Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


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Wegen der Anne aus der Waldstraße, die war schon lange krank«, antwortete die große Brünette.

      »Ich finde das blöd. Früher wusste man, ob es die Totenglocke war oder nicht. Heute bimmeln die Glocken den ganzen Tag. Du weißt nicht mehr, woran du bist«, beschwerte sich die grau werdende Brillenträgerin.

      »Wie lange warst du eigentlich nicht mehr in der Kirche?«, fragte die Große. »Ich habe dich ewig nicht mehr gesehen.«

      »Besser überhaupt nicht, als meinen großen Auftritt zu spät haben. Oder kommt die Reni auch nicht mehr.«

      »Ja. Wo du das jetzt sagst. Die hat tatsächlich immer ihren Auftritt ein paar Minuten zu spät.« Die Große blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Dass mir das erst jetzt auffallen muss. Die Reni war schon immer etwas anders.«

      »Kenne ich die«, fragte die kleine Rothaarige.

      »Die hatten früher einen Pudel. Unten in der Corneliusstraße, nahe dem Ulweg.«

      »Ach die. Ja, bei der kann ich mir das vorstellen. Wie ist das eigentlich mit den beiden, die die große Dogge haben? Sie soll abgehauen sein.« Jetzt standen alle vier zu einem Grüppchen zusammen. Links von ihnen reckte der Mais die Stauden in die Höhe. Die Knollen auf der rechten Seite waren seit einigen Tagen geerntet. Die langen Kolonnen der Traktoren auf dem Weg zur Zuckerfabrik behinderten jedes Jahr bis in den Februar hinein den Verkehr.

      »Die ist doch schon lange weg. Mit irgendeinem Heini von der Base. »Sie steckten tuschelnd ihre Köpfe zusammen.

      »Manchmal hätte ich auch Lust einfach abzuhauen …«, die Brillenträgerin stockte. Ein verzweifelter hoher Schrei ertönte aus dem Mais. »Habt ihr das gehört? Mein Gott … wer ist das?«

      *

      »Ria. Ist etwas passiert?« Dennis stand unschlüssig am Feldrand.

      Der erneute Schrei des Mädchens wurde zu einem Wimmern. Todesmutig spurtete der Junge in die Richtung des winselnden Mädchens. Für Etikette war jetzt nicht der Zeitpunkt. Die Maisstauden brachen und fügten ihm Schnitte an den Händen und im Gesicht zu. Da hockte Ria und erbrach.

      »Was ist geschehen?«

      »Da.« Sie deutete nach links, wobei wieder ein Schwall Mageninhalt aus dem Mund schoss.

      Jetzt fiel ihm der bestialische Gestank auf. Süßlich, abscheulich und instinktiv vertraut: Aasgeruch!

      Dennis nahm Ria am Arm und führte sie auf den Weg.

      Die Hundefrauen kamen näher.

      »Was ist los mit euch«, fragte die Große besorgt.

      Würgend zeigte der Junge in das Maisfeld.

      »Da hat wohl wieder ein Schwein seine Kühltruhe entsorgt.« Die kleine Rote meckerte und befestigte Beagle und Schäferhund an einem Weidezaunpfosten. Sie ging festen Schrittes auf das Feld zu.

      »Halt«, die Grauhaarige hielt sie auf. »Du weißt nicht, was dort drin ist.«

      »Wie ich sagte, der Inhalt einer Kühltruhe oder ein totes Tier. Riecht ihr das nicht. Seit Tagen liegt der süßliche Geruch in der Luft. Ich bekomme die Hunde kaum vorbei. Sie wollen immer wieder in den Mais. Das fehlt mir, dass sich einer in Aas wälzt. Den Geruch kriegst du mit nichts weg. Noch nicht einmal mit Baden. Tage stinkt die Sauerei noch.« Sie ließ sich nicht aufhalten und verschwand resolut. Ihr Blick fiel auf eine gequollene Hand, auf der, Fliegen, Maden, Käfer und was sonst noch, krabbelte. Voller Angst wanderte ihr Blick weiter. Ein Mensch. Sie sah aufgesprungene Haut und angenagtes Fleisch. Nackt. Überall sabberte Flüssigkeit heraus, die bestialisch stank. Würgend stand sie wenige Augenblicke später leichenblass auf dem Weg. »Ruft die Polizei«, schwer und tief atmend, um den Brechreiz zu unterdrücken, kamen die Worte über die Lippen. »Dort liegt ein Mensch. Die armen Kinder. Kümmert euch um die beiden.«

      Natürlich hatte niemand ein Handy oder Smartphone dabei.

      Mutig stellte sich die Rothaarige einem Auto in den Weg, das an ihnen vorbei fahren wollte.

      »Ich möchte jemanden dort hinten besuchen.« Der Fahrer zeigte in Richtung Waldstraße. Ihm war wahrscheinlich zu Ohren gekommen, dass die Hundefrauen jeden, der mit dem Auto einen Feldweg entlang fuhr, platt machten und beschimpften.

      »Ja, ja … egal«, sagte die Rothaarige mit einem strafenden Blick. »Rufen Sie die Polizei. Dort im Feld liegt ein toter Mensch.«

      *

      zwei

      Binnen Minuten raste ein Polizeifahrzeug heran und eine halbe Stunde später sah es auf dem Weg und im Feld, wie am Drehort eines Tatorts aus.

      »Wo?«, rief der Polizist, während er die Autotür öffnete. Die Frauen zeigten in den Mais. Kalkweiß torkelte der Beamte Augenblicke später aus dem Feld. Er sprach würgend in das Funkgerät. Von einer Minute auf die andere wimmelte es von Polizei. Ohne viele Worte spannten sie rot-weißes Absperrband um das Maisfeld, damit der Fundort der Leiche gesichert wurde. Gleichzeitig lief eine unkoordinierte Aktion an. Wie Ameisen verschwanden Personen im Mais, um wieder herauszukommen, damit andere den Platz einnahmen. Die Prozession störte jemanden, der fluchend losbrüllte und die Polizisten vom Tatort scheuchte. In der Folge wurden zwei weitere Absperrbänder gezogen, die den zulässigen Weg zur Leiche vorgaben. Die Routine der polizeilichen Ermittlungen begann.

      Großzügig wurde die Gegend um das Maisfeld herum abgesperrt. An den Zufahrten vom Bebauungsende am Küfenweg und Buschfeld wurden Polizeifahrzeuge postiert.

      Zwei Beamtinnen nahmen die Personalien auf und sorgten für die Betreuung der beiden Jugendlichen, Ria und Dennis, die diesen Tag auf immer und ewig im Gedächtnis behalten würden.

      Die Hundefrauen standen zusammen und spekulierten, was dort wohl geschehen sein mag. Nach Aufnahme ihrer Identitäten wurden sie mit dem Hinweis entlassen, unter Umständen von der Kripo befragt zu werden.

      *

      »Solche Sauerei liebe ich.« Heinz Bauer, Oberkommissar der Aachener Kripo schüttelte angewidert den Kopf. »Wie lange liegt die Leiche hier?«, fragte er den Gerichtsmediziner.

      »Lange genug«, gab der kurz angebunden zurück.

      »Na, wieder gute Laune«, bemerkte der Beamte schnippisch.

      »Du hast gut reden. Guck dir die Schweinerei an. Meinst du es macht Spaß, Fleischfetzen zu untersuchen. Ich könnte kotzen«, er zeigt auf die Spuren der beiden Jugendlichen.

      »Ist schon gut. Ich wollte dir nicht auf die Füße treten.«

      »Da bist du ja«, Claudia Plum, seine Chefin trat zu ihm. Ungefähr ein Meter siebzig groß, mit halblangem brünetten Haar und ausdrucksstarken grauen Augen, die ihn jetzt musterten. »Du bist etwas blass um die Nase. Was ist los?«

      »Die Leiche. Tu‹ es dir nicht an. Eine unendliche Sauerei.« Fürsorglich streckte er seine einsachtundsechzig. Das ansonsten exakt über die Halbglatze gekämmtes, schütteres Haar stand in alle Richtungen. Mit dreiundsechzig Jahren sehnte er die Pension herbei. Er wusste, die Arbeit würde ihm fehlen … doch mit den Enkelkindern war er lieber zusammen.

      »Ich hab‹ über Funk mitgehört und im Auto Mentholsalbe an die Nase geschmiert. Ich möchte nicht dort hinein …, es hilft nichts, ich muss mir die Leiche ansehen. Das weißt du doch.« Sie hob in einer entwaffnenden Geste die Schultern. Er trat zur Seite und ließ die sportliche, zurzeit hagere, Gestalt seiner Chefin vorbei. Vor einigen Wochen wurde sie während der Ermittlungen zu einem Verbrechen entführt und trug die Strapazen und den Gewichtsverlust sichtbar, aber mit Gelassenheit. Die Kriminalhauptkommissarin sah zurzeit um einiges älter aus. Erst, wenn man in ihre Augen sah, bemerkte man, wie unglaublich jung sie für die Aufgaben war, die vor ihr lagen. Mit dreißig Jahren war sie die jüngste Leiterin einer Mordkommission. All das konnte den Reiz und die Ausstrahlung, die von dieser Frau ausgingen, nicht verbergen. Sie wirkte kraftvoll und war den Anforderungen


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