unGlaubliche Patienten. Marcus Schütz

unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz


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ein bekannter Forensischer Psychologe, sondern vor allem der prominenteste Chiropraktiker der DDR sei. Das könne ihr Sohn inzwischen auch. Das träfe sich gut, Monsieur S. habe da gerade ein Rückenproblem. Also legen wir den Militärattaché auf die Gartenwiese und unter den neugierigen Augen seiner Familie knacke ich den Rücken des Generals ein und prompt kann er wieder aufrecht an seinem Kaffeetässchen schlürfen.

      Natürlich leben noch mehr Afrikaner in Ostberlin, eher isoliert, versteht sich, obgleich sie doch aus dem befreundeten Angola und Mosambik stammen. Eine Kommilitonin, die dem Tierpark-Friedrichsfelde gegenüber im Hans-Loch-Viertel wohnt, hat da so ihre Sorgen mit den befreundeten Mosambikanern. Immer, wenn sie von der U-Bahn-Station nach Hause laufe, komme sie an dem Block vorbei, in dem die mosambikanischen Gastarbeiter und Studenten wohnten. Nicht nur, dass es immer dieses klatschende Geräusch gäbe, wenn ein Afrikaner gerade wieder stockbesoffen aus dem 10. Stock kotze, und der Wind den angedauten Speisebrei an die Betonfassade klatsche, sondern auch die plumpe Anmache sei ihr zuwider. Doch dann denke ich, so heimlich für mich: Blond und Schwarz macht eigentlich immer eine schöne Mischung und sind die Nachkommen von Mischehen aus erster Generation nicht überhaupt die schönsten Menschen? Viele Schauspieler leben von diesem Vorteil, bedienen sie doch sekundäre Geschlechtsmerkmale gleich mehrerer Ethnien - Hollywood lässt grüßen.

      Porsche

      Er hätte von meinen Wunderhänden gehört. Der junge Mann ist etwas dysplastisch, zu fett wollte ich nicht sagen. Er hat auch ausgeformte Muskeln. Ist überhaupt ein athletoider Typ mit brachiocephalem Schädel und Stiernacken.

      Rechte Schulter und Kopfschmerzen, sagt er.

      Das kriegen wir schon hin.

      Seine Eltern seien sehr wohlhabend. Haus und Garten so groß wie ein Park. Seine Eltern hätten ihr Geld aber immer sofort ausgegeben. Was denn meine Schweizer Uhr gekostet hätte. Es müsste schon eine Rolex sein, sagt er.

      Die Markenjagd der Möchtegerns und Neureichen.

      Er habe jetzt eine eigene Firma. Versicherungen, Finanzberatung.

      Na mein Bürschchen, Dir würde ich meine Vermögensverhältnisse nicht offen legen wollen, denke ich.

      Er komme aus Tschechien und habe in London Wirtschaft studiert. 25 sei er jetzt, er wolle jetzt schnell Geld machen, Porsche fahren, Rolex tragen.

      Er knöpft sein weißes Hemd auf, schließlich muss er auf die Liege.

      Ob er mir denn trauen könne.

      Mein Ruf eilt mir voraus. Doch es geht nicht um meine heilenden Hände. Es geht um Drogen, seine Abhängigkeit

      Kein Problem, wir können darüber reden. Berlin ist schließlich Partystadt. Wir verstehen uns.

      Er brauche den Joint zur Entspannung. Nach einem langen Arbeitstag. Und zum Sex. Er habe eine neue Freundin.

      Ich arbeite hart an seiner Wirbelsäule und den Muskeln. Auch sein Knie wolle nach der letzten Arthroskopie nicht aufhören weh zu tun.

      Die alte Flamme habe er vor einer Woche abgelegt.

      Nächste Sitzung: Was denn seine neue Freundin mache.

      Da gäbe es schon wieder eine andere. Sie haben das ganze Wochenende gevögelt. Mit einem Joint könne er fünf, sechs Stunden. Er möge keinen schnellen Sex.

      Das kann ich verstehen.

      Es ist Semesteranfang.

      Die Studenten liefen alle rum, als hätte man ihnen einen 500 Euroschein auf die Stirn genagelt. Er habe viele neue Versicherungsverträge abgeschlossen, das Geschäft laufe gut. Ein bereits Porsche-fahrender HMI-ler hätte mit Nonnen das Geld seines Lebens gemacht, ganze Klöster hätte er rentenversichert und in Porsche, Koks und Edelnutten umgewandelt.

      Das mit den Sexpartys kennt man ja aus der Presse.

      Ob er jetzt vielleicht in Solaranlagen investieren solle, immerhin habe er genug Land in Tschechien und die ersten Provisionen solle man versilbern.

      Wie viele Sonnenstunden es vor Ort gäbe, frage ich.

      Na Tschechien, eben, so wie hier. Ob fünf Megawatt viel seien.

      Na das sei schon ein ordentliches Kraftwerk, erwidere ich, reiche für 100.000 Haushalte.

      Sein Rücken sei jetzt viel besser, er habe sich endlich einen neuen Schreibtischstuhl gekauft, für 600 €. Und, am Wochenende sei er endlich Porsche gefahren auf einer Promotionsveranstaltung. Es habe sich hingezogen. Jemand habe einen 200.000 € Porsche an die Wand gesetzt. Totalschaden. 3.000 € Selbstbeteiligung.

      Sein Schlüsselbund ziert jetzt ein Porscheschlüsselband. Was mein Schreibtisch alles ertragen muss.

      Blutegel

      Eine Italienerin. Ihre Freundin hat sie angeschleppt, der hatte ich mal den Fuß gerichtet. Seit dem kann sie wieder laufen. Die Italienerin hat’s auch am Fuß. Sie hätte sich den Fuß beim Schwimmen verstaucht. Sie müsse jetzt viel laufen, die Stadt erkunden. Berlin hätte so unglaublich viel zu bieten.

      Stimmt, denke ich. Man müsste sich immer mal wieder aufs Fahrrad setzen und einen entfernteren Stadtbezirk erkunden. Auch wenn man ihn von früher her kenne. In den zwanzig Jahren nach der Wende hat sich so viel, so unglaublich viel in der Stadt verändert. Selbst als Einheimischer, einer der wenigen Exemplare, die hier sogar geboren sind, hat man immer etwas Neues zu ergründen.

      Ich fange an die Sehnen an ihrem Fuß zu richten, sie sehen eigentlich gut aus. Unter dem Knöchel gibt es eine bläulich verfärbte Stelle.

      Da tue es weh. Und stellen Sie sich vor, in Italien habe man ihr Heparin gespritzt.

      Das sei gar nicht so verkehrt gewesen, sage ich.

      Sie ist verwundert. Die kleinen Piekser in den Bauch hätten ihr immer so weh getan, sie habe es abgesetzt.

      Sie hat eine Thrombose. Ich greife zur Alternativmedizin und bestelle zwei Blutegel. Sie sind steril und kommen aus der Türkei. Mein alter Lehrer hatte sich als Schüler immer nackig in einen Tümpel gestellt. Anschließend hatte er seine Ernte an ein Krankenhaus verkauft. Da nahm man es mit der Sagrotanwelt noch nicht so genau. Am nächsten Tag setze ich die Egel am Thrombus an. Die kleinen Biester fangen an zu saugen, nach einer halben Stunde haben sie ihr Körpervolumen mindestens verdoppelt. Nach einer dreiviertel Stunde sind sie satt und fallen ab, zwei rote Rinnsale am Fuß hinterlassend, so wie nach einem Fernseh-Vampir-Biss.

      Der Blutegel, den ich zuletzt eingefangen hatte, war wunderbar gefärbt, hellgrün mit dunklen Streifen. Er war mir bei einer Expedition durch einen gemäßigten Regenwald auf meine Lederhose gefallen, wo er sich vergeblich festsaugte, haha, nix von meinem Blut ergatterte.

      Der Thrombus am Fuß der Italienerin löst sich auf. Ich verbinde die stark blutende Wunde und empfehle mit der Stadterkundung noch einen Tag zu warten und das Bein lieber Hochzulegen. Sie läuft gleich los, schmerzfrei, es gibt so viel zu entdecken.

      Neureiche Russen

      Spitzt man seine Ohren im Berliner Omnibus, vernimmt man nicht mehr die Gassenhauer von damals; Türkisch klingt es von jedem Sitz. Max findet dit voll krass und Moritz hat sich längst aus dem Staub gemacht. Am Ku'Damm flanieren gestöckelt die christiandiorten Russinnen handynierend in Pelzen entlang, warten auf ihre edlen Limousinen, die sie vom Bummel zum nächsten Appointment transportieren. Am Schlesischen Tor duften Knoblauch und gebratenes Lamm aus dem Döner-Laden, das Starbucks-Café hat amerikanische Touristen zum Potsdamer Platz getragen, im Scheunenviertel wird wieder koscher gekocht, im Prenzlberg wird schwäbisch gesprochen und am Pariser Platz hält man es französisch wie einst. Gesternte Köche verwöhnen die oberen Zehntausend mit Gebratenem und Gesottenem zu den Ersten Bordelaiser Gewächsen.

      Ich werde ins Adlon gerufen.


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