Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
seinen Rittern bei ihm Herberge
nehmen. Der König erwiderte, gern wolle er
ihm für eine Woche Ehre, Freude und Gesellschaft
verschaffen. Iwein dankte dem König und nun begaben
sich alle zur Burg, nachdem zuvor ein Bote an
Laudine abgeschickt worden war, der sie von dem be-
vorstehenden Besuch in Kenntnis setzen sollte. Durch
die gaffende Menge ging die Schloßherrin, umgeben
von tanzenden Jungfrauen, in ein Hermelingewand
gehüllt und mit einer rubingeschmückten Krone auf
dem Kopfe, dem König entgegen und bewillkommnete
ihn. Den Tag beschloß ein großes Fest und Gawein
dankte es Lunete durch mannigfache Gunstbezeigungen,
daß sie seinen Freund vom Tode gerettet hatte.
Die ganze Woche verging unter Feiern, Jagden und
Besichtigen der Schlösser. Als aber der König nicht
mehr länger verweilen wollte, ließ er alles zur Abreise
rüsten.
Man hatte sich die ganze Woche bemüht, Iwein zu
veranlassen, daß er mitziehe. »Wie?« hatte Gawein zu
ihm gesagt, »gehört Ihr auch zu denen, die weniger
taugen, sobald sie beweibt sind? Verflucht sei, wer
nur heiratet, um sich zu verliegen, man soll umgekehrt
tüchtiger werden durch den Umgang mit schönen
Frauen. Brecht die Fessel, die Euch bindet, dann wollen
wir beide wieder zu Turnieren reiten, damit niemand
Euch eifersüchtig schilt. Jedes Gut wird begehrenswerter,
wenn man seinen Genuß hinausschiebt,
schöner ist es, ein geringes Glück nach einem Aufschub
zu kosten, als ein großes alle Tage. Späte Liebesfreude
gleicht einem brennenden grünen Busch,
der um so heißer brennt, je länger er zögert, Feuer zu
fangen.« So lange redete Gawein auf seinen Freund
ein, bis dieser ihm versprach, mitzuziehen. Aber
zuvor müsse er seine Herrin fragen, ob sie ihm Urlaub
gewähren wolle, um nach Britannien zurückzukehren.
Er sprach also zu Laudine: »Meine teuere Frau, die
Ihr mein Herz und meine Seele seid, wollt Ihr mir um
Eurer und meiner Ehre willen etwas versprechen?«
»Lieber Herr,« versetzte sie, »Ihr mögt mir befehlen,
was Euch gut dünkt!« Nun bat sie Iwein um Urlaub,
dem König zu folgen und zu Turnieren zu reiten,
damit man ihn nicht träge schelte. Sie sprach: »Ich gewähre
Euch den Urlaub bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt. Aber meine Liebe, die ich zu Euch trage,
wird sich in Haß verwandeln, wenn Ihr diesen Zeitpunkt,
den ich Euch angeben werde, überschreitet.
Wenn Ihr Euch meiner Liebe fürderhin erfreuen wollt,
so seid darauf bedacht, in spätestens einem Jahre zurück
zu sein, acht Tage nach dem Feste St. Johannis.
Los und ledig sollt Ihr meiner Liebe werden, wenn Ihr
an diesem Tage nicht wieder bei mir seid.« Iwein
konnte ihr vor Gram kaum antworten: »Herrin, diese
Zeitspanne ist zu lang. Könnte ich eine Taube sein,
gar oft wäre ich bei Euch! Ich bitte Gott, daß er mich
nicht so lange verharren läßt. Aber was soll werden,
wenn Krankheit oder Haft mich hindern?« »Wenn
Gott Euch vor dem Tode bewahrt, so wird Euch keine
Verzeihung zuteil, wenn Ihr nicht mein zur rechten
Zeit gedenkt. Nehmt diesen Ring an Euren Finger, er
wird Euch vor Kerker und Wunden bewahren. Wenn
ein wahrhaft Liebender ihn trägt, so wird er dadurch
so hart wie Eisen: der Ring soll Euer Schild und Harnisch
sein!« Weinend trennte sich Iwein von ihr, mit
Tränen waren ihre Abschiedsküsse besät und von
Zärtlichkeit umduftet.
Nun begann ein bewegtes Leben. Überall, wo man
turnierte, waren Iwein und Gawein zu sehen. So ging
das Jahr vorüber, und immer noch gelang es Gawein,
seinen Freund zurückzuhalten. Das andere Jahr brach
an und es war schon zu Mitte August, als König
Artus Hoftag in Chester hielt. Gerade am Tage vorher
waren die beiden Gefährten von einem Turnier zurückgekehrt,
bei welchem Iwein den Hauptpreis davongetragen
hatte. Sie hatten nicht in der Stadt absteigen
wollen, sondern hatten ihre Zelte außerhalb der
Mauern aufgeschlagen. Dort suchte sie König Artus
auf und setzte sich zwischen sie auf das Lager. Da begann
Herr Iwein in Gedanken zu verfallen und nie,
seit er von seiner Herrin Abschied genommen hatte,
war ihm ein Gedanke so schwer aufs Herz gefallen
wie dieser, denn er wußte wohl, daß er sein Versprechen
nicht gehalten hatte und daß der Zeitpunkt überschritten
war. Noch grübelte er so, da sah man auf
schwarz- und weißgeflecktem Roß eine Jungfrau heranreiten.
Vor dem Zelte stieg sie ab, aber niemand
kam, ihr zu helfen, niemand nahm ihr Roß in Hut. Als
sie den König erblickte, ließ sie den Mantel fallen und
trat ins Zelt. Sie sagte, ihre Herrin lasse den König
grüßen und Gawein ebenso und alle außer dem Verräter
Iwein, dem Lügner und gleißnerischen Schwätzer,
der sie verlassen und betrogen habe. »Als Heuchler
hat sich der erwiesen, der sich als wahrhaft Liebender
ausgab und doch ein falscher Verräter war. Er hat ihr
Herz gestohlen und ist damit geflohen. Herr Iwein hat
meine Herrin dem Tode nahegebracht. Ach, sie glaubte,
er wolle ihr Herz bewahren und ihr nach Jahresfrist
zurückstellen. Alle Tage des Jahres hat sie in ihrer
Kammer angekreidet und jede Nacht hat sie die Tage
gezählt, die verstrichen waren und die noch kommen
sollten. Doch du kamst nicht. Ich will dich nicht anklagen,
aber so viel will ich sagen, daß uns der verraten
hat, der dich mit unserer Herrin verheiratete.
Iwein, nun sorgt sie sich nicht mehr um dich, sondern
sie befiehlt dir durch mich, daß du ihr nie wieder
unter die