Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Quelle verteidigen wollt, anstatt daß Ihr unaufhörlich
jammert.« »Geh!« zürnte die Herrin, »ich will nichts
mehr davon hören!« »Auch gut, Frau!« schmollte Lunete,
»da kann man nichts machen, wenn sich die
Herrin über guten Rat erzürnt.« Aber ihre Worte hatten
doch gewirkt, die Dame hätte gar zu gern gewußt,
wie Lunete beweisen wollte, daß sie einen besseren
Ritter finden könne, als ihr Gatte gewesen war, und
bald kam das Gespräch wieder auf diesen Gegenstand.
»Gesetzt, daß zwei Ritter sich bewaffnet im
Kampfe gegenüberstehen«, sagte Lunete, »und daß
der eine den anderen besiegt, wer, glaubt Ihr, ist wohl
der bessere? Ich meinerseits würde dem Sieger den
Preis zuerkennen. Und Ihr?« »Mir scheint, du willst
mir auflauern, um mich dann beim Wort zu nehmen.«
»Ich sage die reine Wahrheit, ich will Euch nur beweisen,
daß der, welcher Euren Gatten besiegte, ein
besserer Ritter ist als jener war.« Nun brach der Zorn
der Herrin los und Lunete eilte wieder zu Iwein, der
bekümmert darüber war, daß er den Anblick der
Schloßherrin entbehren mußte. Diese sorgte sich indessen
doch darum, wie sie ihre Quelle verteidigen
sollte, und sie bereute ihre harten Worte gegen Lunete.
Am anderen Morgen entschuldigte sie sich bei ihr
und fragte sie nach Name und Art des Siegers. »Ich
werde ihn«, sagte sie, »dafür bürge ich dir, zum Herrn
über mich und mein Land machen. Aber es muß so
geschehen, daß über mich keine üble Nachrede entsteht,
etwa: das ist die, die den Mörder ihres Gatten
genommen hat.« »Gewiß, Herrin, Ihr werdet den edelsten
und vornehmsten und schönsten Mann bekommen,
der je aus dem Stamme Abels geboren wurde.«
»Wie heißt er denn?« »Herr Iwein.« »Bei Gott, der ist
nicht übel. Er ist von edler Geburt, ich weiß wohl, er
ist der Sohn des Königs Urian.« »So ist es.« »Und
wann kann ich ihn haben?« »In fünf Tagen.« »Das ist
zu lange, er sollte schon da sein. Er soll heute Nacht
oder doch spätestens morgen kommen.« Lunete versprach
nun, den Ritter herbeizuschaffen und beriet
ihre Herrin, wie sie ihre Barone mit ihrer schnellen
Wiederverheiratung versöhnen könne: es müßte doch
jedem einleuchten, daß die Quelle einen neuen Verteidiger
haben müsse.
Iwein wurde also vor die Schloßherrin geführt, um
von ihr, wie die listige Lunete sagte, ins Gefängnis
geworfen zu werden, und er folgte demütig und krank
vor Liebe und Sehnsucht. Und hatte die Jungfrau
nicht recht, wenn sie ihn einen Gefangenen nannte?
Denn wer liebt, ist in Ketten. Gebeugten Hauptes trat
Iwein vor die Schloßherrin, er faltete die Hände und
ließ sich vor ihr auf die Knie nieder. »Herrin, ich bitte
nicht um Gnade. Gern will ich alles leiden, was Ihr
mit mir vorhabt, und ich will Euch noch dafür danken.
« »Und wenn ich Euch töten lasse, wie Ihr meinen
Herrn getötet habt?« »Wenn Euer Herr mich angriff,
welches Unrecht tat ich, mich zu verteidigen?«
»Wenn Ihr Euch schuldlos fühlt, warum wollt Ihr
dann meinen Willen über Euch ergehen lassen? Setzt
Euch und steht mir Rede!« »Herrin, mein Herz treibt
mich dazu!« »Und wer trieb Euer Herz?« »Herrin,
meine Augen!« »Und wer die Augen?« »Die hohe
Schönheit, die ich an Euch sah!« »Die Schönheit, was
hat die damit zu tun?« »Herrin, sie heißt mich lieben!
« »Lieben? Und wen?« »Euch, teure Frau!«
»Mich? Und wie?« »So, daß ich nur noch an Euch
denke, daß ich Euch mehr liebe als mich selbst, daß
ich für Euch leben oder sterben will!« »Und werdet
Ihr meine Quelle schützen?« »Gegen die ganze
Welt!« »Dann sind wir also einig.«
Darauf führte sie ihn in den Saal zu den Baronen,
welchen seine ritterliche Gestalt gewaltig in die
Augen stach und welche ihn ohne Widerrede als ihren
Herrn anerkannten. Noch am gleichen Tage vermählte
sich Herr Iwein mit Laudine von Landuc, der Tochter
des sangesberühmten Herzogs Landunet.
Am Tage darauf kam König Artus mit seinen Begleitern
zur Wunderquelle und zum Stein. »Nun?«
spottete Kei, »was ist aus Iwein geworden, der sich
nach dem Mahle vom Weine berauscht rühmte, seinen
Vetter rächen zu wollen. Er ist feige geflohen!«
»Gnade, Herr Kei,« versetzte Gawein, »wenn Herr
Iwein nicht hier ist, so hat er sicherlich einen Entschuldigungsgrund.
« Kei schwieg und der König goß
Wasser aus dem Becken auf den Stein unter der
Tanne, und sogleich begann es in Strömen zu regnen.
Alsbald erschien Herr Iwein bewaffnet im Walde. Kei
bat den König, als erster mit dem Hüter der Quelle
kämpfen zu dürfen und diese Bitte wurde ihm sogleich
gewährt. Herr Iwein aber versetzte ihm einen
Stoß von solcher Heftigkeit, daß er einen Purzelbaum
von seinem Sattel herab schoß und sein Helm am
Boden rollte. Iwein ließ ihn liegen und trat vor den
König, indem er Keis Roß am Zügel führte. »Herr,«
sprach er, »nehmt dieses Roß. Ich würde übel tun,
wenn ich etwas von Eurer Habe zurückbehalten wollte.
« »Und wer seid Ihr?« fragte König Artus, »ich
kenne Euch nicht, wenn ich nicht Euren Namen höre
oder Euch unbewaffnet erblicke.« Da gab sich Iwein
zu erkennen und Kei war äußerst niedergeschlagen,
zumal da er noch kurz zuvor über ihn gespottet hatte.
Gawein aber freute sich hundertmal mehr als alle anderen,
daß er seinen Gefährten wiedergefunden hatte.
Nun mußte Iwein dem König sein Abenteuer erzählen,
aber als er seinen