Tod im Maisfeld. Herbert Weyand

Tod im Maisfeld - Herbert Weyand


Скачать книгу

      *

      »Also. Hier ist das gerichtsmedizinische Gutachten zu der Leiche. Die Kollegen haben die Nacht über gearbeitet.« Maria hielt Claudia einen dünnen Ordner hin. »Ich habe alles ausgedruckt, weil unser Alterchen sich partout nicht mit dem PC anfreunden will.« Sie knipste mit dem Auge zu Heinz hinüber, der schon hochfahren wollte.

      Maria ergänzte die Truppe um Claudia. Anfang fünfzig und mit einer, was man landläufig als frauliche Figur bezeichnete, ausgestattet, was besagte, dass die Pölsterchen an den richtigen Stellen saßen. Durch ihre humorvolle Art wirkte sie wesentlich jünger. Die rehbraunen Augen täuschten so manchen. Sie konnte knochenhart werden. Im Moment durchlebte sie eine blonde Phase. Der modische Kurzhaarschnitt modellierte das ovale Gesicht mit den ausdrucksstarken geschminkten Lippen. Ein knalliges dunkles Rot. Maria trug enge Jeans, die ihre weiblichen Proportionen betonte. Dazu eine dreiviertellange helle Bluse, die über dem Bauchnabel geknotet war.

      »Dann bin ich aber gespannt. Ich habe schon viel gesehen, doch der gestrige Anblick geht mir nicht aus dem Kopf.« Claudia schlug die Kladde auf.

      Die letzte Nacht war ein Albtraum. Diesmal verfolgte sie nicht die Dunkelheit, sondern der eklige Anblick der Leiche. Sie schauderte, wenn sie sich vorstellte, was nach ihrem Tod für Viehzeugs an ihr herumknabberte. Für sie kam nur Kremieren infrage, das stand fest. Aber … hier in diesem Dorf, nagte hinten in ihren Gedanken ein Zweifel, ob es nicht doch ein Leben nach dem Tod gab. Die Einheimischen waren, bei allem Aberglauben, dem sie unterlagen, so überzeugt davon, nach ihrem Ableben, in irgendeiner Art und Weise, entweder wieder aufzuerstehen oder im Jenseits weiterzuleben. Claudia schüttelte die Gedanken ab und lenkte die Konzentration auf die Kladde.

      »Weiblich … das wussten wir schon. Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig; dunkelbraunes Haar; eins fünfundsechzig groß. Keine Identifizierungsmerkmale, wenn wir vom Gebiss absehen. Dazu sind Zahnärzte angemailt. Die Leiche lag mindesten acht Wochen in dem Feld, wenn nicht länger. Der ungewöhnliche Verwesungsprozess entstand durch eine defekte Wasserleitung. Der Bauer gegenüber hat eine Leitung vergraben, die zur Kuhtränke führt. Die Tote lag genau in einer Mulde, in der das Wasser austrat. In der warmen Luft des diesjährigen Sommers zog der Körper ständig Feuchtigkeit und verfaulte faktisch, anstatt auszutrocknen. Unzählige Tiere haben die Leiche mehrere Wochen zerfleddert und in der gesamten Gegend verstreut. Einen annähernd genauen Todeszeitpunkt werden die Gerichtsmediziner kaum ermitteln können.« Claudia sah von der Mappe hoch in die bedrückten Gesichter ihrer Kollegen. Aus dem schmucklosen Büroraum des Polizeipräsidiums ging der Blick genau auf die Justizvollzugsanstalt. Drei Schreibtische und ebenso viele verschließbare Aktencontainer boten die einzige Möblierung. Nicht ganz. Einige technische Einrichtungen, die das Berufsleben erleichtern sollten, komplettierten das Ganze: Monitore auf den Schreibtischen, die mit einem großen Server irgendwo in NRW verbunden waren. Drei schmucklose Tastaturen. An den Wänden, Tafeln und eine große Leinwand. Drehstühle, die schon einige Jahre auf dem Buckel hatten. Nirgendwo sparte die Politik so viel, wie im öffentlichen Dienst. Sie sollten hier nicht wohnen, sondern arbeiten. Von der gegenüberliegenden JVA sahen sie nicht mehr, als die schmucklose, einige Meter hohe Mauer. Der Anblick drückte die Stimmung. Vor allem, weil die Kiste nicht sicher war. Gerade mal zwei Jahre war die Posse Heckhoff und Michalski her. Beide, schon mehr als dreißig Jahre in Haft, beschließen, aus der JVA auszuchecken, wie Heckhoff es nannte. Zwar wurden sie einige Tage später festgenommen, doch so lange hielten sie das Rheinland in Atem.

      »Stört es dich, wenn ich mit Heinz nach Grotenrath fahre, um mit den Zeugen zu sprechen?«, fragte Claudia Maria.

      »Überhaupt nicht. Ihr wisst doch, die Knollensavanne lockt mich überhaupt nicht.« Nichts hasste Maria mehr, als im nördlichen Bereich ihrer Zuständigkeiten zu arbeiten. Das platte Land und der eigenwillige Menschenschlag zerrten an ihrem Gemüt. Außerdem verstand sie den Dialekt dort nicht. Kein Holländisch, kein Deutsch … irgend so ein Kauderwelsch. Sie war froh, dass sie nicht mit dorthin musste. Die Menschen in dieser Gegend, vor allem die Alten, mit ihren mehrdeutigen abergläubischen Redensarten, nervten. Das konnte sie absolut nicht ab.

      »Dann sehen wir uns vielleicht heute Nachmittag.« Claudia und Heinz verschwanden.

      *

      Sie hielten vor dem imposanten Backsteingebäude Hinter den Höfen. Seitlich des Hauses führte ein Zugang zum hinteren Teil des Grundstücks, das sich bestimmt zweihundert Meter in die Länge zog. Ein großer Hund verbellte sie hinter einem alten schmiedeeisernen Tor, das auf einen Hof führte. Im Hintergrund grasten zwei Pferde. Eine kleine rothaarige, nicht mehr ganz junge Frau kam aus dem Stall.

      »Hier hinten«, rief sie und winkte. »Ach Sie sind es«, sagte sie erstaunt, als sie Claudias ansichtig wurde. »Polizei, wegen der Leiche?«

      »Genau«, sagte Claudia. »Wir kennen uns. Sie laufen jeden Tag mit ihren Hunden durch das Feld.«

      »Und Sie leben mit Kurt zusammen. Es wurde Zeit, dass der endlich die Naserei in puncto Frauen aufgibt. Ich habe Sie lange nicht mehr gesehen. Sind Sie wieder genesen?«

      »Claudia Plum und mein Kollege Heinz Bauer.« Claudia überging die Bemerkungen und die Frage. Sie reichte ihr die Hand.

      »Hereinspaziert. Ich habe gerade eine Tasse Kaffee fertig.«

      Kurze Zeit später saßen sie in einem gemütlichen Wintergarten und tranken Kaffee. Claudia sah sich erstaunt um. Gediegene alte Möbel, die zweifellos mehrere Generationen haben, kommen und gehen sehen, bestimmten den Gesamteindruck. Eine breite Holztür führte ins Haus. Von ihrem Platz konnte sie direkt in den Pferdestall sehen, der nicht mehr als drei Meter entfernt lag. Ein großer Brauner streckte den Kopf über die halbe Türe und beäugte sie. Die beiden Kriminalbeamten hatten noch nicht viel gesagt. Die Frau sprach ohne Punkt und Komma. Als sie einmal Luft holen musste, kam Claudia dazwischen.

      »Wir wollten sie zu der Leiche befragen, die im Maisfeld lag.«

      »Das dachte ich mir schon. Aber hören Sie auf. Das Bild geht mir nicht aus dem Kopf«, angewidert verzog sie das Gesicht. »Seit einigen Wochen stank es in diesem Gebiet nach Aas. Sie haben den Geruch doch sicherlich bemerkt, wenn sie auf der Bank saßen.«

      Claudia schüttelte den Kopf. »Mir war nichts aufgefallen. Vielleicht stand der Wind ungünstig.«

      »Möglich«, die Rothaarige überlegte. »Jetzt wollen Sie von mir wissen, ob ich etwas bemerkt habe. Darüber habe ich mir den Kopf zerbrochen. Wissen Sie … hier ist immer etwas los. Nachts fahren Fahrzeuge mit Scheinwerfern auf dem Dach durch die Felder und ballern auf die Hasen und Füchse. Erst vor einigen Tagen hat so ein Idiot mit einer Ladung Schrot in einen Schwarm Wildgänse geschossen. Das war dort hinten am Feldkreuz. Da war auch eine weiße Gans dabei. Ich musste sofort an Nils Holgersson denken. Können Sie sich so etwas vorstellen. Jetzt die Leiche direkt vor der Haustür. Aber gut, dass die Kinder sie gefunden haben, obwohl die mir leidtun. In dem Alter solch ein Anblick, das muss nicht sein. Stellen Sie sich vor, ein paar Tage später, wäre der Mais geerntet worden, dann hätte niemand etwas erfahren. Die Maschine zermalmt alles. Die meisten Katzen kommen während der Ernte weg. Wussten Sie das? Sie sind wie gelähmt, wenn die Maschine auf sie zu fährt. Dann die vielen Idioten, die unbefugt die Feldwege befahren. Da weiß niemand mehr, ob der von hier ist oder anderswo. Hier wohnen ja auch die Beschäftigten der AWACs. Der Tod kann jeden Tag zu jeder Tageszeit eingetreten sein, ohne, dass es jemand bemerkte. Oder war es ein Verbrechen?« Sie unterbrach einen Moment, um einen Schluck Kaffee zu nehmen.

      Claudia und Heinz sahen sie mit erstaunten Augen an. Selten mussten sie einen solchen Wortschwall über sich ergehen lassen. Bevor die Frau wieder loslegen konnte, ergriff Heinz die Initiative.

      »Die Leiche ist eine Frau.«

      »Eine Frau?« Im Gesicht der Rothaarigen arbeitete es. Sie überlegte.

      Claudia betrachtete sie interessiert. Sie wurde Doro genannt, das wusste sie. Die Abkürzung von Dorothee, wie in den Unterlagen stand. Sie redeten sich im Feld, wenn sie sich trafen, mit Vornamen an. Die Frau sah aus, wie Ende vierzig, Anfang fünfzig und Claudia war erstaunt, als sie im Protokoll der Kollegen, das Alter mit Mitte sechzig angegeben sah. Doro


Скачать книгу