über das Glück, hört man häufig, immer glücklich zu sein, müsse doch todlangweilig sein. Aber das ist ein fast schon tragikomisches Missverständnis, weil positive Gefühle oder Glück nun einmal nicht negative Gefühle oder Langeweile beinhalten können. Glück und Langeweile schließen einander schon per Definition aus. Gesellt sich aber das negative Gefühl zum positiven Gefühl, wie etwa im Phänomen des Masochismus, dann erfahren wir auch keine reine Positivität, kein ungetrübtes Glück.
9 Die Entdeckung unseres mentalen Hauptprinzips
Wir essen also nicht nur, um Nahrung zu uns zu nehmen, sondern weil es uns »schmeckt«. Wir gehen ins Theater, weil wir ein Stück »unterhaltsam« finden. Wir vermeiden es, uns mit hässlichen Dingen zu umgeben. Wir fliehen die Langeweile. Wir scheuen den Ärger, die Anstrengung, die Sorge. Eine Beleidigung ist für uns vor allem deswegen ein Problem, weil wir durch sie negative Gefühle erfahren.
Der gemeinsame Nenner aller Gefühle, so verschieden sie ansonsten auch sein mögen, ist offensichtlich ihr Angenehm- oder Unangenehmsein.
Dieser gemeinsame Nenner ist das in der Regel kaum oder gar nicht bewusste »mentale Hauptprinzip des Bewusstseins«. Wirksame psychische Therapien wie etwa das Desensibilisierungstraining gegen Ängste in der Verhaltenstherapie nutzen daher den Faktor Gefühl, um zum Beispiel Ängste »zu verlernen«. Diese Einsicht ist auch von großer Tragweite für die Möglichkeit der positiven Veränderung des Bewusstseins im EQ-Training, wie sich noch zeigen wird.
Gefühle motivieren und bewegen uns mehr oder weniger bewusst oder auch unbewusst durch ihr Moment des Positiv- und Negativseins.
Der Versuch, Ihr Bewusstsein in Richtung auf mehr Positivität und weniger Leiden zu entwickeln, wird um so erfolgreicher sein, je klarer Sie diesen Sachverhalt in seinem ganzen Umfang erkannt haben. Das ist keine ganz leichte Aufgabe, weil viele – auch kulturelle und gesellschaftliche – Gründe und Gewohnheiten gegen diese Auffassung zu sprechen scheinen.
Die folgenden Listen sollen Ihnen einen ersten Eindruck von dem Umfang vermitteln, in dem das Prinzip des Angenehm- und Unangenehmseins der Gefühle gilt. Erst wenn Sie erfassen, dass es sich tatsächlich um den mit Abstand wichtigsten Faktor Ihres Lebens handelt und wenn Sie nach und nach dieses Prinzip auch in Ihren ganz persönlichen Erfahrungen als mentales Hauptprinzip verifizieren können, kann EQ-Training seine volle Wirksamkeit entfalten.
In den folgenden beiden Gruppen von Gefühlen lässt sich jeweils ein gemeinsamer Nenner finden, so verschieden die Gefühle im einzelnen auch sein mögen, und dieser gemeinsame Nenner ist der eigentliche und letzte Grund, der uns bewegt, d.h., der uns zustimmen oder ablehnen lässt, der uns zur Aktivität »Hin zu…« oder »Weg von …« veranlasst, der mithin als unser mentales Hauptprinzip angesehen werden muss:
1. Freude, Behagen, Lust, Dankbarkeit, Liebe, Verliebtheit, Genugtuung, Glück, Zufriedenheit, Optimismus, Orgasmus, Selbstachtung, Genuss, Euphorie, Begeisterung, Triumph, Vergnügen, Jubel, Entzücken, Fröhlichkeit, Befriedigung, Wonne, Wohlbefinden, Zuversicht, Vertrauen.
2. Ärger, Unbehagen, Nervosität, Beklemmung, Wut, Zorn, Trauer, Angst, Furcht, Schmerz, Kummer, Eifersucht, Neid, Abscheu, Ekel, Panik, Unruhe, Sorge, Gereiztheit, Aggression, Ungeduld, Frustration, Ungerechtigkeit, Langeweile, Überdruss, Resignation, Verzweiflung, Unruhe, Widerwillen, Misstrauen, Selbstverachtung.
Unabhängig vom jeweiligen besonderen Sachverhalt – Eifersucht etwa ist rein sachlich oder der Bedeutung nach betrachtet eine andere menschliche »Konstellation« als »Verzweiflung« – lässt sich in der Gruppe 2 immer ein negatives Gefühlsmoment ausmachen.
Und entsprechend finden wir in der Gruppe 1 immer ein positives Gefühlsmoment.
Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir leiden nicht einfach nur wegen des sachlichen Zusammenhangs oder der gedanklich erfassten Bedeutung, die sich in der Situation der Eifersucht zeigt.
Dies wäre nur kognitiv erfasste Negativität.
Sondern wir leiden, indem Eifersucht uns ein negatives Gefühlsmoment erleben lässt. »Leiden« und »negatives Gefühlsmoment« sind demnach Synonyme, insofern sie ein negatives Moment enthalten, wobei Leiden allerdings dem Sprachgebrauch nach eher den sehr starken negativen Gefühlen vorbehalten ist.
Und umgekehrt streben wir meist nur deswegen nach Liebe, nach Freude, Wohlbehagen, Zufriedenheit usw., weil sich darin bei aller Verschiedenheit des Erlebens ein Gemeinsames zeigt: das positive Gefühl.