unGlaubliche Patienten. Marcus Schütz
rundes jugendliches Gesicht.
Sie esse jetzt nur noch gesund, viel Salat, wenig Kalorien, keine Mayonnaise.
Ein kleines Erdbeer-Sahne-Törtchen wird serviert. Ich gucke sie fragend an.
Das gönne sie sich einmal in der Woche.
Ihr reicher Mann habe sie - oder sie hat ihn - verlassen, erklärt mir die Dolmetscherin. Sie hätte jetzt einen jungen Stecher und braucht eine Schönheits-OP.
Im freundlich lächelnden Gesicht der Russin verschwindet gerade wieder ein Stückchen der reichhaltigen Torte. Den Tee süßt sie mit dicken Kandisstücken. Ihr Gesicht ist wirklich Jugendlich, was will sie da für eine OP, denke ich. Ihre kleinen prallen Händchen greifen nach ihrer Louis Vuitton Handtasche, sie will das Törtchen bezahlen.
Sie komme gerade aus Mailand. Sie musste ihren Koffer selbst schleppen, auf dem Flughafen. Jetzt habe sie Rückenprobleme.
Deswegen sei ich hier. Ich verkneife es mir, sie zu bedauern. Wir gehen in ihre Suite. Ein Eck-Apartment mit Blick auf Pariser Platz und Wilhelmstrasse. Alles ist großzügig gehalten, gediegen. Zum Nachbarapartment gibt es eine Durchgangstür.
Ihre Tochter komme am Wochenende.
Wir erkoren den Esszimmertisch zur Behandlungsliege. Die Dame verschwindet kurz im Schlafzimmer. Völlig entkleidet und mit einer Bettdecke kommt sie zurück. Schließlich will sie es weich haben, auf dem Esszimmertisch. Augenblicklich wird mir klar wo ihr Schönheitsmakel liegt. Während ich die Wirbelsäule einrenke und den Rücken hart massiere, erklärt die Dolmetscherin: Die Haut an den Oberschenkeln wird durchtrennt, dann wird die gesamte Haut an den Beinen heruntergezogen, das Fett entfernt und wieder hochgekrempelt. Ich glaube, da hätte ich doch lieber auf das Sahnetörtchen verzichtet. Immerhin ist so ein invasiver Eingriff nicht ohne Risiko, da ist schon so manche auf der Matte liegen geblieben. Und ob das Resultat den jungen Stecher halten wird, wage ich zu bezweifeln.
Als mir die russische Dame 50 € Trinkgeld auf mein Honorar drauflegt, erahne ich, was den Stecher in der besten Zeit seines Lebens wirklich bei der mittelalten Dame halten könnte.
Ballettöse
Im Friedrichstadtpalast sorge ich dafür, dass es in der abendlichen Girlreihe keine Ausfälle gibt. Immerhin müssen die Damen des Balletts ihre Beine nicht nur synchron sondern auch auf die gleiche Höhe schwingen.
In der gestrigen Vorstellung gab es einen kleinen Unfall: Nachdem sich ein Tuch über eine Tänzergruppe gesenkt hatte – das gehörte zur Dramaturgie des Stückes – verhakt sich der Fuß einer Tänzerin im verdeckenden Gewebe. Als der Stoff von der Bühne gezogen wurde, gab es für sie kein Entkommen, das hartnäckige Tuch schleift sie über den Tanzboden von der Bühne. Sie verdrehte sich das Knie und ich musste ihre Kreuz- und Seitenbänder neu ordnen. Doch sie war eine wirkliche Pechmarie. Binnen Jahresfrist löste sich diesmal eine Plastikkugel aus dem Theaterhimmel und traf sie direkt auf Kopf und Schulter. Ein Fall für den Notarzt. Das Ende ihrer Karriere.
Wochen später nach dem Klinikaufenthalt stellt sie sich wieder vor, sie litt weiter unter Schwindel und ich machte mich an ihrer Halswirbelsäule zu schaffen.
Ihre Mutter sei Scherenschleiferin. Sie hätte endlich wieder Zeit sich um ihre Mutter zu kümmern, unten in Süddeutschland.
Der Arbeitstag der Balletttänzer ist hart am Friedrichstadtpalast, jeden Tag Vorstellung, am Wochenende doppelt. Nur montags ist frei. Das geht auf die Knochen und das soziale Leben. Mitte 30 ist Schluss. Das ist anders als an den Opernhäusern, wo maximal ein Ballett pro Woche gegeben wird. Auch wenn es anspruchsvoller ist.
Einmal habe ich Pina Bausch kennengelernt. Das war in Berkeley, Kalifornien. Ich war als Dolmetscher eingesetzt, beim Bühnenaufbau, damit die deutschen Bühnenarbeiter der Kompanie, die Deko an den richtigen amerikanischen Haken hängten.
Ob ich nicht mittanzen wolle, fragt Pina.
Nee, ich sei hier nur der Dolmetscher.
Das mache nichts, sie suche noch Leute, die auf der Bühne das amerikanische Alltagsleben darstellen sollen.
Augenscheinlich ist ihr Stück ein Spiegel, eine Art Verarsche des popligen amerikanischen Lebens. Da hätte ich mich vielleicht noch zum Hans, äh, zum Joe gemacht.
Schuster, bleib bei deinen Leisten!
Kokain
Bestimmte Ausscheidungen des menschlichen Körpers lassen sich nicht wegklären. Sie landen irgendwann im Oberflächenwasser und verändern Mensch und Natur nachhaltig. Da gibt es beispielsweise die Weichmacher, die nicht nur über den Urin sondern auch über das Waschmaschinenabwasser oder aus den Plastikflaschen gelöst irgendwann in Flüssen und Seen eintreffen. Festgestellt hat man diesen Effekt zuerst in den USA: das amerikanische Wappentier, der Weißkopfseeadler war und ist immer noch vom Aussterben bedroht. Ein Skandal der vermutlich FBI, CIA und NSA auf den Aktionsschirm lockte. Zumindest das NIH vergab Forschungsgelder. Ornithologen fanden heraus, dass die Eierschalen beim Bebrüten brechen. Die Kalkschalen waren zu dünn geworden.
Der Feldzug geht weiter: nun hat es auch die Alligatoren erwischt! Viele Alligatoren in den Everglades können sich nicht mehr richtig fortpflanzen, die Penisse sind zu kurz. Auch die Lachsbestände in den großen Seen sind drastisch zurückgegangen. Und die Anzahl der Spermien im menschlichen Ejakulat haben sich seit 1945 halbiert.
Die Forschung in den biologischen Laboren läuft auf Hochtouren. Erst Ende der 90er Jahre hat man dann herausgefunden, dass Tenside und Rückstände der Pille die Östrogenrezeptoren besetzten und zu einer Verweiblichung von Menschen und Raubtieren, die im Allgemeinen am Ende der Nahrungskette stehen, führen. Trotzdem produziert die Industrie weiter Plastikflaschen und suggeriert den Konsumenten, sie sollten Mineralwasser im Supermarkt kaufen, anstatt das preiswertere Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. Trinkwasser wird in Deutschland täglich kontrolliert, Mineralwasser allenfalls jährlich. Und was nützt der beste Brunnen, wenn das Wasser in Plastikflaschen abgefüllt wird, aus dessen Wandung sich die Tenside lösen, die anschließend an den Hormonrezeptoren auch des Mannes östrogene Wirkungen entfalten.
Aber nicht nur Weichmacher und Pillenrückstände machen es den Klärwerken schwer, genauso Stoffe, die allgemeinhin als Drogen bezeichnet werden. Rechnete man das mit dem Urin ausgeschiedene Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Kokain, hoch, das man bei Köln aus dem Rhein gefischt hat, käme man auf einen jährlichen Kokskonsum von knapp 10 Tonnen Kokain pro Jahr im Rheingebiet. Legte man 36 Millionen Einwohner im Rheineinzugsgebiet zugrunde und würden täglich 267.134 durchschnittlich großen Portionen dieses Rauschgifts konsumiert, kokste knapp ein Prozent der Bevölkerung täglich!
Das Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung stellte übrigens in der Isar bei München noch höhere Konzentrationen fest als in Köln, der Wert aus der Spree lässt für Berlin auf einen deutlich niedrigeren Konsum schließen. Hier wird mehr gekifft, das ist billiger.
Ein junger Patient sitzt mir gegenüber. Er trägt eine Latexjeans. Sein mächtiger halberigierter Penis beult das Gummi im Schritt überdeutlich aus. Der Oberkörper ist nackt, seine Brustwarzen, oder das, was davon übrig ist, sind vernarbt. Die kräftigen Ringe, die er einst durch die Brustwarzen gepierct hatte, sind ihm bei irgendwelchen Sexspielchen ausgerissen worden. Er wirkt fahrig, ihm ist trotz der zaghaften Bekleidung zu warm, die Pupillen sind geweitet. Die Drogen wirken noch.
Ich sei der einzige Arzt, mit dem er über sein Drogenproblem reden könne.
Ich sei Heilpraktiker, verbessere ich.
Zu mir habe er Vertrauen. Er sei viel in der Szene unterwegs. Er kenne jedes Klo im Club, das mit einem verborgenen, herunterklappbaren Spiegel ausgestattet sei. Allein oder mit einem Kumpel schließe er sich kurz auf dem Abort ein, klappe den Spiegel herunter, schütte aus einer szenetypischen Abpackung das weiße Pulver auf den Spiegel, zerstoße die Klumpen mit seiner Kreditkarte und ziehe dann gekonnt